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Na, heute schon amazon gebasht?

Na, heute schon amazon gebasht?

Erinnern Sie sich noch als Ferrero, Henkel, Unilever, Procter & Gamble, Nivea und hundert weitere Markenartikelhersteller, die eine große Anzeige in der Bild veröffentlichten:

Aldi erpresst uns!

Nein? Aber sicher erinnern Sie sich dann doch wenigstens an den offenen Brief in allen Tageszeitungen von Bosch, Siemens, Nokia, Samsung, Miele, Braun und zig anderen Elektronikherstellern, in dem sie ein Ende der Geschäftspraktiken von Mediamarkt und Saturn forderten. Auch nicht? Dann erinnern Sie sich richtig. Denn keines der Unternehmen würde ernsthaft so eine Aktion erwägen.

Auf so eine populistische wie heuchlerische Idee, ein Handelsunternehmen öffentlich an den Pranger zu stellen, kommen nur Auflagenmillionäre und andere erfolgreiche Autoren – vor kurzem in den USA und sicher bald auch bei uns in Deutschland. Ganz vorne sicher dabei: Günther Wallraff mit dem Banner „Nieder mit dem Teufel amazon!“. (Nachtrag 14. August: jetzt auch die deutschen Autoren.) (Zweiter Nachtrag: Dass sich Autoren auch sehr differenziert mit dem Thema beschäftigen, schreibt beeindruckend Zöe Beck.)

Alle Markenartikler, Hersteller und Handelsunternehmen leben damit, dass sie sich in einem Markt tummeln, in dem das Bessere immer der Feind des Guten ist. Und was letztlich besser ist, entscheidet die Mehrheit der Nutzer und Verbraucher. Deshalb arbeiten all diese Unternehmen seit Jahren kontinuierlich daran, zu den Besseren zu gehören. Die Betonung liegt auf kontinuierlich. Wem das nicht gelingt, wie in jüngster Vergangenheit z. B. Nokia, verschwindet sang und klanglos. Abgesehen von manch sentimentalen Jugenderinnerungen ist dieser Lauf der Dinge aus Konsumentensicht nur wünschenswert. Sonst würden wir beispielsweise noch heute in die Röhre schauen und Flachbildschirme nur in Science Fiction-Filmen sehen. Der Markt macht Produkte und Leistungen entweder besser oder billiger – und manchmal sogar beides.

Aldi hat das sehr erfolgreich im Handel gemacht – gegen massiven Widerstand einer etablierten und saturierten Elite. Die Elite gibt es heute noch und rümpft die Nase beim Einkauf im Feinkost-Italiener und Biomarkt über die Aldisierung unserer Gesellschaft. Doch die Mehrheit dankt den Gesetzen des Marktes und freut sich nicht nur über den günstigen und bequemen Einkauf bei Aldi, sondern auch darüber, dass Aldi auch in anderen Supermärkten die Preise drückte und günstige Eigenmarken hervorbrachte.

Bislang beschränkte sich die saturierte Elite überwiegend auf snobistisches Aldi- und Mediamarkt-Bashing. Doch seit kurzem haben sie ein neues Ziel: amazon. Klar doch, hier geht es ja auch nicht um irgendein Waschmittel oder irgendeine Waschmaschine, hier geht es den empörten Kritikern vorgeblich um ein edles, in seine Form zu bewahrendes Kulturgut. Aber tut es das wirklich?

Den Kritikern geht es nicht wirklich um das Produkt „Buch“, sondern um ein elitäres Vorrecht, das sie seit der Erfindung des Buchdrucks immer wieder vehement verteidigen: zur einflussreichen Bildungs- und Kulturelite zu gehören. Gerade mal 3% der Bevölkerung laut Stiftung lesen können als Vielleser bezeichnet werden (50 Bücher im Jahr). Hingegen lesen 25% gar nicht und weitere 50% nur gelegentlich. Bricht man das dann noch auf Genres runter, dann wird wohl der Anteil derer, die anspruchsvolle Belletristik und Sachbücher wünschen, unter 1% fallen.

