Die Diskussion um Einsparpotentiale in der Druckvorstufe ist so alt wie es überhaupt IT in der Medienbranche gibt. Und sie ist ausgereizt. Doch nun kommt eine neue Technologie: PrintCSS. Der offene Standard verspricht zusätzliche Märkte für Buchinhalte. Was steckt wirklich dahinter?
Bei der digitalen Transformation geht es fast nie (nur) darum, vorhandene Geschäftsmodelle noch ein wenig effizienter aufzustellen und damit Einsparpotentiale zu nutzen. Es geht vielmehr auch darum, die eigenen Geschäftsmodelle zu hinterfragen und gegebenenfalls neu aufzustellen. Und wenn Satztechnologien kombiniert mit Web-Technologien neue Chancen für Medieninhalte und damit neue Märkte schaffen, die anders funktionieren, muss auch die Frage nach der Satz-Qualität anders gestellt werden. Tobias Ott, Experte für XML und die digitale Transformation der Medienbranche, beleuchtet im Channel Produktion & Prozesse auf buchreport.de die strategische Komponente von herstellerischen Entscheidungen und insbesondere von PrintCSS.
Mit dem „paged media module“ von CSS, das in der Branche umgangssprachlich als PrintCSS bekannt ist, hat das W3C – das World Wide Web Consortium – eine Technologie bereitgestellt, die das fehlende Glied in einer automatisierten Produktionskette sein könnte.
Jedes professionelle Satzsystem, jede Layoutsoftware definiert sich heute über die Möglichkeiten, Prozesse zu automatisieren und daraus Effizienzgewinne zu erzielen.
Denn während bei der Produktion aller elektronischen Formate – E-Books, Webseiten, Apps, Shop-Anbindungen etc. – stets angestrebt wird, diese vollautomatisch zu erstellen, nimmt die Print-Produktion diesbezüglich immer noch den Sonderstatus der Manufaktur ein.
Für die klassische Buchproduktion mag das angehen – wollen wir aber Print-Produktionen ähnlich schnell, individualisiert und personalisiert auf den Markt bringen, wie es die Druck-Technologie schon längst zulässt und wir das digital ganz selbstverständlich tun, kommt die tradierte Produktionsweise an ihre Grenzen. Genau hier setzt PrintCSS an – eine Technologie, die neue Verlagsprodukte ermöglicht und die nebenbei gleichzeitig in der Lage ist, bei vielen klassischen Buchproduktionen die Vorstufenkosten radikal zu senken.
Im Moment wird in der Medienbranche PrintCSS vor allem zu Letzterem eingesetzt: Durch den Austausch einer Technologie durch eine effizientere sollen – bei akzeptabler Qualität – Kosten reduziert werden. Das ist zu kurz gesprungen. Eine neue Technologie nur dafür einzusetzen, die letzten paar Prozent des Einsparpotenzials aus einem bereits seit 500 Jahren immer weiter optimierten Produkt zu pressen? Das hieße, diese Technologie massiv zu unterschätzen. Denn sie wurde für etwas anderes entwickelt.
PrintCSS hat das Potenzial zur Disruption einer ganzen Branche. Wenn wir es intelligent einsetzen, kann es Verlage zu neuen Geschäftsfeldern und neuer Relevanz in der digitalen Gesellschaft führen. Wenn wir hingegen ignorieren, dass wir es mit einer disruptiven Technologie zu tun haben, hat PrintCSS aber auch das Potenzial, den Niedergang unserer Branche zu beschleunigen. Und damit kommen – neben den herstellerischen und kaufmännischen Aspekten – noch zwei weitere hinzu: der strategische und der gesellschaftliche Aspekt.
Die Formatierungssprache CSS soll ausgebaut werden zu einer universellen Formatierungssprache für alle Medienformen – auch für gedruckte Medien.
Doch der Reihe nach. Was verbirgt sich eigentlich hinter „PrintCSS“, das fast schon wie ein Geheimtipp gehandelt wird? Beginnen wir technisch. PrintCSS – eigentlich: das „CSS3 paged media module“ – ist der weltweite offene Standard zur vollautomatischen PDF-Generierung aus strukturierten Daten.
Ein formaler „Standard“ im engeren Sinne ist PrintCSS zwar noch nicht – die Technologie hat noch nicht den „recommendation status“ des W3C. Wir können PrintCSS aber dennoch getrost als den „neuen Standard“ bezeichnen, denn die Technologie hat schon vor Jahren begonnen, den „alten“ W3C-Standard XSL-FO abzulösen. Die XSL-FO-Arbeitsgruppe im W3C ist schon seit 2017 geschlossen, PrintCSS blieb als einziger erkennbarer offener Standard zur PDF-Generierung übrig.
