Niemand kann voraussagen, ob der gegenwärtige Lockdown der letzte sein wird und wie sich die Kaufkraft der Konsumenten entwickeln wird. Auch jeder Medienbetrieb wird sich mit Krisenszenarien und etwaigen Turnaround-Prozessen auseinandersetzen müssen.
Eine Gefahr dabei ist Selbsttäuschung, denn eine coronabedingte Absatzkrise kann zugrundeliegende fundamentale Schwächen eines Unternehmens kaschieren. Corona sollte daher ein Anlass sein, sich über die Fundamente des Unternehmens klar zu werden. Im Channel Produktion & Prozesse von buchreport.de beschreibt Unternehmensberater Georg Kraus, wie der Weg aus der Krise gelingen kann.
Aktuell befinden sich coronabedingt viele Unternehmen in einer existenziellen Krise, von denen noch vor wenigen Monaten alle Stakeholder dachten, dass diese Unternehmen kerngesund seien. Insofern unterscheidet sich die Ist-Situation von „normalen“ Zeiten, in denen existenzgefährdende Krisen meist das Resultat eines längerfristigen Prozesses sind, in dem im Top-Management allmählich die Erkenntnis reift, dass ein Turnaround vollzogen werden muss.
In der Regel ist der Anlass hierfür ein betriebliches Problem wie
- der Umsatz sinkt (Absatz- und Umsatzkrise)
- die (Fix-)Kosten sind zu hoch (Kostenkrise)
- die Finanzierung des laufenden Geschäfts ist bedroht (Finanz- und Liquiditätskrise)
- das Management ist nicht handlungsfähig (Managementkrise).
Aus Managementkrisen erwachsen oft Existenzkrisen
Analysiert man die Ursachen, warum Unternehmen in einer Existenzkrise stecken, zeigt sich oft folgender Verlauf: Aus einer Managementkrise erwuchs eine strategische Krise. Diese führte zu einer Absatz- und Umsatzkrise, die wiederum zu einer Ertrags- und Liquiditätskrise führte, die ihrerseits die Existenzkrise auslöste.
Exemplarisch ließ sich dieser Verlauf bei vielen Automobilindustrie-Zulieferern beobachten, die in jüngster Zeit einen Personalabbau oder gar eine Insolvenz verkündet haben. Sie machten sich in der Vergangenheit oft in einem zu hohen Maße abhängig von zwei, drei Schlüsselkunden und bestimmten technischen Problemlösungen. Diese „strategische Krise“ führte – schon vor Corona – zu einer Absatz-, Ertrags- und Liquiditätskrise, die vereinzelt auch zu einer Existenzkrise wurde. Ähnliche Prozesse ließen sich im Bankensektor bei den Geldinstituten beobachten, die auf die Niedrigzinspolitik der EZB und den Strukturwandel im Finanzsektor nicht adäquat reagierten. Deshalb sollte in jedem Unternehmen ein Alarmsystem existieren, das Problemfelder in der Organisation so frühzeitig signalisiert, dass Existenzkrisen vermieden werden können.
Corona: Nicht selten nur ein Brandbeschleuniger
Ein solches Alarmsystem hätte jedoch bei der Covid-19-Pandemie in den meisten Unternehmen versagt. Denn: Mit diesem „Schwarzen Schwan“, also unvorhergesehenen Ereignis, rechnete (fast) niemand. Also war es auch nicht in den Alarmsystemen vorgesehen.
Deshalb ist aktuell auch die Gefahr groß, dass Unternehmen, die in eine existenzielle Krise geraten (sind), die Ursache hierfür allein in Corona sehen und eine tiefergehende Ursachenforschung unterlassen – ein Phänomen, das man zum Beispiel bei Automobilindustrie-Zulieferern beobachten kann.
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Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit der Frage, warum Unternehmen ein- und derselben Branche in eine existenzielle Krise gerieten und andere nicht, dann zeigt sich oft: Die Covid-19-Pandemie war zwar der Auslöser der Krise, jedoch nicht ihre (alleinige) Ursache. Sie wirkte wie ein Brandbeschleuniger, der latent vorhandene Probleme offen zutage treten ließ – sei es bei Finanzen (z.B. Eigenkapital), Marktbearbeitung (z.B. Kundenstruktur) oder Innovation (z.B. Digitalisierung, Produktentwicklung). Unternehmen, die vorschnell Covid-19 als alleinigen Verursacher ihrer aktuellen Existenzkrise ausmachen, werden diese nicht erfolgreich meistern. Auf die erste Existenzkrise wird vielmehr eine zweite folgen, weil die wahren Ursachen nicht beseitigt wurden.
»Staatsknete« verdeckt aktuell Existenzkrisen
Befindet sich ein Unternehmen in einer Existenzkrise, ist in der Regel seine Liquidität bedroht. Also gilt es diese zunächst wieder herzustellen, damit das Unternehmen zahlungsfähig bleibt. Das haben viele Unternehmen in den Monaten nach dem Lockdown auch mit Staatshilfe getan. Hierdurch wurde ihre existenzbedrohende Ist-Situation entschärft, aber nicht aufgehoben. Sie wird offen zutage treten, wenn die staatlichen Subventionen entfallen.
