Mit wachsender Komplexität und Volatilität des Geschäfts steigt die Bedeutung von Projekten. Oft gehen aber bereits die Vorstellungen auseinander, was ein Projekt ist, und das sorgt für Unruhe unter den Beteiligten.
Martin Gläser, langjähriger Professor an der Hochschule der Medien Stuttgart, beschreibt im Channel Produktion und Prozesse auf buchreport.de die Grundlagen des Projektmanagements. Im 2. Teil seiner Serie erklärt er anhand von Beispielen aus unterschiedlichen Mediengattungen unterschiedliche Projekttypen und die Besonderheiten ihrer Steuerung.
Rolle und Bedeutung der Projektleitung
Im Projektmanagement kommt der professionellen Projektleitung eine zentrale Rolle zu, gerade auch in einer ungewöhnlich vielseitigen und komplexen Projektlandschaft, wie sie bei Medienprojekten regelmäßig anzutreffen ist.
Die Aufgabe der Projektleitung besteht in der Planung, Steuerung und Integration aller zur Erreichung der Projektziele notwendigen Arbeiten. Sie ist für die Erfüllung des Projektauftrags und die Erreichung des Projektziels innerhalb des Teams und im Hinblick auf den Auftraggeber verantwortlich. Sie ist die Stelle, die mit den externen Stakeholdern, insbesondere dem Auftraggeber, Kontakt hält, das Projekt nach außen vertritt und für die Projektresultate geradesteht. Intern soll die Projektleitung eine Team-Performance auf hohem Niveau sicherstellen.
Die Performance eines Projektteams lebt davon, dass die Projektleitung die ihr zugedachte spezifische Führungsrolle ausübt. Ein Projektleiter hat insofern unabhängig von seinen persönlichen Präferenzen innerhalb eines Projekts eine bestimmte Rolle zu spielen. Eine Rolle ist ein Instrument, mit dem das Verhalten eines Positionsinhabers konkret vorgeschrieben und standardisiert wird.
Unter Rolle wird ein Bündel von Erwartungen an das Verhalten einer Person verstanden, woraus sich die Interpretation ihrer Aufgaben, ihrer Rechte und Pflichten sowie ihres Handlungsspielraums ergibt. Bezogen auf das Projektmanagement stellt eine Rolle die Summe der Verhaltenserwartungen dar, die von den Teammitgliedern sowie von den externen Stakeholdern auf den Inhaber einer bestimmten Projektposition projiziert werden.
In der Regel wird dabei nicht nur eine einzelne Rollendefinition zur Debatte stehen, sondern ein ganzes „Rollen-Set“ („Rollensatz“) als Zusammenfassung aller Positionen, die der Projektleiter hat. Abbildung 1 zeigt das Spektrum eines Rollen-Sets für einen Projektleiter.
Abb. 1 Spektrum des Projektleiter-Rollen-Sets
Das formale Rollen-Set eines Projektleiters bezieht sich auf die Sach- und Beziehungsebene und kann wie folgt beschrieben werden:
- Erstellung Projektplanung, Überwachung der Realisation
- Aufbau eines leistungsfähigen Teams
- Personalführung (Motivation, Rollendefinition der Teammitglieder, Zielsetzung, Kommunikation, Lernprozesse generieren)
- Sicherstellung der Informationsflüsse und Dokumentation
- Koordination aller Teamaktivitäten
- Projekt-Vertretung nach innen und gegenüber den Stakeholdern.
Neben formalen sind auch informelle Rollen wie der Fachpromotor (er treibt die inhaltlichen Ergebnisse des Projekts voran), der Machtpromotor/Sponsor (er sorgt dafür, dass das Projekt im Unternehmen Unterstützung und Ressourcen erhält) und der Prozesspromotor (er ist Bindeglied zwischen Fach- und Machtpromotor) zu beachten.¹
Medienprojekte leben von Kreativaufgaben und zeichnen sich durch die Ansammlung von (zumeist ausgesprochen selbstbewussten) Fachexperten aus. Die Handlungsfähigkeit des Projektleiters hängt in dieser Konstellation nicht nur von seiner Rolle und von seiner Führungsleistung ab, sondern auch von seinem Status. Der Status entscheidet über die hierarchische Positionierung des Projektleiters im Team.
