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Olivia Wenzel über »1000 Serpentinen Angst«

In den aktuellen Frühjahrs-Programmen finden sich zahlreiche Romandebüts deutschsprachiger Autoren. buchreport stellt 14 dieser Newcomer in Steckbriefen vor. Heute: Olivia Wenzel

Olivia Wenzel, geboren 1985 in Weimar, studierte Kulturwissenschaften an der Uni Hildesheim und lebt heute in Berlin. Sie schreibt Theatertexte und Prosa, machte zuletzt Musik als Otis Foulie. In der freien Theaterszene kollaboriert sie als Performerin mit Kollektiven wie „vorschlag:hammer“. Neben dem Schreiben arbeitet sie in Workshops mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ihr erster Roman „1000 Serpentinen Angst“ erscheint bei S. Fischer. (Foto: Juliane Werner)

Mein Roman in drei Sätzen

In den Worten meines Verlags: Eine junge Frau besucht ein Theaterstück über die Wende und ist die einzige schwarze Zuschauerin im Publikum. Mit ihrem Freund sitzt sie an einem Brandenburger Badesee und sieht vier Neonazis kommen. In New York erlebt sie den Wahlsieg Trumps, in Thüringen begegnet sie ihrer Mutter, die Punkerin in der DDR war, ihrer Großmutter, deren linientreues Leben damit nicht konform ging, und ihrem toten Zwillingsbruder.

In meinen Worten

Schwarz, Emergency, weiß, DDR, Call and Response? Fotos, Bahngleise und Bananen. Flugzeuge, Snackautomaten, Uterus.

Mein Weg zu S. Fischer …

… führte über die klassischen Stationen des Literaturbetriebs: Lesung beim Prosanova 2017 (erster Kontakt), Stipendium in Klagenfurt 2017 (zweiter Kontakt), Textwerkstatt LCB 2018 (die Sache eingetütet). Davor habe ich hauptsächlich als Theaterautorin gearbeitet und Musik gemacht. Davor habe ich in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert. Davor habe ich in Weimar während der Schulzeit Zeitungen ausgetragen und hätte die Aussicht, einmal „Autorin“ zu werden, als blasierten Bullshit abgetan. Davor war ich ein Kind, das gerne Märchen las.

Das Verdienst meines Lektors

Albert Henrichs schafft es, einen angenehm in die ihm eigene Ruhe einzulullen. Er kann sehr diplomatisch und treffsicher Kritik üben, ist vielseitig an der Gegenwart interessiert und weiß auch vieles über sie. Obendrein hat er Humor.

Mein Eindruck von Literaturbetrieb und Buchbranche

Der Mainstream: erstaunlich überschaubar, freundlicher und introvertierter als der Theaterbetrieb, sehr weiß, sehr akademisch, das Internet nicht interessant nutzend.

Meine Lieblingsbuchhandlung

Buchkönigin in Berlin-Neukölln.

Meine Lieblingsautoren

Die letzten zwei Bücher, die mir geschenkt wurden und in denen ich momentan gern lese, sind Jia Tolentinos Essayband „Trick Mirror“ und Maggie Nelsons „The Argonauts“. Prosa, die ich zuletzt begeistert gelesen habe: „The Brief Wondrous Life of Oscar Wao“ von Junot Diaz und „Sing, Unburied, Sing“ von Jesmyn Ward.

So lese ich

Früher schnell und in einem Rutsch, mittlerweile kleinteilig über viele Wochen hinweg, oft nur das erste Drittel eines Buchs, Artikels oder Threads.

Schreiben ist für mich

Mein Schreiben hat mit Spielen, Nachdenken und Abtauchen zu tun, mit Sound, Montage und geduldiger Überarbeitung. Es geht darum, möglichst schonungslos in mich reinzulauschen, Beobachtungen, Widersprüche, Recherchiertes, Fantasiertes und Erlebtes so zu verdichten, dass es für Lesende erfahrbar wird.

Wenn ich nicht gerade schreibe …

… versuche ich, mich zu entspannen. Meistens arbeite ich dennoch kafkaeske To-do-Listen ab und quäle mich durch die Mühlen deutscher Bürokratie. Außerdem treffe ich oft Freund/innen und Bekannte, mit denen ich neue Projekte plane und/oder realisiere: Theaterstücke, Performances, Kinderbücher, Videoarbeiten, Installationen, elektronische Musikproduktionen, Workshops für Jugendliche und junge Erwachsene. Meine Freizeit verläuft nahtlos entlang dieser Interessen.

 

Warum haben Sie dieses Debüt ins Programm genommen?

2017 hörte ich zum ersten Mal einen Auszug aus dem Romanprojekt von Olivia Wenzel beim Prosanova-Festival, und schon während der Lesung war für mich klar, dass daraus ein beeindruckender Roman werden würde. In „1000 Serpentinen Angst“ wird eine Perspektive beschrieben, wie ich sie bisher in der deutschsprachigen Literatur nicht gelesen habe: den Blick auf unsere Gesellschaft und unsere Zeit aus der Sicht einer jungen, schwarzen Protagonistin, die in der DDR geboren wurde. Olivia Wenzel findet dabei einen ganz eigenen Sound, vielstimmig, humorvoll und temporeich, der einen sofort in den Text reinzieht und mit dem es ihr auf außergewöhnliche Weise gelingt, von den Krisen des 21. Jahrhunderts zu erzählen. Und zugleich ist der Roman eine berührende Geschichte dreier Frauen unterschiedlicher Generationen, abseits des konventionellen Familienromans.

Albert Henrichs, Lektor

 

Debütanten im Frühjahr 2020 – im buchreport.magazin 01/2020

 

 

 

 

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