2022 steht vor der Tür. Markus Wilhelm und Theresa Bolkart von Publisher Consultants richten den Blick auf die nächsten zwölf Monate: Welche Herausforderungen stehen unmittelbar bevor, welche machen sich aus der Ferne bemerkbar, und auf welche „Überraschungsgäste“ muss sich „die schönste Branche der Welt“ gefasst machen?
Im Channel Produktion & Prozesse von buchreport.de beleuchten die beiden akute und akut werdende Themen.
Schon das Jahr 2020 hat die Verlagsbranche vor große Herausforderungen gestellt. Der Beginn der Pandemie und die dadurch bedingten Lockdowns mit schwerwiegenden Konsequenzen für Umsatz, Frequenz und Programmplanung verschärften bereits bestehende Probleme und warfen neue auf.
Das nun zu Ende gehende Jahr 2021 drehte diese Schraube noch weiter, denn es wurde klar, dass die Pandemie zahlreiche Langzeitfolgen mit sich bringt wie Lieferengpässe, Rohstoffmangel und Veränderungen bei den Arbeitsbedingungen.
Gebühren, Kosten, Preise: Wer soll das bezahlen?
Wie in so vielen Bereichen der Branche hat Corona ein Thema beschleunigt und verschärft, das uns schon länger beschäftigt: Wie sorgen wir dafür, dass die Wertschöpfungskette der Branche so funktioniert, dass die Beteiligten sinnvoll wirtschaften können?
Durch gesperrte und volle Häfen, reduzierte Produktionskapazitäten und steigende Rohstoffpreise wurden Papiere und Pappen zunächst knapp und dann teuer. Die Kosten der Verlagsproduktion steigen dadurch bis heute und das bisschen Papier, das der Umstieg auf die digitale Vorschau einspart, ist nur der berühmte Tropfen auf einen sehr heißen Stein. Höhere Energiepreise setzen auch allen anderen Teilen der Branche zu, genauso wie der von der neuen Bundesregierung geplante Mindestlohn.
Dazu kommen von der Pandemie unabhängige Entwicklungen, die schon vorher zu beobachten waren: Bücher von Spitzenautorinnen und -autoren werden mit Spitzenbudgets ausgestattet, auch wenn das den Ertrag deutlich mindert. Konditionsforderungen belasten die Verlagsetats, ein Ende der Begehrlichkeiten in Sachen „Werbekostenzuschuss“ ist nicht in Sicht, sondern wird durch aktuelle Debatten noch befeuert. Und eine immer kleiner werdende Leserschaft kauft immer weniger…
Gutes Wirtschaften war schon immer ein zentraler Erfolgsfaktor. 2022 wird es wichtiger denn je. Dabei wird es die zentrale Aufgabe sein, diese Fragestellungen ganzheitlich zu betrachten und nicht nur als ein Problem des Einkaufs, der Personalabteilung oder des Vertriebs.
- Wie teuer dürfen Buchrechte sein?
- Wie hoch Marketingbudgets?
- Stimmen meine Kalkulationen und Auflagenplanungen?
- Welche Konditionen und Rabatte kann ich gewähren, bevor meine Arbeit zum Selbstzweck wird?
Erforderlich sind transparente Kostenstrukturen, die alle Faktoren berücksichtigen und am Ende eine Antwort geben auf die Frage alle Fragen: Wie teuer müssen Bücher – gedruckt oder digital – sein, damit sich das Geschäft für die Branche noch rechnet?
Denn auch innerhalb der gesamten Verlagsbranche werden wir das Thema Kosten weiter diskutieren müssen, wie im Rahmen der Fachausschüsse des Börsenvereins bereits geschehen. Wie groß ist die Preistoleranz bei meinen Partnerinnen und Partnern in den (Konkurrenz-)Verlagen, im (Zwischen-)Buchhandel und in der Logistik? Geht die Strategie auf, Kosten immer nur umzulegen und weiterzuberechnen, und was ist der Preis, den die ganze Branche zahlt, was ist der Schaden, den ich anrichte? An welchen Schrauben kann ich drehen, welche müssen andere anpacken? Auch wenn es sich in angespannten Zeiten wie diesen nicht immer so anfühlt, rudern wir alle im selben Boot.
Unser Ziel muss es daher sein, die Branchenmann- und frauschaft auch als Ganzes zu erhalten, um weiterhin als Geschichten und (Fach-)Wissen (re)produzierendes Gewerbe relevant zu bleiben.