Johannes Gutenberg war der erste Jeff Bezos. Seine Erfindung machte den Erwerb von Schriften nicht nur günstiger, schneller und umfangreicher, sondern auch einer größeren Gruppe zugänglich. Die bis dahin für den Klerus besonders wertvolle Insignie Buch wurde nun in den kommenden Jahrhunderten unaufhaltsam entwertet.

Und so, wie der Klerus vor Jahrhunderten sich empörte und vor den schrecklichen Folgen warnte, klingen auch die kulturpessimistischen Klagen der akademischen Bourgeoisie. Der Klerus hatte damals vollkommen Recht, als er vor der immensen Verbreitung von Schund warnte. Würde man den damaligen Kritikern des Buchdrucks die Bestseller der vergangenen Jahrhunderte vorlegen, würden sie sogar feststellen, dass ihre Befürchtungen noch weit übertroffen wurden. Doch niemand würde heute ernsthaft leugnen, dass die Erfindung des Buchdrucks auch die literarische Qualität und Vielfalt in ungeahnte Höhen gebracht hat. Doch ausgerechnet jetzt, nach mehr als 500 Jahren buchkulturellem Höhenflug, soll – nach Ansicht der amazon & Co.-Kritiker – der Zenit überschritten sein. Unwiederbringlich werde nun die literarische Blüte der vergangenen Jahrhunderte welken, da ihr das Wasser von den Marktkräften eCommerce und ebooks abgegraben werde. Auch auf die Gefahr hin, dass ich es mir mit der Kulturelite verscherze, es fällt mir verdammt schwer, mich mit ihr zu solidarisieren.

Der Buchmarkt ist ein seit Jahrzehnten von heuchlerischen Apologeten geschütztes Biotop. Heuchlerisch einerseits, da es in diesem Markt unglaublich viele Teilnehmer gibt (Schriftsteller, Verleger, Händler), die vorgeben oder suggerieren, dass sie keinerlei Profitinteressen verfolgen. Sie wollten einzig nur von ihrer Tätigkeit leben können und mit allem, was man darüber hinaus verdienen würde, alimentiere man jene Buchmarkt-Teilnehmer, die (noch) nicht davon leben können. Heuchlerisch auch, wenn es darum geht, wer die Macht am Markt hat. Glaubt wirklich irgendjemand ernsthaft, dass Bestseller-Listen entstehen, indem der stöbernde Buchhandlungskunde am Ladentisch abstimmt? Was wir lesen und schätzungsweise zu 25% ewig ungelesen verschenken, beeinflussen Verlage und Buchhandelsketten genauso, wie der Hersteller und Handel das, was wir zum Essen und Trinken kaufen – und davon dann auch ein Viertel in den Müll werfen.

Heuchlerisch sind auch viele Kunden und Lobbyisten im Buchmarkt. Denn sie kolportieren gerne, Bücher seien Grundnahrungsmittel des Geistes, die für jeden erschwinglich sein müssten. Deshalb ja auch die ermäßigte Mehrwertsteuer und die letzte wirklich clevere Erfindung des Buchmarktes im vergangenen Jahrhundert: die Zweitverwertung als Taschenbuch. Heute würde man es im Jargon der Bild-Zeitung auch das „Volksbuch“ anpreisen. Der Buchhandel überzeugte das Volk, dass das Taschenbuch ein großzügiges Angebot sei. Im Supermarkt ist die clevere Idee vergleichbar mit den Produkten, die man aufgrund des fortgeschrittenen Ablaufdatums günstiger angeboten bekommt. Mir ist kein Handelshaus bekannt, das diese Angebote auch noch feiern würde.

