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Petra van Cronenburg: Schluss mit dem Jammern, Buchhändler

Petra van Cronenburg: Schluss mit dem Jammern, Buchhändler

Unabhängige französische Buchhändler haben ein großes Onlineportal, eine Community fürs ganze Land gestartet. Der Clou: Ich werde nicht vom Internet aus der Buchhandlung gedrängt, sondern durch das Internet an die Buchhandlung meiner Wahl gebunden. Solch gute Ideen wollen hemmungslos kopiert werden, deutsche Sortimenter!

Machen wir eine Zeitreise. Stellen wir uns vor, es gäbe fast nur noch riesige Konzerne mit Buchhandelsketten, die Verlage mit unverschämten Rabattforderungen zwiebeln und LeserInnen mit immer dem gleichen Stapelmischmasch anöden. Die unabhängigen Buchhändler haben es schwer, mischen ein wenig im Non-Book-Sortiment und in der Papeterie mit, um zu überleben. Werden sie aussterben, wenn die Kunden jetzt auch noch wegen der E-Books ins Internet abwandern?

Die unabhängigen Buchhändler sind nicht dumm. Sie schauen sich eine Idee ab, die Antiquare längst mit Erfolg praktizieren. Und sie wissen, welche Trümpfe sie in der Hand halten:

– Ausgebildete kundige Buchhändler, die persönlich Bücher empfehlen können
– Buchhandlungen, die durch Veranstaltungen Autoren und Leser zueinander bringen
– Vielfalt an Literatur und Mut zum Besonderen
– Direktkontakt mit den Lesern

Die unabhängigen Buchhändler haben aber auch Probleme:

– Lagerhaltung und Verkaufsflächen werden immer teurer
– Kunden werden fauler oder meiden die Innenstädte
– Kunden wandern ins Internet ab
– Buchhandlungen sind überregional kaum bekannt
– Buchhandlungen sind online oft nicht zu finden

Also erfinden die unabhängigen Buchhändler ein großes Onlineportal, eine Community fürs ganze Land – und sagen damit der Übermacht der Buchketten den Kampf an. Der Service liest sich phänomenal: Der Leser geht auf dem Portal shoppen. Danach kann er sich entscheiden: Innerhalb von 24 Stunden liegen die bestellten Bücher in seinem Briefkasten, wie bei anderen Online-Buchhändlern auch. Er kann es aber auch schneller haben und obendrein den Buchhändler seiner Wahl unterstützen! Und das ist der eigentliche Clou des Portals: Ich suche mir eine unabhängige Buchhandlung in meiner Nähe und kann dort innerhalb von nur zwei Stunden die bestellten Bücher persönlich abholen! Keine Frage, dass ich dort öfter auftauchen werde, wenn das System funktioniert. Voilà – plötzlich hat der faule Onliner und Kunde eine Veranlassung, den Service einer echten Buchhandlung im echten Leben zu genießen – dank Internet. Deshalb muss man kaum betonen, dass hier natürlich auch E-Books zu haben sind (mit Adobe Digital Editions zu lesen).

Es geht aber noch weiter. Auf diesem Portal kann ich nicht nur Buchhandlungen abklappern, ich lerne sogar die einzelnen dort beschäftigten Buchhändlerinnen persönlich kennen, die mich mit Buchtipps versorgen. Denn das Portal sammelt ausdrücklich BuchhändlerInnen, keine Buchhandlungen. Aha, Frau Meier in der nächsten Stadt empfiehlt ständig diese tollen Krimis – ich werde das nächste Mal in die Buchhandlung gehen, wenn Frau Meier Dienst hat! Im Internet sehe ich sie schon einmal auf dem Foto und erfahre die Öffnungszeiten und die genaue Lage der Buchhandlung.

Unabhängige Buchhändler tun natürlich nicht nur etwas für Bücher, sondern auch für ihre Autoren. Also kann ich auch die auf dem Portal kennenlernen und werde mit den neuesten Leseterminen versorgt; erfahre, wann und wo über welches Sachbuch debattiert wird – und kann mir Buchtrailer und Audiodateien anschauen. Zu allem Überfluss geben die unabhängigen Buchhändler sogar eine eigene Flash-Zeitschrift mit Videos für mich heraus. So wird die sinnliche Erfahrung Buchhandel ins Internet übertragen, ohne dass mich der Service davon abhält, die Buchhandlung auch tatsächlich körperlich aufzusuchen. Dabei bin ich nicht einmal mehr auf meine Stadt beschränkt. Vor einer Geschäftsreise oder dem Urlaub werde ich mir selbstverständlich meine Bücher in die jeweiligen Orte schicken lassen und die Buchhandlungen fremder Orte erkunden, die ich sonst vielleicht nie gefunden hätte.

Stopp, Halt. Das ist keine Utopie. Es ist leider Utopie in Deutschland, wo man lieber klagt, als gemeinsam etwas anzupacken. Das beschriebene Portal heißthttp://www.1001libraires.com/ (1001 Buchhändler) und wurde in diesen Tagen in Frankreich lanciert: buchchreport.de berichtet darüber ausführlich.