Es wird also gerade – schon das sollte uns innehalten lassen – durch die Institution, die die Technologien des gesamten Web verantwortet und weiterentwickelt, ein weltweiter Standard zur automatisierten PDF-Generierung entwickelt. Präziser: Die Formatierungssprache CSS (Cascading Stylesheets; die Sprache, über die sämtliche Webseiten, E-Books und auch die meisten Apps formatiert werden) soll ausgebaut werden zu einer universellen Formatierungssprache für alle Medienformen – auch für gedruckte Medien.
Buchsatz funktioniert wie die Erzeugung einer Website
Die Zielsetzung ist klar: Die Erzeugung von PDF soll künftig so einfach sein (und technisch genauso funktionieren) wie das Rendern von Webseiten.
Das Prinzip des Web-Publishing hat das Rennen um die zukunftsweisende Produktionsmethode für alle Kanäle gewonnen.
Damit verschiebt sich ein Fokus der gesamten Publishing-Branche ganz wesentlich: In den Anfangstagen des Internets hatten sich Aufbau und Gestaltung einer Website mehr oder weniger an den Lesegewohnheiten im Gedruckten orientiert (online follows print). Dem folgte eine Phase gleichberechtigter Medienformen von print und digital: Print im aufwendigen, individuellen Layout, Digital im regelbasierten (=vollautomatischen), aber nicht weniger ansprechenden Design. Und nun? Die Methode des vollautomatischen Umbruchs soll der Normalfall werden, Print damit in moderne, contentzentrierte Produktionsprozesse völlig neu eingebunden werden.
Man könnte sagen: Das Prinzip des Web-Publishing hat das Rennen um die zukunftsweisende Produktionsmethode für alle Kanäle gewonnen.
Werfen wir daher zunächst einen kurzen Blick auf dieses Prinzip.
Um eine Webseite graphisch darzustellen, werden eine HTML-Datei sowie das zugehörige CSS-Stylesheet – also eine Datei mit Layoutregeln – an den Browser übergeben. Dieser weist nun die jeweiligen Formatierungsregeln den einzelnen Strukturen der HTML-Datei zu und erstellt so in Echtzeit die graphische Abbildung der Inhalte.
Dieses Prinzip wird nun mit PrintCSS auf die PDF-Erzeugung angewendet: Man übergibt eine HTML- oder XML-Datei zusammen mit einem PrintCSS-Stylesheet an eine „Rendering Engine“, also ein Satzsystem, und erhält in wenigen Sekunden das fertig umbrochene Ergebnis. Eine Illusion? Keineswegs. Warum sollte sich etwas, das täglich billionenfach im Web funktioniert, nicht auch auf gedruckte Seiten übertragen lassen?
Womit wir beim disruptiven Potenzial von PrintCSS wären.
Und das hat zwei Seiten. Zunächst die gute Nachricht: PrintCSS kann für Verlage eine Eintrittskarte in die Welt personalisierter und individualisierter Verlagsprodukte sein. „Auflage Eins“ wird endlich rentabel möglich und erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle. So wie jede Fahrkarte bei der Deutschen Bahn (die nach dem gleichen Prinzip, allerdings derzeit noch mit der Vorgängertechnologie XSL-FO, täglich über eine halbe Million Einzel-PDFs generiert) vollautomatisch umbrochen wird, lassen sich auch neue Verlagsprodukte und -services konzipieren und erstellen.
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Damit lässt sich nicht nur dem Trend sinkender Auflagen Rechnung tragen – das wäre wieder nur das Ausschöpfen des Einsparpotenzials –, sondern proaktiv dem gesellschaftlichen Megatrend der Personalisierung und Individualisierung unseres Lebens begegnen. Personalisierte Bücher, das viel beschworene „Chapter-based-business“, individuelle Zusammenstellungen von Lernmaterialien für den Nachhilfe-Markt oder auch die Bereitstellung jedes Buches eines Verlagsprogramms im Großdruck für ältere und sehbehinderte Menschen: Endlich gibt es eine Technologie, die Verlagscontent auch in gedruckter Form mit der modernen Gesellschaft neu zusammenbringen kann.
Und die schlechte Nachricht? Wir werden diesen Markt nicht allein bedienen. Abermals sehen sich die Verlage einer fast übermächtigen, schwer greifbaren Konkurrenz gegenüber. Wenn die Schlüsselqualifikation, Inhalte in eine ästhetisch ansprechende Lesetypographie zu überführen, kein Alleinstellungsmerkmal von Verlagen mehr darstellt, wenn der Unterschied zwischen einem perfekten InDesign-Umbruch und einem automatisch generierten PrintCSS-Umbruch vom Markt nicht mehr wahrgenommen wird, können wir uns weniger denn je auf den alten handwerklichen, ja künstlerischen Tugenden ausruhen.