Nachhaltigkeit 2.0: Corporate Social Responsibility
Als Corporate Social Responsibility bekommt das Stichwort der Nachhaltigkeit, das zwar häufig angemahnt, dann aber doch oft nur mit einem korrekten CO2-Fußabdruck in Verbindung gebracht wird, eine weitere Dimension. Diese bezieht sich sowohl auf alle Arbeitsfelder und Abteilungen als auch auf die Unternehmensstrategie als Ganzes. Hier treffen sich viele Facetten von Verantwortung – ökologische, soziale und unternehmerische –, die mehr bedeuten als „grüne“ Produktion oder kostenlose Äpfel für alle als Ausdruck einer neuen Unternehmenskultur. Es geht um nichts weniger als um die Zukunftssicherung für die Menschheit und den Planeten, auf dem wir leben, und die Rolle, die wir als Personen und als Unternehmen bei dieser Aufgabe spielen. Verantwortliche tendieren in Anbetracht der Größe dieses Themas dazu, den Kopf in den Sand zu stecken und auf Altbewährtes zurückzugreifen. „Nach mir die Sintflut“ im übertragenen und im sehr konkreten Sinne. Nicht erst die großen Klimakatastrophen von 2021, die Furcht einflößenden Spaltungstendenzen in Teilen der Gesellschaft und die Coronakrise mit ihren zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen zeigen uns, dass wir mit dieser Haltung 2022ff. nicht mehr weiterkommen werden.
2022 wird es die Aufgabe der Verlage und von uns allen sein, Verantwortungsbereiche und Strategien zu definieren – gesellschaftliche, unternehmerische, ökologische und soziale – und festzustellen, welchen Beitrag wir leisten müssen, um diese Felder zukunftssicher zu machen. Auch hier beginnt alles mit einem kleinen Schritt und natürlich darf die erste Frage in die Richtung gehen, wie ökologisch verantwortungsvoll unsere Produktionswege und -mittel sind, wie klimafreundlich oder zumindest klimaneutral Verlage und Unternehmen wirtschaften, wie groß der CO2-Abdruck eigentlich genau ist und ob sich schon hier erste kleine Schritte gehen lassen. Dabei kann ein erster Gewinn sein, dass eine Konzentration auf mehr Nachhaltigkeit hilft, Kosten zu sparen und die Effizienz zu erhöhen.
Unmittelbar schließt sich dann die Frage des zukunftssicheren Wirtschaftens an, die Frage,
- wie Wertschöpfungsketten gestaltet und abgesichert werden können
- wie viel Wert wir welchen Aspekten auf unserer Kostenrolle beimessen, und zwar jenseits der reinen Zahl
- wie wir dadurch Stabilität gewinnen als Produzierende und Arbeitgeber:innen.
Mit der Frage der sozialen Verantwortung und Nachhaltigkeit sowie deren konkreter Ausgestaltung schließt sich der Kreis. Corona hat uns gezeigt, dass diejenigen Verlage am besten durch die Krise kommen, die Zeit und Energie auf stabile Kontakte und individuelle Ansprache legen, sowohl im Bereich Buchhandel als auch in Richtung Endkunden oder Logistikpartner. Die Kunst, langlebige Verbindungen zu entwickeln zu Partnerinnen und Partnern, zu den Mitarbeitenden und zur Gesellschaft als Ganzes, wird Verlage stärker definieren als je zuvor, egal ob als Unternehmen des kulturellen Lebens, als Träger von Wissenschaft und Forschung, als Geschichten- und Faktenvermittler oder einfach nur als Arbeitgeber für idealistische Menschen.
Ein erster Schritt kann sein, den Bereich der „neuen“ (digitalen) Arbeit so zu gestalten, dass es egal ist, ob wir in Zukunft „home based“ oder „office based“ arbeiten – also die Art der Arbeit so zu gestalten, dass sie kein Provisorium, sondern ein veränderungsbereites, aber dennoch stabiles Arbeits-Setting für aktuelle und kommende Büchermacher:innen wird und den neuen Gegebenheiten der Digitalisierung nachhaltig Rechnung trägt. Auch das komplexe Thema „Reisen“ – sei es das Fuhrpark- und Dienstreisen-Management, das Nachdenken über ÖPNV-Tickets oder Dienstfahrräder – bietet einen sehr konkreten Ansatzpunkt, um an dem sehr komplexen Thema CSR einen konkreten Ansatzpunkt zu finden.
Weitere Lösungen, Impulse und Erfahrungsberichte für die Verlagsproduktion lesen Sie im Channel Produktion & Prozesse von buchreport und Channel-Partner Publisher Consultants.