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Unter Status wird verstanden, wie weit ein Mitglied von den Erwartungen der Gruppe abweichen kann, ohne Sanktionen von der Gruppe befürchten zu müssen. Dieses als „Idiosynkrasiekredit“ bezeichnete Phänomen ist ein Indikator für das Ausmaß des Zusammenhalts in der Gruppe (Gruppenkohäsion). Je mehr Kredit der Projektleiter hat, desto höher ist sein Status. Allerdings wird mit zunehmendem Status die Zusammenarbeit im Team schwieriger. Bei kleineren Projekten ist es hilfreich, wenn die Teammitglieder gleichrangig sind und der Projektleiter die Rolle des Koordinators ausübt. Der Status gibt an, welche Wertschätzung die Mitglieder eines sozialen Systems, also zum Beispiel eines Projekts, einer bestehenden Position zuweisen.²
So überrascht es nicht, wenn die Empfehlung gegeben wird, dass sich der Projektleiter eines Medienprojekts in seinem Team am ehesten als „primus inter pares“ definieren sollte und Führung durch Befehl und Weisung eher nicht praktiziert. Führung im Team versteht er daher eher als eine Dienstleistungsfunktion zur Erstellung der Leistung, zur Problembewältigung und zum Teamerhalt. Führung ist für ihn ein Vorgang in und mit dem Team, das jederzeit partizipativ beteiligt ist. Wann immer möglich, wird sich das Team in Teilbereichen sogar selbst führen, der Projektleiter also nur noch eine koordinierende Rolle ausüben.
Bedeutung des Steuerungskonzeptes
Vor dem Hintergrund der Besonderheiten von Medienprojekten stellt sich die Frage nach der geeigneten Steuerungsmethode. Es ist zu erwarten, dass Vorgehenskonzepte, die zum Beispiel im Industriebereich oder in Dienstleistungsbranchen erfolgreich angewandt werden können, sich nicht automatisch auch für Medienprojekte eignen.
Project Governance
Die Frage nach dem geeigneten Vorgehensmodell ist Gegenstand der sog. „Project Governance“, mit der die Art und Weise bestimmt wird, wie das Projekt zum Erfolg geführt, also „gemanaged“ werden soll.
Project Governance beschreibt die Mechanismen der Steuerung, Lenkung und Koordination im Hinblick auf die zielorientierte Gestaltung der Abläufe und Strukturen im Projekt. Der Begriff Governance meint die Art und Weise, wie ein System (Staat, Organisation, Projekt) gesteuert wird (abgeleitet von „to govern“: regieren, lenken).
Im Kontext des Projektmanagements bezieht sich Project Governance auf das Zusammenspiel von Auftraggeber und Auftragnehmer als die entscheidenden Stakeholder.
Abbildung 2 wirft ein Licht auf das Spannungsfeld, in dem sich diese während des Projektgeschehens bewegen: Im Briefing erfolgt die Präzisierung der Projektgrundlagen und der Zielvorstellungen. Auf der Grundlage des Zielsystems setzt der Auftragnehmer den Projektleistungsprozess in Gang („Leistungsprozess“), den er durch Führungskonzepte wirkungsvoll steuern muss („Managementprozess“).
Die Performance des Projekts steht und fällt mit der Performance des Auftragnehmers als Realisator der Projektleistung bzw. des Projektprodukts.
Abb. 2 Projektmanagement-Referenzmodell
Typen von Vorgehensmodellen
Eine zentrale Frage im Kontext von Project Governance betrifft das zugrunde zu legende Konzept der Leistungserstellung. Dies betrifft die Frage, mit welchem Vorgehensmodell das Projektergebnis erzeugt werden soll und wie das Vorgehensmodell die Gestaltung der Phasen der Konzeption, Planung und Durchführung beeinflusst. Dabei ist festzustellen, dass je nach dem Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung unterschiedliche Modellansätze angezeigt sind. Nur wenn ein „Fit“, also die Passgenauigkeit zwischen Schwierigkeitsgrad und Vorgehensmodell gegeben ist, wird eine hohe Performance garantiert.
Im Kontext des weiten Feldes der Medienprojekte ist zu kritisieren, dass die Frage nach dem Vorgehensmodell häufig nicht aufgeworfen wird, da den Beteiligten im Grunde nur das – dem menschlichen Denken offensichtlich nächstliegende und nachfolgend darzustellende – „Wasserfallmodell“ in den Sinn kommt, die einfachste Form eines sequenziellen Vorgehensmodells. Eine solche Denkfigur ist hilfreich, stößt aber an Grenzen. Dass auch andere Konzepte dem Projekt zugrunde gelegt werden könnten, bleibt oft unreflektiert. So ist zum Beispiel bei Multimedia-, IT- und Software-Projekten das Arbeiten in Phasen die Ausnahme. Dort wird – wie zu zeigen ist – eher „prototyporientiert“ vorgegangen.