Jetzt, wo nun endlich die eBook-Technik eine deutliche Kostenreduktion ohne Qualitätsverlust ermöglicht, wird die Heuchelei im Buchmarkt zunehmend demaskiert.

Buch-Neuerscheinungen entpuppen sich als Luxusartikel einer Premiumkundschaft, deren Stamm durch einen inflationären, günstigen Vertrieb erodieren würde. Wer gibt schon gerne eine Kundenklientel auf, die völlig preisunsensibel jede Erhöhung akzeptiert, einzig um das Privileg des Erstlesers zu genießen. Diese Klientel und der Buchhandel fordern denn auch einhellig die Beibehaltung eines Anachronismus: die Buchpreisbindung.

Mit Amazon wurde ja nicht nur die Möglichkeit geschaffen, Bücher zeitlich und räumlich uneingeschränkt beziehen zu können, sondern zugleich eine Sortimentstiefe und –breite angeboten, die bis dato unvorstellbar waren. Die Verlage konnten eigentlich jubeln, denn bei amazon blieben Bücher noch präsent, die schon lange aus den Regalen der Buchhandlungen verschwunden waren. Jeder interessierte, wissbegierige Leser konnte plötzlich auf unendliche Entdeckungsreise gehen und in literarische Räume vorstoßen, die kaum ein anderer Leser zuvor betreten hatte. Und amazon erfand die Leserrezension und Leserempfehlungen.

Jede Buchhandlung profitiert heute davon, dass auf amazon viele Leser ausführlich ein Buch rezensieren und bewerten können. Ich schätze, dass der Anteil an Buchkäufern im Buchhandel, die aufgrund vorheriger Online-Recherche bei amazon ein Buch erwerben, signifikant ist. Ja, letztlich vermute ich stark, dass amazon immens dazu beigetragen hat, dass der Kauf von Büchern noch einen Coolness-Faktor hat und dass Bücher attraktive Produkte geblieben sind, die sich im Wettbewerb der Unterhaltungsmedien bis heute gegen Film, Games, Musik etc. behaupten können. Doch eins muss ich zugeben: eBooks sind für den stationären Handel marktschädigend. Denn die kann man gratis anlesen, und das verhindert so manchen Fehlkauf. Und auch als Geschenk sind sie nicht sonderlich attraktiv. Bei allem Respekt vor den Leistungen des Buchhändlers in der Vergangenheit, keiner kann mir heute so sicher eine gute Buchempfehlung geben, wie die Verbindung von Kundenrezensionen und das kostenlose Anlesen von Büchern es vermag. Genauso wenig, wie mir heute noch jemand CDs im Laden besser empfehlen könnte, als es mir bei iTunes oder amazon möglich ist.

Ich bin überzeugt, dass ohne den Online-Pionier amazon heute weit weniger Menschen Bücher kaufen würden als noch vor zwanzig Jahren. Dafür will ich den Gründern von amazon an dieser Stelle auch mal danken. Und es werden mit Sicherheit in Zukunft wieder weniger werden, wenn die Lobbisten des alten Buchmarktes ihren Einfluss aufrechterhalten und der Markt weiterhin protektioniert wird.

Der aktuelle Auslöser der Empörung, der über 900 erfolgreiche US-Schriftsteller dazu verleitete, sich gegen amazon zugunsten des Verlags Hachette, dessen Konzernmutter 10 Mrd. Umsatz p.a. macht, stark zu machen, ist für mich unsäglich peinlich. Denn erstens werfen die Autoren amazon etwas vor, was der Buchhandel in USA viel radikaler und unverhohlen praktiziert: er weigert sich, Bücher zu verkaufen, die amazon-eigene Verlage publizieren. amazon hingegen will eBooks endlich auf den völlig ausreichenden Preis von $ 9,99 reduzieren. Denn wie alle Prognosen erwarten lassen und die Erfahrung aus dem Musikmarkt gezeigt hat, ist dies die Preisschwelle, die eBooks so attraktiv machen, dass man mehr Bücher verkaufen könnte als bisher. Wie ich es persönlich mit dem eBook halte, habe ich schon mal vor Monaten geschildert.