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KI or not KI – das ist keine Frage
2022 wird das Jahr der künstlichen Intelligenz (KI). Nicht, weil die analoge ausgedient hätte, sondern weil diese in Zukunft gebraucht wird, um sich mit wichtigen Themen wie der Datenanalyse auseinanderzusetzen, anstatt nur mechanisch Dateneingabe zu betreiben. Zudem kann der „Faktor Mensch“ als denkendes System angesichts der schnell fortschreitenden Vernetzung von Systemen und der in Blitzgeschwindigkeit fließenden Datenströme nicht mehr mithalten. Er braucht Unterstützung bei Steuerung und Monetarisierung von datengetriebenen Geschäftsprozessen, und hierbei hilft ihm die durch ihn selbst „angelernte“ KI. Wie in den frühesten Anfängen der Technisierung von Arbeitsprozessen, ist auch der Einsatz der heutigen KI nicht nur dann sinnvoll, wenn sie für zeit-, personal- und dadurch kostenintensive Prozesse und Abläufe Entlastung schafft. Sie kann auch der Ausgangspunkt für komplett neue Geschäftsmodelle sein, für ein Storytelling der Zukunft mit ganz neuen Produkten oder in ganzheitlichen Formen der Kommunikation mit verschiedenen Zielgruppen.
Betrachtet man die Verwendung der Begrifflichkeit innerhalb der Verlagsbranche, wird schnell klar, dass wir es hier aktuell im Wesentlichen mit der Automatisierung sinnvoller Arbeitsabläufe zu tun haben. Hier ist im Moment der Bedarf und damit auch der Nutzen für publizierende Unternehmen am größten. Einige Anwendungsbeispiele sind:
- Durchforstung und Selektion von Manuskripten bei Qualifiction
- Auflagenprognose auf Basis versammelter Branchendaten bei Pondus
- Online-Endkundenkommunikation mittels Chatbots
- Empfehlungsmechanismen auf Websites und Shoppingplattformen.
Was diese Ansätze gemeinsam haben: Auf Basis zuvor gesammelter Daten helfen uns diese lernenden Systeme, Daten auszuwerten und auf ihrer Basis Entscheidungen zu treffen oder Handlungsempfehlungen zu geben, Irrtum inbegriffen. Denn diese Systeme sind nur so schlau wie die Informationen, mit denen sie gefüttert wurden. Doch die selbstlernende KI ist mehr als ein Hilfsmittel bei der Big-Data-Analyse.
2022 wird also das Jahr sein, in dem wir uns fragen, was KI für unsere Unternehmen bedeutet und ob wir fit dafür sind. An welchen Stellen – und zwar ganz im Dienste von Kostenkontrolle, Effizienz und Corporate Social Responsibility – wird ein Einsatz notwendig und sinnvoll sein? Bereiche können u.a. Akquise, Produktentwicklung, CRM, Marketing, Controlling, Business Intelligence und Vertrieb sein. Ein erster Schritt kann hier sein, zunächst die technischen Hausaufgaben zu machen, die Organisation der Daten zu überprüfen und auch zu sehen, welche Abteilungen in Zukunft damit befasst sein werden und ob die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse vorhanden sind. Souverän die vorhandenen Logistikdaten lesen zu können und den ersten Grad an Automatisierung im Marketing oder Vertrieb zu erreichen, kann dabei als Jahresziel schon ausreichen – um im nächsten Jahr einen Schritt weiterzugehen.
»Change is a fact of life«
Jedes Jahr aufs Neue steht Weihnachten vor der Tür und man hofft, dass im Januar endlich alles anders, endlich alles besser wird. Allein: Wir alle wissen schon heute, dass im Januar die Fragen lauern, die wir im Dezember nicht beantwortet haben.
Das ist alle Jahre gleich. Dennoch ist 2022 ein neues Jahr. Wir haben neue Lebensrealitäten akzeptiert und wissen sie zu handhaben, Corona wird nicht verschwinden, nicht heute und nicht morgen, und wir sind darauf eingestellt. Eine neue Bundesregierung bringt neue Impulse, die sich unmittelbar auf die Arbeit der Branche auswirken werden. Und wir haben zwei Jahre lang gelernt, dass Veränderung kein Ereignis ist, das einmal über uns kommt, sondern dass sie Teil unseres Daseins ist. Ein immerwährender Strom an Aufgaben, Themen und Fragestellungen, ein „lebenslanges Trainingscenter“ für unsere kreativen, sozialen und intellektuellen Fähigkeiten.
Markus Wilhelm und Theresa Bolkart
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