Die Buchbranche hat 2009 besser überstanden, als das für ein „Krisenjahr“ zu erwarten war. Selbst das stationäre Sortiment hat sich trotz des Dauerdrucks durch die im stagnierenden Gesamtmarkt weiter zulegenden Onlineshop-Konkurrenz im Jahresverlauf ganz gut geschlagen (genaue Zahlen folgen im buchreport.express 1/2010 am Donnerstag).
Eine leidlich stabile Buchkonjunktur im Tagesgeschäft kann aber nicht von den Herausforderungen ablenken, die der Branche im neuen Jahrzehnt nicht nur erhalten bleiben, sondern weitere Zuspitzung erfahren. Die Rang-Platzierung dieser Herausforderungen auf der „Agenda 2010ff.“ mag in der langen und bunten Stakeholder-Kette der Branche vom Autor bis zum Ramscher unterschiedlich ausfallen. Aber wohl niemand bleibt außen vor.
Wer verlegt und vertreibt die E-Books?
Auch wenn E-Books 2009 immer noch mehr Diskussionsstoff als Umsatztreiber waren, wird mittlerweile ihr Strukturwandelpotenzial deutlich. Dabei treten kulturkritische Reflexe um die Opposition Digital versus Print ebenso in den Hintergrund wie die (notwendige) Verteidigung des Urheberrechts in der digitalen Welt. Mit dem alternativen Trägermedium – ob handyklein oder tablettgroß – tritt vor allem ein ganz anderes Geschäftsmodell neben das altbewährte:
- Der Verkauf der E-Books findet nicht stationär statt, sondern via Kabel oder Funk über Händler/Distributoren, die keinen besonderen Branchenbezug haben müssen.
- Der Weg vom Autor zum Leser kann sich im Extremfall auf den (technischen) Distributor verkürzen und damit die gesamte bisherige Wertschöpfungskette ausklinken – mit dem Anreiz, die Erlöse neu zu verteilen.
Von ersten digitalen Direkt-Deals zwischen Online-Händlern und Autoren mit schönen Margen wird bereits berichtet. Eine solch extrem schlanke und, wenn man so will, entprofessionalisierte Produktion und Verbreitung mag den Inhalten nicht gut tun und auch (noch) nicht dem Erfolg am Markt zuträglich sein. Tatsächlich werden in der traditionellen Wertschöpfungskette ja auch Werte geschaffen und Anreicherungen geleistet. Aber: Allein die simple Idee, ihre mögliche Umsetzung (einschließlich Druck-Variante per Print-on-Demand) plus die blinkenden Dollar- und Eurozeichen geben dem „Buch 2.0“ Sprengkraft.
Wem gelingt es, daraus ausgefeiltere Geschäftsmodelle zu entwickeln? Leichtfüßiger vermutlich Branchenfremden, die nichts zu verteidigen und nicht das Erfolgsmodell Buch im Rucksack haben, sondern allein neues Land sehen.
Wer auch immer dieses Land mit welchem Pflug beackert: Über das Ergebnis kann man nur spekulieren. Viele Geschäfte werden kleinteiliger. Sicher ist nur: Es wird auch das angestammte Geschäft mit Büchern verändern und wahrscheinlich auch den Charakter mancher Bücher selbst, wenn Autoren die digitale Darreichungsform auch als tatsächlich anderes Format begreifen.
Der Mehrwertsteuer-Hammer kreist
Das Kerngeschäft hat auch ohne E-Book seine Herausforderungen. Verkaufsflächenblase und Titelflut wird der Markt regulieren, aber wie fest sind die Rahmenbedingungen, die den Buchmarkt bisher stabilisiert haben? Die politischen Sparszenarien nach den jüngsten Steuergeschenken nehmen regelmäßig den reduzierten Mehrwertsteuersatz sowohl insgesamt als auch den für gedruckte Bücher im Speziellen ins Visier. Kein schönes Szenario, nachdem die Branche gerade dabei ist, selbst ganz vorsichtig an der Preisschraube zu drehen, um die mageren Margen zu erhöhen.
Preisbindung erfährt neue Grenzziehung
Die Buchpreisbindung als das größte Stabilisierungselement der Branche könnte in den Jahren 2010ff. sowohl gefestigt werden, als auch neue Risse bekommen:
- Der Streit um zu niedrige Preise in Onlineshops, bei denen der Branchenriese Amazon und die VlB-gespeiste Börsenvereins-Datenbank Buchhandel.de gleichermaßen am Pranger stehen, könnte (ob gerichtlich erzwungen oder freiwillig) durch überfällige Datenbank-Abgleiche befriedet werden.
- Ein Schweizer Preisbindungsgesetz ist weiter im parlamentarischen Rennen und könnte somit die im Frühjahr 2007 entstandene Bindungslücke im deutschsprachigen Raum wieder schließen. Das Risiko: Alternativ würde die liberalisierte Schweizer Preisfindung dauerhaft als womöglich in den Auswirkungen gar nicht so dramatisches Gegenmodell etabliert.
- Das größte Risiko bleiben, und da schließt sich der Kreis, die E-Books, die den Preisbindungstreuhändern und Verbandsjuristen zufolge zwar unter die gesetzliche Regelung fallen, weil sie herkömmliche Verlagsprodukte ersetzen. Aber je nachdem, wie sich die E-Books vom derzeit noch vorherrschenden Print-Abklatsch emanzipieren, könnte Bewegung in die Preisbindungsbewertung kommen.
Das Pricing digitaler Inhalte wird sich absehbar von jenem Preisgefüge lösen, das ganz herkömmlich vom gedruckten Buch gefärbt ist. Das zeigen die Szenarien von Ratgeberverlagen (etwa im aktuellen buchreport.spezial „Fit & Gesund“) ebenso wie die Presseverlage, die derzeit aus großer Not und mit entsprechendem Engagement für die unterschiedlichsten Digital-Kanäle Modelle für bezahlte Inhalte entwickeln.
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