Am 4. Mai wurde Amos Oz 70 Jahre alt. Zum Jahrestag erinnert buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler an Oz‘ Opus magnum „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.
Sippur al Ahawa we-Choschech
Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Roman
(hebr.; Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, 2004, R. Achlama) – Im Jahr 2002, im Alter von 63 Jahren, veröffentlichte der Autor sein umfangreichstes, fast 600 Seiten langes Werk: Seine Lebensgeschichte, die allerdings nur die ersten 20 Jahre seines Lebens umfasst, und die er bewusst nicht als Autobiographie, sondern als Roman bezeichnete. Dichtung und Wahrheit sind ineinander verwoben, zwischen Fakten und Fiktion lässt sich kaum trennen. Der fiktive Rahmen ermöglicht es Oz, seine persönliche, oft schmerzhafte Geschichte öffentlich zu machen und aus einer literarisch-ästhetischen Distanz heraus die Ereignisse und die damit verbundenen Gefühle auszuleuchten.
Amos ist das einzige Kind von Arie und Fania Klausner, die es rechtzeitig vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geschafft haben, aus Osteuropa nach Erez Israel (vorstaatliches Israel) zu fliehen, in die »verschmutzte, verschwitzte, animalische Levante«. Der Ich-Erzähler beschreibt sich als ein einsames, träumerisches Kind, das ohne gleichaltrige Freunde im Kreis der Erwachsenen aufwächst. In der »kleinen, niedrigen Erdgeschoßwohnung« im Jerusalem der britischen Mandatszeit führen die Eltern einen kleinbürgerlichen, europäischen Lebensstil. Sie sind zwar überzeugte Zionisten, können und wollen sich aber nicht der neuen, dort herrschenden Mentalität anpassen. Der hochgebildete, disziplinierte Vater spricht fließend mehrere Sprachen, hofft, an der Hebräischen Universität eine Stelle als Literaturdozent zu bekommen, muss sich aber mit einer Bibliothekarstelle an der Nationalbibliothek begnügen.
Verschlossen und selbstbeherrscht versagt Arie auch als Ehemann: Der Sohn erlebt eine Ehe, in der die Stimmung zwischen heftigen Streitigkeiten und einem beklemmenden Schweigen wechselt. Fania verfällt immer wieder in Depressionen. Als ihr Sohn 12 Jahre alt ist, macht sie ihrem Leben ein Ende. »Wäre ich dort bei ihr gewesen in jenem Zimmer zum Hinterhof […] hätte ich alles getan, um ihr Mitleid zu erregen, daß sie sich ihres einzigen Sohnes erbarme. Ich hätte geweint und gefleht, ohne jegliche Scham […] Oder ich wäre wie ein Mörder über sie hergefallen, ohne Zögern hätte ich eine Vase gepackt und sie auf ihrem Kopf zertrümmert. […] Oder hätte ihre Schwäche ausgenutzt und mich auf sie geworfen, ihr die Hände hinter dem Rücken gefesselt und ihr all ihre Pillen weggenommen […] und hätte sie alle vernichtet.«
Nach dem Tod der Mutter, über den Oz in diesem Buch zum ersten Mal schreibt, und während Aries zweiter Ehe sprechen Vater und Sohn »nur über die nötigen Alltagsdinge«. Schließlich geht der Sohn seinen eigenen Weg und entscheidet sich, noch vor Antritt des Wehrdienstes, für das Kibbuzleben.
Oz erzählt die Geschichte seiner Familie in den letzten anderthalb Jahrhunderten, die sich zu einem Panorama des Lebens osteuropäischer Juden wie auch der Einwanderer in Palästina ausweitet. Zu diesen gehören u. a. Großmutter Schlomit und ihr Hygienewahn, der legendäre Großvater Alexander, dessen Liebesleben im hohen Alter noch seltsame Blüten trieb, und Onkel Joseph Klausner, der berühmte Historiker und Literaturprofessor. In anderen Episoden kommen Schriftsteller wie S. J. Agnon und die Dichterin Zelda vor, die Grundschullehrerin und erste Leserin von Oz‘ Gedichten), sowie politische Größen, wie beispielsweise David Ben Gurion, der den 20-jährigen Oz zu sich bat, nachdem das überzeugte Kibbuzmitglied in einem Artikel behauptet hatte, »der Genosse Ben Gurion irre sich«, wenn er behaupte, Gleichheit zwischen den Menschen gebe es nicht, könne es auch nicht geben.
Das von vielen Kritikern als Oz‘ ›opus magnum‹ bezeichnete Werk ist ein Bildungsroman – ein Porträt des Künstlers als junger Mann, gleichzeitig aber auch eine nationale Autobiographie: die Geschichte des säkularen Zionismus im vorstaatlichen Israel, die von Idealen und Illusionen, Hoffnungen und Schicksalsschlägen geprägt ist.
• Lit.: H. Weiss: The Messianic Theme in the Works of A. B. Yehoshua and A. O., in: Israel and the Post-Zionists, 2003, 204–226. • H. Liron: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, in: Kirche und Israel 18, 2003, 1, 64–73. • H. Halkin: Politics and the Israeli Novel, in: Commentary 117, 2004, 4, 29–36. • G. Shaked: A Monument for the Fathers, a Beacon for the Sons, in: Modern Hebrew Literature, New Series 1, 2004–2005, 133–148. • A. J. Wolf: Marvelous Memoirs, in: Judaism 54, 2005, 1–2, 94–107.
Anat Feinberg
Zur Person: Amos Oz
geb. 4.5.1939 Jerusalem d.i. Amos Klausner 1952 Selbstmord der Mutter; ab 1954 im Kibbuz, dort Annahme des Namens Oz (›Kraft‹); Studium der Philosophie und Literatur; 1961 erste Kurzgeschichten; ab 1986 in Arad (Negev-Wüste); ab 1987 Professor für Hebräische Literatur an der Ben Gurion Universität in Beer-Scheva; aktives Mitglied der israelischen Friedensbewegung; Verfasser von Romanen, Erzählungen, Essays und Jugendbüchern; einer der führenden israelischen Schriftsteller. • Lit.: A. Balaban: Between God and Beast. An Examination of A. O.’s Prose, 1994. • G. Shaked: Geschichte der modernen hebräischen Literatur, 1996, 338 f. • A. O. Bibliografija, Hg. R. Kalman, 1998 [hebr.]. • Y. Mazor: Somber Lust. The Art of A. O., 2002. • U. Bohmeier: A. O., in: Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur, Hg. H. L. Arnold.
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