Wenn sich diese plausible Annahme bestätigt, würde eine schweigende Mehrheit profitieren. Die weniger bekannten Autoren könnten mehr Leser erreichen, die unbekannten Verlage mehr Einnahmen erzielen und die Leser könnten mehr Neuerscheinungen fürs gleiche Budget lesen. Aber gegen solche Demokratisierung des Buchhandels wehren sich die akademischen Eliten bislang vehement und erfolgreich. Ihre Lobby ist stark, da sie sich sowohl auf die Produzenten (Schriftsteller, Verleger), die vielen stationären Händler und auch noch einen großen Teil der Kunden stützen darf. Die Kundensolidarität fehlte der Musikindustrie. Hier war die Mehrheit der Konsumenten zu jung, um sich Elitärsein leisten zu können.

Um das obligatorische Missverstehen der Buchliebhaber am Ende komplett zu machen: ich liebe Buchhandlungen und ich wünsche jedem engagierten Buchhändler, dass er seiner Berufung weiter nachgehen und davon auch gut leben kann. Doch kein Tante Emma-Laden, Elektronikfachhändler oder Schallplatten-Geschäft hat überlebt, in dem sie an das Bewahren des Guten festhielten, obwohl das Bessere offensichtlich war.

Mit Sicherheit wird auch in zwanzig, dreißig und fünfzig Jahren noch gelesen. Und es wird weiterhin viel Qualität und Vielfalt erwachsen, so wie es jede Menge „Shades of Grey“ und Esoterik geben wird. Liebe Buchhändler, seid weiter einfallsreich, kreativ und probiert aus. Vielleicht liegt die Zukunft in Buch-Cafes, Leserkreisen, neudeutsch Literatur-Communities oder in Buch-Blogs. Vielleicht auch in Autorenevents und in der Gewinnung von Neulesern. Ich beteilige mich privat daran und öffne jeden Abend das Kopfkino für meinen siebenjährigen Sohn. Gerade haben wir den „Krabat“ gelesen und viel über böse Magie, Schicksalsergebenheit, den Zauber der Liebe und die Willenskraft erfahren. Willenskraft und Liebe haben hier obsiegt.

Thomas Brasch bloggt privat zu den Themen Literatur und Gesellschaft. Beruflich ist er seit über 25 Jahren in der Medien-, Telekommunikations- und Werbebranche tätig. Er war u. a. sechs Jahre Marketingleiter der debitel AG und berät seit 2006 als Marketing- und Strategieexperte Handel und Medien, u. a. hat er auch eine große Buchhandelskette bei ihre eReader-Strategie begleitet. Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Kommentare

17 Kommentare zu "Na, heute schon amazon gebasht?"

  1. Bei aller Amazon-Kritik: Preiswerter und einfacher Bücher bestellen ist doch kaum möglich, oder?

  2. Bravo! Ohne Amazon hätte niemand von meinem Buch DEUTSCHLAND VON SINNEN etwas erfahren. Buchhändler sowie andere Online-Versender haben das Buch mehrheitlich boykottiert. Einige tun es immer noch. Sogar die SPIEGEL-Bestsellerliste wurde dafür manipuliert. Hat alles nix genützt – wegen Amazon! Danke Jeff Bezos!

