„Von der aktuellen Ausgabe gibt es noch ordentliche Bestände“, zuckt Christoph Hünermann mit den Schultern, wenn er in diesen Tagen nach der Zukunft der „Brockhaus Enzyklopädie“ gefragt wird. Soll heißen: Es gibt keinen Entscheidungsdruck. Hünermann ist Geschäftsführer des Bertelsmann-Lexikon-, Chronik- und Wörterbuchverlags Wissenmedia, der zum Jahreswechsel sämtlicher Rechte und Inhalte der Marke Brockhaus übernehmen wird – sofern das Bundeskartellamt zustimmt.
Das wird insofern interessant, als die Bonner Wettbewerbshüter die grundlegenden Veränderungen im Wissensmarkt zu würdigen haben. Zwar konzentrieren sich jetzt mit der Übernahme der Brockhaus-Substanzen klassische Allgemeinlexika-Inhalte bei Bertelsmann. Aber Wissenmedia will auf jene in den letzten Jahren im Internet gewachsene Konkurrenz verweisen, die dem bisherigen Brockhaus-Verlag BIFAB zunehmend zu schaffen machten: Wikipedia und Google, aber auch die Wissensangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Kompliziert wird die Angelegenheit allerdings dadurch, dass Wissenmedia anders als BIFAB mit dem Wissen.de-Portal und dem vor einem Jahr gegründeten Joint Venture Spiegel Wissen inklusive integrierten Wikipedia-Inhalten längst selbst in diesem Bereich munter mitmischt.
Konzept-Impulse aus dem Vertrieb
Nicht nur wegen der traditionell im Bertelsmann-Lexikonsegment ausgeprägteren multi- und crossmedialen Vernetzung glaubt Hünermann, an den Brockhaus-Substanzen mehr Freude zu haben als die traditionellen Verlage BIFAB und dessen Mutter Langenscheidt. Umgebung und Denke sind anders: Wissenmedia, obwohl in wesentlichen Teilen ein typischer Verlagsbetrieb, ist bewusst nicht bei der Bertelsmann-Buchsparte Random House angesiedelt, sondern nach früherer Zugehörigkeit zur Direct Group jetzt in der Dienstleistungssparte Arvato bei InmediaOne, dem Direktvertriebsspezialisten des Konzerns.
Der InmediaOne-Außendienst, insgesamt 1500 Köpfe stark, hatte bereits in den vergangenen Jahren die „Brockhaus Enzyklopädie“ und andere Großwerke fürs BIFAB recht erfolgreich vertrieben, während der Umsatz im klassischen Buchhandel einbrach. In engem Kontakt mit den Vermarktern will Hünermann jetzt die Produktentwicklung stärker am Kundenbedürfnis orientieren. Dabei werde dann auch ein neues Großwerk entstehen, so weit will sich der 50-Jährige dann doch festlegen, wenn auch nicht unbedingt im Stil der bisherigen Enzyklopädie. Und die will ja erst einmal verkauft sein; die Verkaufbarkeit des 2006 abgeschlossenen Werks liege bei 5 bis 8 Jahren.
Im Übrigen steht für Hünermanns verlegerische Arbeit – anders als in der öffentlichen Aufmerksamkeit – nicht unbedingt das Flaggschiff im Mittelpunkt, sondern die vielen kleineren Themen- und Zielgruppenprodukte, die auch für die Vermarktung im europäischen Ausland taugen. Auch dort soll sich der Wert der Marke „Brockhaus“ und der Bertelsmann-Maschinerie erweisen.
aus: buchreport.express 52/2008
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