New Work ist in aller Munde – seit Corona auch breit in der Buchbranche. Doch was bedeutet die „neue Arbeit“ außer dem Anschaffen von Laptops und der Bereitschaft, per Videotelefonie zu sprechen? Im Channel Produktion & Prozesse von buchreport.de geht Theresa Bolkart dieser Frage nach.
Mit einigem pandemiebedingten Schwung hat die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, nun auch in der „Branche der Beständigkeit“ erstmals richtig Fahrt aufgenommen.
Bislang kultivierte man statt digitalem Arbeiten eher papierreiche Sitzungen mit vielen Teilnehmenden, Agenden und Protokollen, die meist spurlos in der Ablage verschwanden. Man akzeptierte die Tatsache, dass Mütter und Väter aus der Elternzeit nicht Teilzeit und hybrid zurückkommen konnten und deswegen Unternehmen den Rücken kehrten, und man lästerte heimlich über den hart erkämpften Homeoffice-Tag der Kollegin, von dem man annahm, er sei ein schlecht getarnter „Frei-Tag“, an dem man zwar irgendwie online, am Ende aber dann doch eher mit Schmutzwäsche und Kaffeetrinken beschäftigt sei.
Was heißt New Work?
Inzwischen haben uns die durch die Pandemie erzwungenen New-Work-Erfahrungen neue Erkenntnisse verschafft, aber gleichzeitig verbergen sich weiter unterschiedliche Wünsche und Erwartungen hinter dem Begriff der „neuen Arbeit“.
Die einen – vor allem die Bewohner:innen der immer teurer werdenden Städte – denken an mehr Flexibilität bei der Wohnort- und Arbeitsortwahl. Wieder andere – man denke an die oft zitierte, auf 9-to-5 nicht gerade erpichte Generation Z – glauben, die Digitalisierung verflache die Hierarchien und vergrößere den individuellen Handlungsspielraum. Und dann gibt es noch die Kaufleute, die von eingesparten Quadratmetern in teuren Bürolagen träumen und von mietfreien virtuellen Konferenzen ohne Catering und Übernachtungspauschalen.
Jede dieser Erwartungen, jedes Erlebnis, das wir in den vergangenen Homeoffice-Monaten hatten und das uns der „neuen Arbeit“ nähergebracht hat, ist am Platz, jeder Wunsch hat Berechtigung. Dennoch beleuchten sie jeweils nur einzelne Facetten.
Wie alle Begriffe, die uns als Buzzwords begegnen, neigen auch die Digitalisierung und der Begriff New Work dazu, unhinterfragt im Munde geführt zu werden und sich so zu verselbstständigen und plötzlich nur um ihrer selbst willen zitiert zu werden. Doch die Digitalisierung ist kein Selbstzweck. New Work ist kein Selbstzweck. Und auch der Begriff „Purpose“, der uns in Zukunft häufiger begegnen wird, ist kein Selbstzweck, keine Mode, kein „comme il faut“. Diese Begriffe bezeichnen Megatrends, denen sich u.a. das Zukunftsinstitut mit seinem Leiter Matthias Horx seit Jahren widmet. Plötzlich werden wir mit ihnen konfrontiert, wie der Skiläufer, der einen Schneeball zur Lawine werden sieht: Jeder dieser Trends beginnt in kleinem Maßstab, gewinnt Größe und Tempo und wird uns schneller, als uns lieb ist, erreichen. Ob wir jedoch überrollt werden, können wir steuern. Besser also, vorbereitet zu sein.
Bei der Frage, wie das am besten gelingen kann, sei eine gute Bekannte zitiert, die auf die Frage, wie man mit dem ebenfalls sich lawinenartig ausbreitenden Unkraut im heimischen Garten umzugehen habe, antwortete: „Lerne es lieben“. Dieser Tipp aus dem Naturgarten ist seitdem mein geflügeltes Wort für den sinnhaften Umgang mit Veränderung.