  3. Es wäre sehr entgegenkommend, die „Erstveröffentlichung“ des Textes zu verlinken. Danke.

  4. Lieber Herr Olsberg, ich hatte her gestern noch mal eine Antwort gepostet, die ich hier jedoch nicht finde. Jetzt habe ich sie noch mal auf meinen Blog geschrieben: Kein Kommentar, bitte! http://wp.me/p1xLua-bp

  5. Danke für Ihren Kommentar, Herr Olsberg. Dass die Aktion der Autoren populistisch ist und in der Wahrnehmung der Adressaten – sprich uns Leser – als amazon-bashing empfunden wird, kann wohl kein intelligenter Mediennutzer bestreiten. Ob sie heuchlerisch ist, mag man unterschiedlich auslegen. Schon die Opfer-Rhetorik „Autoren werden von Amazon in Geiselhaft genommen“ (http://www.lesen.net/ebook-news/offener-brief-auch-deutsche-autoren-rebellieren-gegen-amazon-13651/), die sich in den Medien verbreitet, empfinde ich so. Ich habe auch versucht deutlich zu machen, dass amazon nicht – wie Aldi und Mediamarkt – ein reiner Wettbewerbsverdränger ist, sondern dem Medium Buch wohl sehr geholfen hat, noch gegen alle anderen Unterhaltungsmedien zu bestehen. Und eben all die anderen (Film, Musik, Games) haben keine Preisbindung. Allein der Film hätte aufgrund des weitaus größeren Investitionsrisikos deutlich mehr Anspruch darauf, als Kulturgut durch Preisbindung geschützt zu werden. Doch hier sind die Preise heute für eine DVD auf unter € 4,99 gefallen. Und Streaming gibt es für € 2,99 oder innerhalb einer monatlichen Flat. Mir ist es egal, ob es amazon oder ein andere Player am Markt macht. Ich will einzig nur, dass sich mehr Menschen als die vielleicht 10% Elite in der Bevölkerung ein Buch in Zukunft ebenso leisten will und kann, wie ein Film oder eine CD.

    • Von meinem iPhone gesendet

    • Lieber Herr Rasch, was bitte hat die Preisbindung mit dem Autorenprotest zu tun? Wo steht etwas davon in dem offenen Brief? Welcher Autor fordert höhere E-Book-Preise? Hören Sie bitte auf, alle diese Themen in einen Topf zu werfen und so zu tun, als sei jeder, der Amazon kritisert, rückständig und fortschrittsfeindlich. Dass Amazon das tut, mag man als Gegen-PR-Strategie vielleicht noch verstehen. Dass unabhängige (hoffe ich doch) Kommentatoren das tun, kann ich nicht nachvollziehen.

      Wie ich bereits geschrieben habe, verdanke ich Amazon viel – umso wütender macht mich die Dummheit der aktuellen Hanldungen des Unternehmens, die uns allen schaden. Und mit Populismus hat unsere Aktion ebenso wenig zu tun, auch wenn sie in der Öffentlichkeit stattfindet. Dass ich als Autor nicht nur von Amazon nicht ernst genommen, sondern sogar über die wahren Hintergründe der Lieferverzögerung meiner Bücher falsch informiert (man könnte auch sagen, belogen) werde (siehe http://karl-olsberg.jimdo.com/2014/05/16/amazon-spielt-unfair/ ), zeigt wohl, dass nur öffentlicher Druck und Allianzen ein etwas überheblich und selbstgefällig gewordenes Unternehmen zum Nachdenken bringen können.

      Was die Opfer-Rhetorik betrifft, bin ich über den Begriff Geiselhaft auch nicht unbedingt glücklich. Aber Amazon vergreift sich ebenfalls im Ton, wenn George Orwell falsch zitiert wird und protestierende Autoren als Millionäre verunglimpft werden, die bloß ihren Besitzstand wahren wollen (siehe http://karl-olsberg.jimdo.com/2014/08/09/amazon-gie%C3%9Ft-%C3%B6l-ins-feuer/ ).

      • Von meinem iPhone gesendet

      • Lieber Herr Olsberg, ich habe jetzt den offenen Brief der deutschen Autoren auch noch gelesen (http://www.fairer-buchmarkt.de). Mein Beitrag entstand ja schon, bevor dieser veröffentlicht wurde. Und ich kann das ganze immer noch nicht nachvollziehen. Erstens sind Autoren wie Sie und z.B. Nele Neuhaus dabei, die meines Erachtens ihren Erfolg maßgeblich der Plattform amazon und der eBook-Technik verdanken, die ohne amazon heute noch stiefmütterlich wäre. Sie haben das ja auch schon bestätigt.

