Die Rolle der IT im Verlag hat sich grundlegend gewandelt. Dieser Wandel ist noch längst nicht abgeschlossen. IT löst heute strategische Probleme. Aber wie bindet man die Experten ein?
Die Publishing Services & Retail Stage der Frankfurter Buchmesse 2019 in Halle 4.0, Stand G 91, gibt Gelegenheit zur Diskussion. Dort diskutieren am Donnerstag, 17. Oktober 2019, um 10 Uhr Publishing-Experten unter der Überschrift „Systemarchitektur flexibel und zukunftssicher“ IT- und Herstellungsexperten, welches Handeln notwendig ist, sobald Anbieter, Betreiber und Anwender von Verlags-IT aufeinandertreffen.
Im Channel Produktion und Prozesse von buchreport.de spricht Günter Pietzka, Partner der Verlagsberatung Publisher Consultants, über die Risiken einer unzureichenden Berücksichtigung der IT in verlagsstrategischen Fragen.
Welche Fehler machen Verlage bei ihren IT-Investitionen immer wieder?
Viele – beileibe nicht alle – Verlage behandeln ihre durch IT unterstützten Bereiche wie Inseln und betreiben sie auch so. Sie betreiben diverse ERP-Komponenten in hauseigenen Rechenzentren, kaufen und betreiben Telefonanlagen oder investieren in Basis-Infrastruktur wie PC, Office und Betriebssysteme, ohne das Zusammenspiel all dieser Komponenten wirklich im Blick zu haben. Das bindet die internen Kräfte, macht unflexibel und birgt hohe Kostenrisiken.
Aber trösten Sie Sich, andere Branchen sind nicht unbedingt besser – wenngleich das auch nicht richtig tröstlich ist.
Wie erklären Sie sich diese Fehler?
Ich denke, das hat zwei Gründe:
Zum einen ist die IT für solche Verlage kein Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie, sondern eher Teil einer Infrastruktur wie Strom und Mobiliar. Der Hausmeister ist nicht Mitglied des Strategieteams, deshalb platzieren sie auch ihre IT-Experten am Katzentisch, sobald es um grundlegende Entscheidungen zur Unternehmenszukunft geht.
Zum anderen denken die Verlage nicht ausreichend in Prozessen. Sinnvollerweise unterstützt der IT-Bereich die Geschäftsprozesse durch Auswahl, Betrieb und Pflege von klug ausgewählten Systemen. Und er hat die Gesamtarchitektur im Auge. Aber wenn diese Querschnittfunktion nicht gewollt ist, kümmert er sich immer nur um die Aufrechterhaltung des Status Quo. Hege und Pflege eines großen Computerzoos sind wie erwähnt dabei Teile des Problems.
Wie verändern sich die Verlagsprozesse als solche?
Sie werden vernetzter, sie werden vielfältiger und sie verändern sich schneller. Früher waren die Geschäftsmodelle über einen längeren Zeitraum stabil und die Prozesse somit auch. Heute gibt es in schneller Folge andere Produktformen und somit Geschäftsmodelle, die auf verschiedene Arten produziert, beworben und vertrieben werden. Verlage können nicht mehr alles selbst machen und müssen viele Aufgaben auslagern, aber trotzdem für deren Anbindung an den internen Prozess und für Kontrolle sorgen. Das geht nur mit einer intelligenten IT, die sich auf die Geschäftsprozesse konzentriert und nicht Toner im Drucker nachfüllt und Hausmeistertätigkeiten erledigt.
Weitere Lösungen, Impulse und Erfahrungsberichte für die Verlagsproduktion lesen Sie im Channel Produktion & Prozesse von buchreport und Channel-Partner Publisher Consultants. Hier mehr…
Kann es, sagen wir im Belletristik- und Sachbuchverlag, überhaupt verlegerische Standardprozesse geben, oder haben nicht vielmehr die Prozesse der Art zu folgen, wie in jedem individuellen Verlag Bücher gemacht und vermarktet werden?