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Technik(en) lieben lernen – online und offline
New Work heißt Technik(en). Umgehen können mit Systemen, Gerätschaften, Methoden. Das bedeutet nicht nur, sein E-Mail-Programm und die Videotelefonie im Griff zu haben, sondern auch, sich auf neue Feedback-Methoden, Tools zur Selbst- und Teamorganisation und Besprechungsformen einzulassen, sie zu lernen und einzusetzen, online wie offline.
Angestoßen und vorgelebt werden müssen derartige Veränderungen von Führungskräften, aber das bedeutet nicht, dass die einzelnen Teammitglieder aus der Verantwortung heraus sind. Lern- und Veränderungsbereitschaft ist die zentrale neue Anforderung für jeden einzelnen Beschäftigten dieser Branche. Nur so können Teams und Unternehmen als Kollektiv lernen und sich verändern.
Gleichzeitig ist das aber schwer zu implementieren. Wie schafft man ein Klima, das Lernen stützt und Fehler erlaubt? Sich dem zu stellen, ist eine große Aufgabe, die sehr viel schwerer ist, als sich auf die vordergründigen Software-Themen der Digitalisierung zu fokussieren, so als sei das „neue Arbeiten“ eine Frage von Breitband-Internet, Software-Updates und Daten-Synchronisierung. Dass natürlich trotzdem all das bereitgestellt sein muss, was technisch nötig ist, sollte man nicht extra zu erwähnen brauchen. In Zeiten des Privatrechner-Einsatzes und der schlecht gepflegten Moderationskoffer in den Verlagen ist es allerdings vielleicht doch einen Hinweis wert.
Individualität lieben lernen – der/die Einzelne ist mehr als nur Teil eines Ganzen
Der Erfinder der „neuen Arbeit“, der im Mai dieses Jahres verstorbene Frithjof Bergmann, definierte die Anforderung an das Arbeiten so: „Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit (…) sollte uns mehr Kraft und Energie verleihen (…), bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere Menschen zu werden.“
Auch wenn der Kern dieser Aussage nach wie vor als Leitgedanke dienen sollte, hat er sich doch auch verselbstständigt und führt den Arbeitenden spätestens mit der Digitalisierung in neue Zwänge. Wenn die Arbeit stärker auf mich zugeschnitten wird, muss sie mir dann dauernd Spaß machen? Wie ziehe ich eine Grenze zwischen Privatem und Beruf? Schafft ein kostenloses Stück Obst tatsächlich mehr Motivation? Und wenn ich meine Arbeit grundsätzlich gerne mache, wie sage ich dann auch mal Nein?
Nach wie vor richtig ist, dass die erfüllende Arbeit die beste Arbeit ist. Nichts motiviert so sehr, wie es Freude und Sinnhaftigkeit tun. Doch wie lässt sich das unterstützen und aufbauen? Indem Unternehmen die Individualität ihrer Mitarbeitenden als positive Kraft begreifen und den Schwung der aktuellen Entwicklungen nutzen, um wirklich individuelle Arbeitsmodelle, Entlohnungsmodelle und Erfolgsmodelle zu gestalten. Ganz im Sinne Bergmanns eine Arbeit kreieren, die die Entwicklung des Einzelnen unterstützt.
Diese besondere Form der individuellen Gestaltung in die Hand zu nehmen, ist eine wichtige Führungsaufgabe.
Was in kollaborativen Formen der Zusammenarbeit wichtig ist, und zwar sowohl auf Arbeitnehmerseite als auch auf Arbeitgeberseite, welche Erwartungen und Bedürfnisse vorhanden sind und wie man die „neue Arbeit“ mit Zielvorgaben versehen kann, die die Effizienz des Unternehmens steigern – das alles muss individuell, sprich: auf die einzelne Person ausgerichtet, diskutiert und festgehalten werden.