Natürlich musste ich es sofort ausprobieren. Der Run auf das Portal ist im Moment so groß, dass der Server öfter einmal muckt. Die Postleitzahlensuche will noch nicht richtig funktionieren, hilfreicher wäre es, wenn man die Karte anklicken könnte oder Großräume durchsuchen. Städte einzutippen ist leichter. Leider ist meine Buchhandlung in Wissembourg noch nicht gelistet (gleich mal nachhaken), aber das Maison de la Presse in Haguenau ist immerhin schon einmal verzeichnet, wenn auch die Empfehlungen und Buchhändler fehlen. Aber das sind auch wirklich kleine Läden. Aktiver sind mehrere Buchhandlungen in Strasbourg. Noch will das Portal also gut befüllt werden – die mutigen Pioniere, die bereits mit eigenen Buchempfehlungen auftauchen, sind natürlich am besten sichtbar. Mit diesem Content der Buchhändler wird das Portal übrigens auch stehen und fallen. Die Betreiber @1001libraires versicherten mir via Twitter, dass für die Zukunft bereits Gespräche laufen, andere frankophone Länder einzubinden.

Tatsächlich verspricht das Portal, dass ich das bestellte Buch nach nur zwei Stunden und für eine gewisse Dauer in der von mir gewählten Buchhandlung reserviert vorfinde und dort direkt bezahle – der Service ist kostenlos und ich bekomme sogar eine Bestätigung per sms, wenn ich das wünsche. Bei Bestellungen nach Hause zahle ich online per Kreditkarte (in F üblich). Die Schnelligkeit ist genial – nach Strasbourg würde ich je nach Verkehr durchaus anderthalb Stunden fahren … Im geschlossenen Kundenbereich kann ich außerdem Wunschlisten anlegen und mitverfolgen, wo sich meine Bestellung gerade befindet.

Genau das ist das Überzeugende für mich an diesem Konzept: Ich werde nicht vom Internet aus der Buchhandlung gedrängt, sondern durch das Internet an die Buchhandlung meiner Wahl gebunden. Anstatt umsonst in die Stadt zu fahren, weiß ich, dass all meine Bücher dort liegen werden, ich kenne die Ansprechpartner und erfahre von Veranstaltungen vor Ort. Nicht nur in der nächsten Stadt auf dem hier wirklich „platten Land“ – ich kann das Konzept in jeden Ort Frankreichs mitnehmen, wenn ich unterwegs bin. Dort finde ich dann auch verstecktere Buchhandlungen, über die ich sonst nie gestolpert wäre.

Die Buchhändler haben mit diesem Konzept die einmalige Möglichkeit, nicht nur ihren Laden und ihre Mitarbeiter landesweit zu präsentieren und neue Kundenschichten anzuziehen. Sie verfügen vor allem über ein einheitliches, sicheres und gut zu navigierendes Shopsystem.

Darum mein begeisterter Aufruf aus Frankreich: Liebe unabhängige Buchhändler im Nachbarland, jammert nicht, klagt nicht, sondern schließt euch zusammen. Beginnt eine Qualitätsoffensive – ihr habt so viel zu bieten. Solch gute Ideen wollen hemmungslos kopiert werden! (Übrigens würde ich dann bei Besuchen im Ausland auch öfter bei euch auftauchen – wenn ich wüsste, dass meine vorbestellten Bücher dort warten. Noch kann ich das im Grenzgebiet nur bei einem einzigen Buchhändler umständlich per Mail machen und das dauert auch schon mal länger als 24 Stunden).

Petra van Cronenburg studierte Theologie und Judaistik mit den Schwerpunkten Religionswissenschaften und Kirchengeschichte in Tübingen und absolvierte eine Volontariatsausbildung zur Redakteurin. Sie lebt heute als freie Journalistin, Buchautorin, Texterin und Übersetzerin in Frankreich.

Der Artikel ist zuerst im Blog von Petra van Cronenburg erschienen. Hier die Webseite der Autorin.

Kommentare

3 Kommentare zu "Petra van Cronenburg: Schluss mit dem Jammern, Buchhändler"

  1. @Andrea Nunne
    Irgendwie ist meine erste Antwort im Nirwhana gelandet, also nur kurz in Stichworten:
    Es handelt sich um ein begrenztes Sortiment, das mit den Teilnehmern wachsen soll; derzeit soll die Datenbank 1 Mio. Titel führen. Und offensichtlich steckt weniger Hexenwerk dahinter als ich dachte:
    Suche ich Titel X, ist dieser vorrätig oder nicht, im ersten Fall kann ich online bestellen und habe das Buch innerhalb von 24 Std. im Briefkasten. Ich kann dann auch die Postleitzahl meines Standortes eintippen.
    Wieder zwei Möglichkeiten: Das Buch ist in einer Buchhandlung in meiner Nähe vorrätig – ich bekomme sie genannt und dafür gilt die Zwei-Stunden-Regelung. Oder keine Buchhandlung in meiner Nähe hat es, dann wird es ebenfalls per Post verschickt.

    Im Moment kämpft man übrigens noch damit, die Server zu stabilisieren, die dem ersten Ansturm nicht gewachsen waren. Harte Detailkritik (fr.) gibt es bei „ebouqin“:
    http://www.ebouquin.fr/2011/04/07/1001libraires-encombrant-livre-numerique/

  2. Wie schaffen es denn die Buchhandlungen innerhalb von 2 Stunden ein Buch zu beschaffen?
    Oder basiert das Konzept auf zusammengelinkten Warenwirtschaftssystemen und es werden nur Buchhandlungen angezeigt, die die Bücher bereits vorrätig haben?
    Viele Grüße aus Hamburg
    Andrea Nunne, Bücher & Co

  3. In einem Nachtrag auf meinem Blog gebe ich noch ein paar Informationen zur Unternehmensstruktur der Plattform und zu häufig gestellten Fragen:
    http://cronenburg.blogspot.com/2011/04/nachtrag-zu-1001librairescom.html

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