PrintCSS wird dazu führen, dass Verlage ein weiteres Alleinstellungsmerkmal verlieren.
Doch das ist noch nicht alles. Wir stehen vor einem radikalen Wandel in der gesamten Infrastruktur und Lebenswirklichkeit unserer Kundinnen und Kunden. Denn die Technologie, professionelle PDFs zu erzeugen, wird künftig jedermann zur Verfügung stehen. Ich möchte diese These aus einem einfachen Dreisprung ableiten:
- CSS ist Browsertechnologie und kostenlos. Jeder Browser ist ein „Online-Satzsystem“ und kann CSS verarbeiten.
- PrintCSS ist keine neue Technologie, sondern eigentlich „nur“ eine Erweiterung dieses milliardenfach verbreiteten Standards. Es verdichten sich die Anzeichen, dass künftig auch PrintCSS im Browser lauffähig sein wird.
- Damit wird jeder Browser zum Satzsystem, jeder Leser zum Setzer. Dann werden wir allein in Deutschland ca. 200 Millionen Satzsysteme haben.
Und diese neue Infrastruktur wird den Markt verändern. Verstehen Sie jetzt, warum ich nicht nur über das kaufmännische Einsparpotenzial von Satzautomation schreiben wollte?
Die freie Verfügbarkeit einer Technologie ist für sich genommen freilich noch keine schlechte Nachricht, sondern eigentlich eine gute, da wir uns, wie oben dargestellt, dieser Infrastruktur zur Umsetzung neuer Geschäftsmodelle bedienen können. Aber sie wird dazu führen, dass Verlage ein weiteres Alleinstellungsmerkmal verlieren: die Fähigkeit zur Erstellung professioneller, gut lesbarer Drucksachen. Dabei möchte ich ausdrücklich nicht das Bild von Lesern malen, die sich künftig „den Goethe“ (und es ist immer Goethe, der hier als Beispiel herhalten muss) selbst am Rechner ausdrucken. Warum sollten sie auch?
Es geht vielmehr um den psychologischen Aspekt einer generellen Erwartungshaltung der Leserinnen und Leser gegenüber den Angeboten von Verlagen: Es wird normal werden, individuelle PDFs zu generieren. So wie es für uns alle längst normal ist, mit dem Smartphone Photos und Videos zu erstellen, so wie man heute einen 3D-Drucker beim Discounter kaufen kann, so wie man sich Bücher kostenlos nach Hause liefern lässt, anstatt in die Buchhandlung zu gehen. Warum sollten ausgerechnet die Zusammenstellung von Content und dessen PDF-Ausgabe ein Problem sein? Den Anfang solcher Angebote wird die Industrie machen – seien es individualisierte Bedienungsanleitungen für komplexe Maschinen, eine von einem Ernährungsberater individuell zusammengestellte Diät-Rezeptsammlung (mit angeschlossenem Digitaldruck-Angebot) oder personalisierte Werbung.
Und bei Verlagen bekomme ich als Leser „nur“ Auflage? Auf mich als Individuum wird überhaupt nicht eingegangen? Ich kann die Schriftgröße nicht selbst bestimmen? Wagen wir den Blick in die Glaskugel der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung nur der nächsten fünf Jahre, dann ist ein solches Zukunftsszenario alles andere als unwahrscheinlich.
Bereiten Sie sich auf die neuen Märkte vor
Was also tun? Die Antwort ist relativ einfach: Bereiten Sie sich auf die neuen Märkte vor. Die Möglichkeiten, die PrintCSS eröffnet, bieten definitiv mindestens so viele Chancen wie Risiken. Denn wir Verlage haben nach wie vor unser wichtigstes Alleinstellungsmerkmal: Wir haben exzellenten Content. Mehr denn je gilt es, aus diesem Content passgenaue Angebote für eine digitale Gesellschaft zu machen.
Wenn wir PrintCSS intelligent einsetzen, kann es Verlage zu neuen Geschäftsfeldern und neuer Relevanz in der digitalen Gesellschaft führen.
Was heißt es nun, sich auf die neuen Märkte vorzubereiten? Für den Einsatz von PrintCSS gibt es eigentlich nur eine Voraussetzung: Die Inhalte müssen in medienneutraler Form, also als XML, vorliegen. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob die Daten in einem „XML-first“- oder einem „XML-last“-Prozess entstehen. Bei einem XML-last-Prozess, wo die XML-Daten aus den Satzdaten erstellt werden, ist zwar der kaufmännische Nutzen ggf. geringer, weil ja bereits ein konventioneller Satzprozess durchlaufen wurde; doch auch dann kann PrintCSS für Nachauflagen, Großdrucke, Neuzusammenstellungen des Contents etc. zum Einsatz kommen.