New Work bedeutet gleichzeitig mehr Freiheit, und Freiheit heißt Verantwortung für jeden Einzelnen. Insofern bedeutet die Konzentration auf die Bedürfnisse des Einzelnen auch, diesen als Mitarbeitenden stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Vertrauen lieben lernen – „Sharing is caring“ statt „Divide et impera“
Wie durch ein Brennglas sehen wir in der aktuellen Arbeitswelt, die nicht nur von der Digitalisierung bestimmt ist, sondern auch von nachwachsenden Arbeitnehmenden, denen Hierarchien so fremd sind wie ihnen Mitbestimmung wichtig ist, dass die oftmals veralteten Entscheidungshierarchien und komplizierten Abstimmungswege nun endgültig ins Nichts führen.
Doch die Verlagswirtschaft liebt ihre Hierarchien. In einer Welt, in der es de facto gar nicht so viele Aufstiegsmöglichkeiten gibt, bemisst sich die Wichtigkeit Einzelner gerne noch immer an der Anzahl der Fenster im Büro, der Pseudo-Titel, für die die Personalabteilung gerne kreativ wird, und der Länge des „Dabeiseins“ in einer Branche, die in einigen Bereichen keine geregelten Zugänge und deswegen auch oft keine harten Eignungsfaktoren neben der Zahl der Dienstjahre kennt.
Diese Form der Unternehmenskultur gehörte schon vor Corona der Vergangenheit an, und nach Corona ist man damit endgültig in der Steinzeit angekommen.
Und auch hier kann die Führungskraft das Mindset vorleben, soll Vertrauen als Basis gemeinsamer Arbeit funktionieren, aber auch hier sind die Teammitglieder in Pflicht und Verantwortung.
In der Veränderung das Beständige feiern
New Work ist kein Selbstzweck. Es ist die Konkretisierung gesamtgesellschaftlicher Megatrends in der Arbeitswelt. In einer Gesellschaft, in der alles individuell ist – Lebensmodell, Ernährung, Playlist – und die sich, ob wir wollen oder nicht, immer weiter digitalisiert, umfasst der Begriff der „neuen Arbeit“ die Herausforderung, diese Trends auch für die Effektivität und Produktivität von Unternehmen zu interpretieren und zu nutzen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es, bei all der Individualität trotzdem eine Gemeinschaft zu bleiben, wie gelingt es uns, nicht in viele Communities zu zerbröseln?
Ich denke, in diesem Punkt können wir auf das vertrauen, was die Branche rund ums Buch seit jeher ausmacht: den persönlichen Kontakt und die intrinsische Motivation. Neben der Befriedigung, die es verschafft, Teil der Kulturlandschaft dieses Landes zu sein, und erfüllten KPIs, die immer auch sein müssen, sind als weitere große Faktoren die Emotion und das Netzwerk relevant. Selbstlos Türen öffnen, Netzwerke als Stabilitätsfaktoren begreifen und Raum schaffen für Austausch online, aber erst recht in Präsenz: Das hört sich nach „Old Work“ an. Das ist es auch und das darf es auch sein. Weil das Streben nach Verbundenheit ein zentrales menschliches Bedürfnis ist, und daran ändert kein Megatrend der Welt etwas.
Das ist dann auch der letzte Aspekt von gelungener „neuer Arbeit“: Zu akzeptieren, dass man nicht ALLES neu macht um des Neumachens willen. Sondern, dass Reden und Handschütteln resp. die „Ghetto-Faust”, die man neuerdings bemüht, der Individualität erst den gemeinschaftlichen Rahmen gibt, um wirksam zu werden. Wie das geht, hat die vergangene Frankfurter Buchmesse eindrücklich bewiesen, wo in den Gängen und Fluren der (spärlich besuchten) Hallen mit Händen zu greifen war, dass man zwar das rein Geschäftliche gut im Digitalen abwickeln kann, die wahre Verbindlichkeit aber offline entsteht.
Theresa Bolkart
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