        Amazon versucht nun offenbar mit harten Bandagen und ihrer über Jahren gewachsenen Reputation und Marktmacht zwei Verlage dazu zu bringen, endlich ähnliche Preismodelle für eBooks zuzulassen, wie Ihre Bücher auf amazon schon haben. Zudem werfen die Autoren amazon exakt das vor, was der Buchhandel in den USA – worauf ich in meinem Beitrag schon hingewiesen habe und was auch in einer ARD-Sendung über amazon gezeigt wurde – selbst massiv praktiziert: Bücher aus amazon eigenen Verlagen werden dort gänzlich offensiv boykottiert. Und da USA ja der Auslöser dieser Aktion ist, ist dies allein schon ein Grund, sich als Autor hier nicht vor den Karren von Marktwettbewerbern spannen zu lassen. Denen, die hier miteinander im Clinch sind (Großverlage, Großhändler) sind Sie alle ziemlich schnuppe.

        Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Autoren mal gemeinsam einen Aufruf gegen die Praktiken von Thalia, Weltbild & Co. erwogen hätten. Deren vergangene Geschäftsstrategie war eindeutig der Versuch einer Oligopol-Bildung im deutschsprachigen Buchmarkt. Doch da sie Online nicht überzeugen konnten und bei der disruptiven Technik eBook zu lange gezögert haben, wurde da nix mehr draus. Und das, obwohl der deutsche Buchmarkt durch Preisbindung geschützt ist, haben sie es nicht geschafft, sich den eBook-Markt zu sichern.

        Wie die aktuellen Zahlen vom Buchmarkt zeigen, sind eBook und Ratgeber die Wachstumstreiber. Eigentlich unglaublich bei den eBook-Preisen in Deutschland, aber mit Lesern wie mir kann man es ja machen, weil ich selbst bei diesen Preisen Sachbücher lieber als eBook erwerbe, da deren Halbwertzeit meist nur bei 2 bis 4 Jahren liegt und es einfach angenehm ist, jederzeit und -ort auf Sachbücher zugreifen zu können, solange sie aktuell sind. Deswegen habe ich die auf einem eReader.

        Und zu guter Letzt: die meisten Autoren, die sich hier empören, geben doch vor, dass sie gerne die Gefahr der Monopolisierung von amazon vorbeugen und aktiv den Buchhandel unterstützen wollten. Ganz vorne ran Günter Wallraff, der ja amazon aufforderte, sein Bücher auszulasten. Doch bedauerlicherweise machte das amazon zuvor nicht, sondern verkauft ihn einfach weiter. (Das dokumentiert schon Größe eines Unternehmens, wenn es seinen härtesten Kritiker weiter Geld verdienen lässt. Würde wohl keine deutsche Bank in Deutschland machen) Es mag für Sie zynisch klingen, aber jetzt tut doch amazon den Autoren und dem Buchmarkt offenbar den Gefallen und listet Sie nicht mehr. Ja, perfekt, da wird ja endlich auch kein Leser mehr verführt, den neuen Roman von Nele Neuhaus bei amazon zu bestellen, sondern sie/er geht jetzt freudestrahlend solidarisch in den Buchhandel.

        Steckt da vielleicht sogar Kalkül der Verlage hinter? Eine geniale Verschwörung gegen amazon? Die schon lange ausbaldowerte Aktion „So holen wir unsere Kunden wieder in den Handel zurück!“ Spinnen Sie mal weiter, da könnte doch glatt ein Wirtschaftsthriller draus werden. Sorry, wenn das jetzt nicht so witzig ankommt, wie es gemeint ist.