Die Frage nach dem Typus des Vorgehensmodells ist für die Beurteilung der Project Governance als besonders kritisch zu bezeichnen. Grundsätzlich können die folgenden Vorgehensmodelle unterschieden werden³:
- Sequenzielles Vorgehensmodell
- Prototypisches Vorgehensmodell
- Wiederholendes Vorgehensmodell
- Wiederverwendungsorientiertes Vorgehensmodell
Bei den sequenziellen Modellen, auch als „Phasenmodell“, „Wasserfallmodell“, „Life Cycle-Modell“ bezeichnet, wird angenommen, dass die Arbeitsschritte in einer linearen Abfolge erfolgen. Rücksprünge oder Iterationen von einer Phase in frühere Phasen sind dabei ausgeschlossen. Nachfolgende Abbildung 3 zeigt das Konzept.
Abb. 3 Sequenzielles Vorgehensmodell
Nahe an der Denkfigur sequenzieller Modelle bewegen sich die prototypischen Vorgehensmodelle, auch „Schleifenmodelle“ genannt. Hierbei werden zwar immer noch die Phasen in linearer Abfolge geplant, zu bestimmten Zeitpunkten der Entwicklung eines Systems werden jedoch kontrollierte Rückschritte und die Wiederholung vorangegangener Phasen vorgesehen. Abbildung 4 verdeutlicht das Konzept.
Der zu einem bestimmten Zeitpunkt gefertigte Prototyp dient als vereinfachtes Modell oder Version und hat den Vorteil, dass schon frühzeitig ein lauffähiges – freilich noch nicht einsatzfähiges – System vorliegt, anhand dessen man Erfahrungen sammeln und Schlüsse für den weiteren Entwicklungsprozess ziehen kann. Dies erhöht die Mitarbeitermotivation, erleichtert die Abstimmung mit dem Auftraggeber und hilft, latentes Misstrauen des Managements gegenüber dem Projekt abzubauen. Sinnvoll sind prototypische Vorgehensmodelle immer dann, wenn die Anforderungen des Auftraggebers unklar sind oder funktionale Zusammenhänge des Produktes nicht ex ante geklärt werden können.
Als Sonderfall ist das Vorgehensmodell des „Rapid Prototyping“ zu sehen, bei dem ein Wegwerf-Prototyp zum Einsatz kommt, der nur zur Abstimmung mit dem Kunden verwendet wird.
Abb. 4 Prototypisches Vorgehensmodell
Der Typus der wiederholenden Vorgehensmodelle, auch inkrementelle, evolutionäre, rekursive, iterative Vorgehensmodelle, sieht vor, dass einzelne Phasen wiederholt durchlaufen werden. Besonders bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang das evolutionäre „Spiralmodell“ von Boehm (vgl. Abbildung 5).
Abb. 5 Spiralmodell nach Boehm
Bei wiederverwendungsorientierten Vorgehensmodellen werden gezielt die Erfahrungen und Ergebnisse vorangegangener Entwicklungen und Projekte genutzt. Bereits erarbeitete Module und Muster werden in einer „Bibliothek“ vorgehalten und projektgerecht zum erneuten Einsatz gebracht. Wiederverwendungsorientierte Vorgehensmodelle lassen sich wie in Abbildung 6 visualisieren.
Abb. 6 Wiederverwendungsorientiertes Vorgehensmodell
Die wiederholenden und wiederverwendungsorientierten Vorgehensmodelle werden auch mit dem Begriff „agiles Projektmanagement“ in Verbindung gebracht. Besonders im IT-Bereich findet dieses Konzept Anwendung – man spricht auch von agiler Softwareentwicklung.
Agilität meint den gewollten Einsatz von Flinkheit und Beweglichkeit, um den Entwicklungsprozess flexibler und schlanker zu machen. Vor allem wird die reine Entwurfsphase so kurz wie möglich gehalten. Anders als bei den klassischen Vorgehensmodellen rückt man konsequent die zu erreichenden Ziele, die technischen Probleme, aber auch den sozialen Kontext (teaminterne Kooperation, Kundenwünsche, Kundenzufriedenheit usw.) in den Fokus. Agiles Projektmanagement versteht sich als konträres Konzept zu den traditionellen Prozessmodellen, die oft als zu schwerfällig und bürokratisch wahrgenommen werden.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Franz Vahlen.
Martin Gläser: Medienmanagement. Grundlagen der Führung und Steuerung von Medienunternehmen
- Verlag Franz Vahlen
- 4., vollständig überarbeitete Auflage 2021
- 874 S. mit zahlreichen Abbildungen
- Hardcover: 49,80 Euro
- ISBN 978-3-8006-5893-0
¹ vgl. Seibert 1998: 285
² vgl. Staehle 1999: 271
³ vgl. Bunse/Knethen 2008: 3 ff.
Quelle der Abbildungen 4 bis 6: Bunse/Knethen 2008
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