Dumm zurückgefragt: Was unterscheidet denn einen Roman von einem Sachbuch? Abgesehen vom Inhalt und vom Käufer. Jeder Titel wird geplant, also kalkuliert und genehmigt, lektoriert, hergestellt und beworben, verkauft und honoriert. Alle Verlage versuchen, diese Prozesse zu vereinheitlichen. Wenn sie das nicht schaffen, haben sie ein Problem und wissen das auch. Es gibt natürlich ein paar Unterschiede, etwa bei der Autorengewinnung und -betreuung, in den Vertriebswegen. Doch zu 90% werden dieselben Prozessschritte durchlaufen.
Wenn Sie Ihre Prozesse für Belletristik und Sachbuch analysieren, werden Sie feststellen, dass die meisten Prozesse so ähnlich sind, dass Sie sie auch vereinheitlichen könnten. Der Grund für die unterschiedlichen Abläufe ist zumeist historisch oder organisatorisch begründet – nicht sachlich. Differenzieren Sie nur da, wo es tatsächliche Unterschiede gibt.
Wenn Sie den IT-Bedarf im Verlag von heute mit dem vor zehn und vor 20 Jahren vergleichen: Was hat sich da verändert?
Es gibt keine Systeme mehr, die für die nächsten Jahre alle Probleme lösen werden. Alle Systeme müssen in viel kürzeren Zyklen veränderbar und austauschbar sein. Dem muss man Rechnung tragen, indem man die IT-Landschaften flexibel, modular und kommunikationsfreundlich gestaltet. Die Menschen – die „User“ – sind nicht mehr so uniform, wie sie es vielleicht mal waren. Sie arbeiten von beliebigen Orten zu beliebigen Tageszeiten, allein oder im Team. Die Grenzen zwischen Kollegen, Lieferanten und Partnern sind fließend geworden.
Basis für all das – ich wage es kaum zu sagen, so abgegriffen klingt es – ist das Internet. Das Internet ist unsere Infrastruktur für Kommunikation, Datenhaltung, Systemfunktionen etc. In ein paar Jahren wird niemand mehr Begriffe wie „Server“, „Programm installieren“ und viele andere verstehen. Wir nutzen das Web schon jetzt für eine Vielzahl von Funktionen als Dienstleistungsplattform, die wir nicht selbst betreiben. Und wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung.
Was folgt aus alledem für die Anforderungen an die Architektur der prozessunterstützenden IT-Systeme?
Erstens: Die Architektur muss veränderbar und in der Lage sein, neue Komponenten zu integrieren, die mit den existierenden kommunizieren. Wenn Sie bei null anfangen könnten, würden Sie wohl eine Reihe von spezialisierten Services definieren – doch wer fängt schon bei null an. In der Realität haben Sie Systeme mit ERP-Funktionalitäten und Produktionssysteme im Einsatz. Die Hersteller und Betreiber der Systeme haben eingesehen, dass sie andere Systeme integrieren oder sich selbst integrieren müssen.
Zweitens: Dabei sollten Sie proprietäre Schnittstellen meiden. Die Gesamtarchitektur muss so ausgelegt sein, dass Sie einzelne Komponenten austauschen können, ohne die gesamte Architektur ins Wanken zu bringen, dabei hilft Ihnen eine zeitgemäße Schnittstellentechnik.
Drittens: Allgemein ist die Planung einer Architektur keine einfache Aufgabe, sie erfordert einen profunden Einblick in die Geschäftsplanung und eine permanente Kommunikation mit den Fachbereichen – und natürlich technischen Sachverstand. Planung ist ein zentraler Begriff, sprich eine Roadmap, die mit den internen Kunden der IT abgesprochen ist. Die Roadmap stellt einen abgestimmten Vorgehensplan für die nächsten Jahre dar. Sie gibt allen Beteiligten Sicherheit und hilft bei der Priorisierung der Bearbeitungsreihenfolge.
Ist die Verlags-IT von morgen teurer oder billiger als die von heute?
Sie wird nicht notwendigerweise teurer – ein vorschnelles „billiger“ bietet Ihnen nur der unseriöse Anbieter. Auf alle Fälle bekommen Sie mehr fürs Geld, die Prozesse werden besser abgebildet, der Abdeckungsgrad wird höher, weil Sie flexibler sind. Sie können besser auf Veränderungen reagieren, Ihre Investitionen und Kosten skalieren besser. Die gesamte IT-Prozessunterstützung und der Wirkungsgrad werden besser. Der spezifische Preis wird also niedriger.
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