    • Sie schreiben in Ihrem Artikel:

      „Sonst würden wir beispielsweise noch heute in die Röhre schauen und Flachbildschirme nur in Science Fiction-Filmen sehen. Der Markt macht Produkte und Leistungen entweder besser oder billiger – und manchmal sogar beides.“
      Nun, ich für meinen Teil bin sehr froh, noch immer in meinen nunmehr schon über 25 Jahre alten Röhrenfernseher zu gucken. Denn dieser läuft und läuft und läuft. Was man von den heutigen Fernsehern leider nicht gerade sagen kann. Die sollen gar nicht mehr lange halten, das ist gleich so mit in den Fernseher eingebaut.
      Genauso verhält es sich mit meinem über 20 Jahre alten Toplader. Erst wenn dieser endgültig den Geist aufgeben würde, würde ich mir eine neue Waschmaschine zulegen, welche dann aber auch nur 3-5 Jahre halten würde. Ist von den Herstellern durch Einbau minderwertiger Teile gleich mitbedacht.
      Ich gehöre nicht zu den Leuten, die meinen, früher war alles besser, doch gehöre ich auch nicht zu den Leuten, die alles Neue fortschrittsgläubig als per se besser einstufen würden.
      Es geht den meisten Herstellern heutzutage nur noch darum, dass wir immer mehr konsumieren sollen, in immer kürzeren Zeitabständen.
      Am besten jedes Jahr ein neues Handy, alle zwei Jahre eine neue Spielekonsole und einen neuen Fernseher.
      Die Rohstoffe sind jedoch endlich und ich für meinen Teil habe mich konsequent aus der von außen aufgestülpten Jagd nach immer neuen Sachen verabschiedet.
      Dazu gehört auch der bewusste Umgang mit Lebensmitteln. Im letzten Jahr habe ich mal eine Paprika weggeschmissen, weil sie schon zu arg schimmelte. Das war’s dann aber auch mit weggeschmissenen Lebensmitteln. Ansonsten esse und trinke ich Lebensmittel auch noch, wenn sie das MDH mehr als ein halbes Jahr überschritten haben.
      Und Bücher kaufe ich nur noch gebraucht auf Flohmärkten, Ebay oder (seltener) auf Amazon Marketplace.
      Dies ist mein Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit und Ressourcensparen. Der meiste Co² Ausstoß geschieht bei der Herstellung.

  6. Populistisch, heuchlerisch, elitär … Wer so schreibt, kann ganz sicher nicht für sich in Anspruch nehmen, differenziert mit einem Thema umzugehen. Wer sich dagegen mit der Kritik der Autoren (Disclaimer: Auch ich gehöre zu den 909 Unterzeichnern des offenen Briefs in der New York Times) ernsthaft auseinandersetzt, merkt sehr schnell, dass es hier keineswegs um „Amazon-Bashing“ geht und erst recht nicht um einen Abwehrkampf verschrobener Kulturpessimisten gegen das E-Book. Viele von uns haben sehr lange und sehr gerne mit Amazon zusammengearbeitet und sind nun ganz einfach enttäuscht.

    Ich bin weder „Auflagenmillionär“ noch sehe ich mich als Teil der „Bildungs- und Kulturelite“. Einen meiner größten Erfolge verdanke ich den Selfpublishing-Möglichkeiten von Amazon. Ich habe die Firma stets als Vorbild für konsequente Kundenorientierung gesehen. Und genau deshalb wehre ich mich gegen das, was Amazon zurzeit tut, denn das ist keine Art, Kunden und Partner zu behandeln. Wer eine Marktstellung wie Amazon hat, muss damit verantwortungsvoll umgehen. Bin ich ein „Amazon-Basher“, weil ich das fordere? Macht mich Kritik am Größenwahn und rücksichtslosen Verhandlungsgebaren eines Unternehmens zum rückständigen Kulturpessimisten?

