Müssen Buchhandlungen ihr Sortiment auf strafbare Inhalte hin kontrollieren? Durchaus, meint die Berliner Staatsanwaltschaft, die mehrere linke Buchläden in Berlin wegen des Vertriebs von anstößigen Zeitschriften verklagt hat. Ärgernis der Sortimenter: Großbuchhandlungen sollen für die von ihnen vertriebenen Titel nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Wie die „Frankfurter Rundschau“ berichtet, stehen in den nächsten Monaten insgesamt vier Prozesse gegen Buchhandlungen (Schwarze Risse, OH21 und den Infoladen M99) auf der Agenda, bei denen den Sortimentern vorgeworfen wird, zu Straftaten angeleitet zu haben. Im Fokus steht dabei u.a. die Zeitschrift „Interim“, die seit 1988 erscheine und über das linksautonome Hauptstadt-Milieu berichtet (u.a. mit Anleitungen zum „Abfackeln von Geldautomaten“) und die in den Buchhandlungen erhältlich gewesen sein soll.
Die Sortimenter berufen sich einerseits darauf, dass die Rechtsprechung davon ausgehe, dass Buchhandlungen ihr Sortiment nicht auf strafbare Inhalte kontrollieren müssen. Außerdem sei „Interim“ nicht verboten. Ihr Rechtsanwalt erklärt:
„Die Interim gibt es seit 1988. 22 Jahre ist keiner auf die Idee gekommen, deswegen, weil es die Interim gibt und weil sie da schon immer vertrieben worden ist, zu versuchen, die Buchläden zu kriminalisieren. Das wird jetzt versucht. Da könnte man ja auch fragen: „Hat die Staatsanwaltschaft eigentlich 22 Jahre gepennt? Hat sie sich möglicherweise der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht, das sie da keine Verfahren eingeleitet hat? Oder versucht sie nicht eigentlich – und davon gehe ich vielmehr aus – ein neues Kapitel von Repression aufzuschlagen und quasi eine Reise rückwärts in die siebziger und achtziger Jahre zu machen. Es ging ja damals soweit, das Drucker in Untersuchungshaft saßen, weil sie Broschüren gedruckt haben, das Ganze also noch weiter vorverlagert worden ist.“
Auf Nachfrage der „FR“ erklärte die Berliner Staatsanwaltschaft, dass es in den anstehenden Verfahren darum gehen werde, zu zeigen, dass die Buchhändler die Inhalte der „Interim“ als strafbar erkannten. Auf „normale Großbuchhandlungen“ aber hätte eine Verurteilung keine Auswirkungen: Weil es sich um Buchläden mit einem dezidiert linkspolitischem Sortiment handle, sei davon auszugehen, dass die Angeklagten die von ihnen vertriebenen Zeitschriften kennen und befürworten würden.“
Die nächste Verhandlung findet laut „FR“ am 8. März im Amtsgericht Tiergarten statt. „Sollte es tatsächlich zu einer Verurteilung kommen, würde daraus im Grunde folgen, dass Filialen von Thalia oder Hugendubel strafbare Texte verbreiten dürften – während Buchhandlungen mit politischer Tendenz den Inhalt ihrer Regale zu prüfen und zu verantworten hätten“, schlussfolgert das Blatt.
Hier die Webseite der Buchhändler zum Streit, hier ein Videobericht der Buchhändler zum Prozess:
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