Der Streit um das Thema Onleihe, also dem Verleih von E-Books in Bibliotheken, zieht weiter seine Kreise. Gerade erst hatte der Deutsche Bibliotheks-Verband (DBV) eine Gleichstellung von Büchern und E-Books im Verleih gefordert. Die Forderung stieß bei den meisten Verlagen nicht auf Zustimmung. Zuletzt hatte sich der Börsenverein zu dem Thema einigermaßen zurückgehalten, doch mit einer aktuellen Stellungnahme (siehe unten) ändert sich das nun.
Die Diskussion kommt nicht überraschend, denn der Verleih von E-Books gehörte in 2020 zu den stark wachsenden Bereichen. Ein Plus von 17,7% war zu verzeichnen. Kein Wunder, dass in den Bibliotheken Begehrlichkeiten wachsen, auch Bestseller zeitnah oder gleichzeitig mit gedruckten Büchern zu verleihen. Viele Verlage kritisieren, dass die Onleihe bereits jetzt die Download-Verkäufe übertreffe und ihr digitales Kerngeschäft gefährde.
Mitte der Woche hatte sich auch der Autorenverband VS/Verdi eingelassen: Die Bibliotheken forderten „dreist und zur Unzeit“ einen Eingriff ins Eigentum der Autoren und Übersetzer. Die Autoren nannten das Schreiben der Bibliotheken Lobbying.
Dazu auch: Onleihe hat im Coronajahr stark zugelegt
Nadja Kneissler, Vorsitzende des Verleger-Ausschusses des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, formuliert nun in einer Stellungnahme eine deutliche Kritik.
Ihr Schreiben hier im Wortlaut:
Die Forderungen des dbv schaden Autoren und Verlagen, denn sie zielen auf eine deutliche Einschränkung ihrer Rechte hin. Der vorgeschlagene Eingriff ins Urheberrecht hebelt die Vertragsfreiheit der Verlage aus und hätte massive Umsatzverluste bei Verlagen, Autoren und im Buchhandel zur Folge. Letztlich würden die Bibliotheken einen kostenlosen Parallelmarkt aufbauen, der schnell den bestehenden Markt angreifen und die Existenz von Verlagen und Buchhandlungen gefährden würde. Es stellt sich die Frage, ob die Öffentlichen Bibliotheken noch gemäß ihres Kultur- und Bildungsauftrags handeln, wenn sie sich von einer öffentlich geförderten Institution zu einem konkurrierenden Marktteilnehmer entwickeln.
Die wichtigsten Argumente der Verlage:
- Das derzeitige E-Book-Leihsystem „Onleihe“ funktioniert einwandfrei. Es basiert auf Lizenzvereinbarungen mit Verlagen und ist mit über 45 Millionen Ausleihen 2020 ein etabliertes und erfolgreiches Modell. Es sichert Bibliotheksnutzer*innen ein breites Angebot an Titeln und regelt gleichzeitig die Vergütung von Autor*innen und Verlagen.
- Die Möglichkeit, manche Neuerscheinungen mit einigen Monaten Verzögerung für die Ausleihe bereitzustellen, ist für Verlage und Autoren von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Denn in den ersten Monaten nach der Veröffentlichung ist die Nachfrage nach einem Titel am größten – im Buchhandel wie bei der Onleihe.
- Da in der Onleihe nur ein Bruchteil dessen erlöst wird, was über den Buchhandel in den ersten Monat für Autor*innen, Übersetzer*innen und Verlage erwirtschaftet wird, kann die Nachfrage der Onleihe nur zeitversetzt befriedigt werden, wenn den Parteien, die an der Veröffentlichung beteiligt sind, ihre wirtschaftliche Basis nicht entzogen werden soll.
- Im Falle von Bestsellern mit sehr hoher Nachfrage beträgt die Vergütung von Urheber*innen und Verlagen im Vergleich zu verkauften E-Books schon jetzt teilweise nur ca. 3 Prozent. Autor*innen und Verlage erhalten in diesen Fällen also erst nach 33 Ausleihen eines E-Books die Erlöse, die sie mit einem einzigen Verkauf erzielen würden.
- Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit von Leih- und Kaufexemplar bleiben bei E-Books nachweislich deutlich mehr Käufe aus als bei gedruckten Büchern. Denn Onleihe bedeutet perfektes Lesevergnügen zum Nulltarif. E-Books nutzen sich im Gegensatz zu gedruckten Büchern in der Ausleihe nicht ab. Deshalb müssen sie von Bibliotheken auch niemals erneuert werden.
- Die vom dbv gewünschte Gleichstellung von E-Book und Buch und eine damit einhergehende verpflichtende sofortige Zurverfügungstellung von E-Books zur kostenlosen Ausleihe würden zu hohen Umsatzausfällen bei Verlagen, Autor*innen und im Buchhandel führen. Auch die vorgeschlagene Ausweitung der sogenannten Bibliothekstantieme auf E-Books würde daran nichts ändern.
- Unter dem Strich würden die vom dbv geforderten Änderungen die Vertragsfreiheit der Verlage einschränken und ein vielfältiges und qualitativ hochwertiges Angebot an E-Books gefährden.
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