    Wenn Sie sich wirklich ernsthaft mit der Kritik auseinandersetzen würden, statt einfach Amazons Gegenargumente nachzuplappern, Herr Brasch, dann würden Sie vielleicht selbst darauf kommen, dass niedrige E-Book-Preise der Titel von „Auflagenmillionären“ insbesondere den Selfpublishern eher schaden als nützen. Denn dadurch entfällt eines der wichtigsten Differenzierungskriterien für unbekannte Autoren und für Amazons KDP-Programm. Vor diesem Hintergrund finde ich es „peinlich“, um Ihre Worte zu benutzen, dass Amazon die Verhandlung um Einkaufskonditionen als „Kampf für niedrigere E-Book-Preise“ tarnt.

    Noch einmal: Hier geht es nicht darum, Amazon pauschal zu verteufeln, sondern das, was die Firma konkret tut, um ihre Verhandlungsziele durchzusetzen – nämlich die Titel von Autoren aus Verlagen, mit denen gerade verhandelt wird, quasi vor dem Leser zu „verstecken“. Das ist schlechter Kundenservice und schlechter Autorenservice. Es untergräbt das Vertrauen, das viele bisher in Amazon hatten. Es schadet damit der Firma mehr als den übrigen Marktteilnehmern. Und es lässt erahnen, was auf uns zukommt, wenn Amazon einen noch deutlich größeren Marktanteil im Buchmarkt erobern sollte.

    • Wer von den dort aufgeführten Autoren hat denn mit Amazon jemals „zusammengearbeitet“? Das ist derselbe Unsinn wie im offenen Brief der US-Autoren.
      Nicht sie sind die „business partners“, sondern die Verlage. Die Autoren sind nicht mehr als die Milchkühe im Stall der Verlage.

      Die Autoren, die wirklich mit Amazon direkt zusammenarbeiten – die Self-Publisher – stehen diesen offenen Briefen zu einem großen Teil kritisch bis ablehnend gegenüber.

      • Wie Sie bereits meiner obigen Antwort entnehmen können, bin ich sowohl Selfpublisher als auch „klassischer“ Verlagsautor, und das soll auch so bleiben. Auch viele andere „Hybridautoren“ finden sich auf der Liste. Dass viele Selfpublisher der klassischen Verlagswelt kritisch gegenüber stehen, kann ich verstehen, vielleicht spielt da auch die eine oder andere Verlagsablehnung eine Rolle. Aber das rechtfertigt das Vorgehen von Amazon noch lange nicht. Ich halte diese Frontenbildung „Selfpublisher gegen Verlagsautoren“ für völlig unangebracht – wir sind alle in erster Linie Autoren, die Leser erreichen wollen, und zwar möglichst viele auf allen verfügbaren Kanälen. Und zum wiederholten Mal: Wer eine bestimmte Amazon-Geschäftspraktik kritisiert, muss deshalb noch lange nicht gegen Amazon per se sein, schon gar nicht gegen günstige E-Books.

        Übrigens glaube ich, dass es auch einen guten Grund gibt, warum Verlagsautoren sich auf die Seite der Verlage stellen, und zwar ohne dass Verlage sie darum gebeten haben. Wir fühlen uns nämlich nicht als „Milchkühe“, sondern als Teil eines Teams, das versucht, gute und erfolgreiche Bücher zu machen. Ich habe schon mit drei verschiedenen Verlagen zusammengearbeitet und jedes Mal ein sehr gutes Gefühl dabei gehabt. Das spricht nicht gegen Amazon, aber für eine vielschichtige Buchlandschaft, in der es eben mehr als einen Weg gibt, das Buch zum Leser zu bringen.

  7. Sehr erfrischender Text. Nur kleine Anmerkung: Natürlich gibt es auch Waschmaschinen und Waschmittel bei Amazon. Von entsprechenden Branchenprotesten hat man nichts gehört.

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