Dann dürfte die bisher verdeckte Krise meist schwer zu lösen sein, denn: Befindet sich ein Unternehmen (beispielsweise, weil sein Geschäftsmodell überholt ist) in einer akuten Existenzkrise, sind potenzielle Geldgeber nur noch bedingt bereit, ihm die nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, weil sie wissen, dass die angestrebte Sanierung Zeit erfordert und den größten Teil der Mittel verschlingen wird. Ähnlich verhält es sich bei Lieferanten: Sie sind oft nur noch gegen Vorkasse zu einer Zusammenarbeit bereit, sofern in ihren Augen kein überzeugendes Konzept vorliegt, wie das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur finde kann.
Die Problemwurzeln ermitteln und analysieren
Deshalb ist der erste Sanierungsschritt stets eine fundierte Analyse, warum das Unternehmen in der Krise steckt. Das heißt, sich Fragen zu stellen wie: Warum werden die „Problemlösungen“ des Unternehmens nicht mehr nachgefragt? Weil sie zu teuer sind? Oder weil sie technisch veraltet sind? Weil der Service nicht stimmt? Oder weil…?
Hierauf aufbauend gilt es dann die Gründe zu ermitteln. Beispiel „zu teure Produkte”: Weil die Beschaffungskosten zu hoch sind? Oder weil die Produktionsprozesse ineffizient sind? Oder weil die Kosten-Nutzen-Relation der Problemlösung aus Kundensicht zu niedrig ist? Oder weil…?
Erst durch dieses konsequente Nachfragen gelangt man zur den eigentlichen Problemursachen. Doch dies allein genügt nicht, um nachhaltige Problemlösungen zu entwerfen. Wichtig ist auch, sich zu fragen, warum das Problem nicht früher erkannt und gelöst worden ist: Fehlt ein Alarmsystem? Fehlt dem Unternehmen hierfür die nötige Kompetenz? Oder…?
Eine fundierte Analyse der Krisenursachen gelingt Unternehmen in der Regel nur mit externer Unterstützung, denn das nachfragende Bohren in der Ist-Situation und Historie des Unternehmens, um die Problemwurzeln zu ermitteln, ist ein schmerzhafter Prozess. In ihm werden auch Versäumnisse der Vergangenheit ans Licht gezerrt. Deshalb sind mit der Sanierung eines Unternehmens meist auch personelle Wechsel auf der Managementebene verbunden.
Ein Sanierungskonzept und -gutachten erstellen
Liegen die Analyseergebnisse vor, kann ein Sanierungskonzept erstellt werden. Darin werden die Maßnahmen, mit denen das Unternehmen seine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen will, definiert, quantifiziert, budgetiert und terminiert.
Das Sanierungskonzept dient als Grundlage für das Sanierungsgutachten. Mit ihm sollen die (potenziellen) Kapitalgeber des Unternehmens von dessen Sanierungsfähigkeit überzeugt werden. In dieses Gutachten fließen zahlreiche interne und externe Faktoren ein, wie zum Beispiel
- die Attraktivität des Marktes, in dem das Unternehmen aktiv ist
- das angestrebte künftige Geschäftsmodell
- die Geschäftsrisiken.
Im Sanierungsgutachten wird auch geprüft, inwieweit das Sanierungskonzept tatsächlich geeignet ist, das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu führen. Beurteilt werden unter anderem die Schlüssigkeit und Finanzierbarkeit der beabsichtigten Maßnahmen sowie deren Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage. Zudem werden Alternativrechnungen angestellt, die unter anderem die Planungsunsicherheiten berücksichtigen. Außerdem werden in dem Gutachten die kritischen Prämissen dargestellt, auf denen die Planungen beruhen (z.B. Markt-/Konjunkturentwicklung, Entwicklung der Rohstoffpreise, Fortbestand der Verträge mit Großkunden).
Den Meilenstein Turnaround erreichen
Aufgrund des Sanierungsgutachtens entscheiden die Kapitalgeber, ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen sie dem Unternehmen die nötigen Finanzmittel zur Verfügung stellen. Danach kann bei einem positiven Bescheid die eigentliche Sanierung beginnen, deren wichtigstes Teilziel das Erreichen des Turnarounds ist.
Gelingt der Turnaround, bedeutet das, dass sich das Unternehmen wieder in der Erfolgsspur befindet; seine Existenz ist nicht mehr akut bedroht. Der Turnaround ist somit ein zentraler Meilenstein in dem Changeprozess, der auf die Sanierung des Unternehmens und die Wiederherstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit abzielt.
Um diesen Meilenstein zu erreichen, ist meist ein Bündel von Maßnahmen nötig, die zum Beispiel abzielen auf
- eine Senkung der Fixkosten
- eine Steigerung der Produktivität und Qualität
- eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit
- ein Sicherstellen der Liquidität.
Diese Maßnahmen sind zumindest für Teile der Belegschaft meist schmerzhaft, denn mit ihnen geht neben einer Umstrukturierung häufig ein Personalabbau einher. Zudem erfordert das Erreichen des Ziels meist ein Umdenken sowie das Aufgeben liebgewonnener Routinen und Verhaltensmuster. Entsprechend schwer ist der auf einen Turnaround abzielende Changeprozess zu managen, da er meist auf Widerstände stößt.
Wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken
Gemessen wird das Erreichen des Turnarounds mittels vorab definierter Kennzahlen wie zum Beispiel Cashflow, Umsatz, Rendite, Durchlaufzeiten. Werden diese erreicht, bedeutet dies aus Change-Management-Warte, dass das Unternehmen das Tal der Tränen durchschritten hat. Es kann wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken, sofern es den eingeschlagenen Kurs beibehält. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn im Turnaround-Prozess die wahren Krisenursachen beseitigt wurden und nicht nur der Brandbeschleuniger Corona bekämpft wurde.
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