Anders bei XML first. PrintCSS ist auch ein Bekenntnis des W3C zu diesem „XML-first-Publishing“, auf das die Publishing-Industrie zunehmend hinsteuert. Es ist heute einfacher denn je, eine Content-Strategie basierend auf XML zu entwickeln – auch für kleine Verlagshäuser. PrintCSS wird nur selten der einzige Grund für einen Verlag sein, eine XML-Strategie zu entwickeln. Aber PrintCSS ist für immer mehr Verlage der letzte noch fehlende Baustein, um sich endlich systematisch in Richtung einer digitalen Gesellschaft zu bewegen.
Es gilt jetzt, mit Individualisierungen unseres Contents zu experimentieren, auch im Format. Eine groß angelegte, verlagsübergreifende Kampagne „ab sofort gibt es jeden Belletristik-Titel auch im Großdruck“ würde aus Gründen der Corporate Social Responsibility der gesamten Branche gut anstehen, denn sie wäre eine adäquate Antwort auf die älter werdende Leserschaft gedruckter Bücher.
Es gilt jetzt, Angebote zu erstellen, die unsere Autorinnen und Autoren vom Selfpublishing zurückholen. Denn die PrintCSS-Technologie wird es auch hier viel einfacher machen, professionelle Bücher selbst zu erstellen. Dem sollten wir uns mit interessanten Angeboten entgegenstellen. Die E-Book-Labels, die von vielen Verlagen gegründet werden und zum Teil sehr erfolgreich sind, zeigen hier in die richtige Richtung. Schon heute wird damit geworben: Schau her, liebe Autorin – wenn Dein E-Book erfolgreich ist, übernehmen wir es in ein gedrucktes Format. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass hinter jedem E-Book ohnehin medienneutrale Daten stehen, wäre es ein leichtes, dieses Angebot zu erweitern: Bei uns bekommst Du sofort beides. Das E-Book im regulären Vertrieb, das über PrintCSS vollautomatisch erstellte PDF als Zusatznutzen im PoD.
Mit PrintCSS Kosten sparen
Dabei gilt: PrintCSS eignet sich nicht für jedes Layout, nicht für jedes Publikationsprojekt. Denn PrintCSS dient ausdrücklich der automatisierten – idealerweise vollautomatischen – Satzausgabe. Layoutintensive Einzelseitengestaltung wird auch längerfristig den Layoutprogrammen wie InDesign vorbehalten bleiben. PrintCSS löst damit die bestehenden Satz-Technologien nicht ab, sondern ergänzt sie.
Aber es gibt eine große Schnittmenge von Publikationen, die mit beiden technologischen Ansätzen – manueller Satz oder automatisierter Satz – erstellt werden können. Und hier sind über PrintCSS tatsächlich große Einsparpotenziale zu erreichen. Selbst wenn die gesamten Konvertierungskosten eines Manuskripts nach XML mit in die Kalkulation einbezogen werden (das Vorhandensein von XML-Daten also nicht strategisch, sondern ausschließlich als notwendiger Produktionsschritt zum Einsatz von PrintCSS angesehen wird), liegen die Einsparungen häufig bei 30 bis 50% der Vorstufenkosten. Wenn die Konvertierung nach XML als Teil einer Content-Strategie nicht komplett auf die Vorstufenkosten umgelegt wird, sind Einsparungen bis zu 80% realistisch. Das sind Zahlen, die nicht ignoriert werden sollten.
Durch den Austausch einer Technologie durch eine effizientere sollen – bei akzeptabler Qualität – Kosten reduziert werden. Das ist zu kurz gesprungen.
Die Einschätzung aber, das PrintCSS mehr kann – und mehr verändern wird – als nur eine (Kosten-)Optimierung bestehender Produktionsketten, ändert sich dadurch nicht.
Daher gilt es jetzt auch, die Rolle von Verlagen als wichtigen Informationslieferanten in der digitalen Gesellschaft neu zu finden. Selbstbewusst, technologieaffin und marktzugewandt.
PrintCSS kann dazu einen großen Beitrag leisten.
Tobias Ott, Jahrgang 1969, studierte an der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart Verlagswirtschaft und Werbewirtschaft und unterrichtet dort seit 1996 die XML-Technologien. Er ist Geschäftsführer der pagina GmbH Publikationstechnologien und berät und begleitet Verlage auf dem Weg durch die digitale Transformation.
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