SPIEGEL ONLINE nimmt sich jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle.
Diesmal: Die „Millennium“-Fortsetzung „Verschwörung“ (Heyne) von David Lagercrantz springt aus dem Stand auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Diskutiert wird die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen?
Hammelehle: Wir haben eine neue Nummer eins. David Lagercrantz hat mit „Verschwörung“ die Millennium-Reihe von Stieg Larsson weitergeschrieben. Deren erster Band, „Verblendung“, war einer der drei erfolgreichsten Romane der vergangenen zehn Jahre – mit dem besonderen Merkmal, dass Larsson ein geradezu mustergültig unbeholfen schreibender Autor war, mit einer ebenso mustergültig holzschnittartigen Weltsicht. Lässt sich eine derartige Reihe überhaupt fortsetzen?
Keller: Nicht, wenn man Larsson-Fans glaubt. Ich zitiere mal aus der vernichtenden Amazon-Bewertung eines Enttäuschten: „Es tut wirklich weh, darüber nachzudenken, was Stieg Larsson aus dem Stoff (…) gemacht hätte.“ Ich persönlich wäre da etwas gnädiger und würde sagen: Es spricht überhaupt nichts gegen diesen Versuch. Andererseits habe ich auch nie eine besondere emotionale Verbindung zu Lisbeth Salander oder Mikael Blomkvist verspürt.
Hammelehle: Angenommen, der Journalist Blomkvist säße in der Redaktion in deinem Nachbarbüro: Würdest du ihm die „taz“ ausleihen, wenn er freundlich darum bittet? Oder begegnest du leicht verschwiemelten Altlinken, wie er einer ist, mit grundsätzlicher Skepsis?
Keller: Im Gegenteil, sogar mit Grundsympathie. Er dürfte meine „taz“ jederzeit haben. Aber: Würdest du dir von Lagercrantz Ratschläge zum Schreiben holen, wenn er in der Redaktion in deinem Nachbarbüro säße?
Hammelehle: Nur dann, wenn ich vorhätte, einen sehr stromlinienförmigen Krimibestseller zu verfassen. Es liegt tatsächlich ein gewisser Grundwiderspruch darin, dass ausgerechnet ein Autor wie Lagercrantz, der kaum einen einen eigenen Stil hat, einen Schrat wie Blomkvist beschreibt. Und dann auch noch eine so extreme Heldin wie Salander. Ist sie denn das Riot-Grrrl, mit dem du gern zur nächsten Soliparty für den Bauwagenplatz gehen würdest?
Keller: Jedenfalls würde ich lieber Zeit mit ihr verbringen als mit ihrer Zwillingsschwester, aus der Lagercrantz in diesem Buch eine Hauptfigur macht. Noch unpassender als die Beschreibung des Schrats Blomqvist finde ich übrigens Lagercrantz‘ Versuche, von einem hochbegabten Forscher zu erzählen, dessen autistischer Junge eine wichtige Rolle in diesem Thriller spielt. Aus dessen durchschnittlichen Gedanken in schlichter Sprache könnte man niemals darauf schließen, wie klug dieser Mann ist. Deshalb bleibt Lagercrantz nichts anderes übrig, als den Leser immer wieder mit plumpen Behauptungssätzen daran zu erinnern. Fürchterlich.
Hammelehle: Das Plumpe zieht sich ja durch das ganze Buch. Auf der einen Seite das aktuelle Weltböse aus NSA, Spekulanten und russischer Mafia, auf der anderen Seite die reinen Seelen der europäischen Mittelschicht – über eine von ihnen heißt es stellvertretend: „Er glaubte an die Liebe. Er glaubte an eine bessere Welt und an eine gerechtere Gesellschaft. Er war der Beste von uns allen.“ Nichts gegen Liebe und bessere Welt – aber in dieser Ballung ist das für mich linker Kitsch. Bleibt eigentlich nur noch unsere Standardfrage: Und das soll ich lesen?
Keller: Lieber nicht, finde ich. Aber das würde ich wohl auch sagen, wenn das Buch von Stieg Larsson geschrieben worden wäre.
Maren Keller ist Kulturredakteurin des SPIEGEL. Sie leiht sich manchmal die „taz“ vom Kollegen aus dem Nachbarbüro.
Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur beim SPIEGEL. Es ist ihm eine Ehre, an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen zu dürfen, dass dem SPIEGEL am 26. September erstmals der neue, monatliche LITERATURSPIEGEL beiliegt.
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