Die Börsenvereins-Tochter MVB hat sich nach monatelanger Funkstille auch offiziell von den hochtrabenden Plänen ihres E-Book-Projekts Libreka verabschiedet (hier mehr). Das richtet sich, wie buchreport in der Vorwoche kommentierend vorweggegriffen hat, als Agentur in eine Vermittlungsfunktion ein wie der Auslieferung von E-Books. Ein Vertrag mit Barnes & Noble zur Lieferung deutscher E-Books an den Store des US-Buchhändlers und ein weiteres Agreement mit dem iPad- und iPhone-Hersteller Apple beschreiben das neue Tätigkeitsfeld.
Auch wenn sich Libreka künftig aus dem Konzert der großen E-Book-Plattformen von Apple, Amazon und (bald) Google zurückzieht, um sich auf die Funktion der Lieferung der E-Bücher von Mitgliederverlagen an die bisherigen Konkurrenten zu konzentrieren, werden die Fragen um den Schlingerkurs (s. Chronik am Ende des Artikels) des einstigen Vorzeigeprojekts bleiben. Obwohl es zuletzt auffällig ruhig um das Portal geworden war, weil die Marktentwicklung an ihm vorbeiging, bleibt Libreka in der Branche ein Politikum.
„Libreka war nie ein Endkundenportal“
„Libreka war nie ein Endkundenportal, das war nur ein Wunschdenken des Verbands“, begrüßt immerhin Volker Oppmann, Chef beim E-Book-Dienstleister Textunes, die Neuausrichtung, schon weil besonders kleinere Verlage damit überfordert seien, ihre Titel bei Apple und Co. unterzubringen. „Apple spricht nur mit großen Verlagen und den Aggregatoren“, berichtet Oppmann. Indem Libreka mit größerem Titelkontingent in die Verhandlungen geht, so die Hoffnung, sollen bessere Konditionen herausgeschlagen werden.
Doch selbst unter den kleineren Verlagen ist die Freude über die Neuaufstellung als Mittler zu den Portalen nicht ungetrübt. „Das ist doch Blödsinn, Libreka hat nach vielen Fehlern und hohen Investitionen endlich eine bekannte Marke und eine Kompetenz im Endkundengeschäft aufgebaut. Das Ganze wird jetzt aufgegeben, um sich auf einem Feld zu bewegen, auf dem sich viele Anbieter tummeln“, schimpft der Ubooks-Verleger (und gelernte Informatikkaufmann) Andreas Köglowitz.
Auf dem Feld, auf das sich Libreka mit der neuen Strategie begibt, tummeln sich u.a. die zunehmend onlineaffinen Zwischenbuchhändler Libri und KNV sowie Verlagsdienstleister wie die frühere Libreka-Partnerin HGV, weiterhin die Bertelsmann-Tochter Arvato Systems oder auch der auf kleinere Verlage spezialisierte Neueinsteiger Bookwire, die alle ebenfalls als digitale Distributeure dienstleisterisch für Verlage aktiv sind.
Darf der Verband seinen Mitgliedern Konkurrenz machen?
Öffentlich will sich keiner dieser Libreka-Wettbewerber zur neuen Aufstellung der Frankfurter äußern. Und doch werden die etablierten Distributeure auf der Buchmesse jede Gelegenheit nutzen, um die kritischen Fragen anzusprechen:
- Funktion des Verbands: Darf eine Tochter des Verbands, der als Interessensvertretung und Dienstleister einer Branche fungiert, derart in eine Konkurrenzposition zu Mitglieder-Unternehmen treten?
- Kosten: Unterschätzt der chronisch klamme Verband nach millionenschweren Anlaufkosten des Portals das Investitionsvolumen, um Libreka als wettbewerbsfähigen Dienstleister zu positionieren? – Bei HGV und Arvato Systems wurden dem Vernehmen nach sechsstellige Summen investiert, um das gesamte Portfolio von der digitalen Auslieferung bis zum Kundenservice aufzubauen.
Unabhängig von den verbandspolitischen Dimension ergeben sich besonders für die kleineren Verlage Vorteile durch den verschärften Wettbewerb. Durch die Auswahl ist der Preiswettbewerb programmiert.
Chronik zu Libreka
7/2005 Amazon startet „Search Inside“ in Deutschland, drei Monate später launcht „Google Print“ hierzulande.
10/2005 Holtzbrinck stellt den „BookStore“ als B-2-B-Dienstleistung vor.
5/2006 Börsenverein und BBG-Aufsichtsrat beschließen offiziell die Umsetzung von „Volltextsuche Online“ (VTO) als Gegenprojekt zur Google-Buchsuche; technische Dienstleister werden hgv publishing services und MPS Technologies (beide Holtzbrinck).
2/2007 Nach einem Bericht im buchreport und einem Blog über Sicherheitsmängel bei VTO trennen sich MVB und Projektleiter Theodor Brüggemann. Die VTO-Plattform wird den Verlagen für Titelimport geöffnet.
4/2007 MVB bietet Verlagen neue Verträge an, nachdem mehrere Verlage gegen Klauseln zum digitalen Vertrieb der Texte und zur Rechteeinräumung durch die MVB protestiert hatten.
7/2007 Das Online-Projekt wird querfinanziert: Ab Januar 2008 erhalten Verlage für 3 Euro pro elektronisch gemeldetem Titel einen Eintrag ins VlB sowie in VTO (bisherige Kosten: VTO 17 Euro, VlB 2,25 Euro pro Titel).
3/2008 Der technische Dienstleister hgv geht nach Streitigkeiten über die strategische Ausrichtung von Bord: Statt der Holtzbrinck-Tochter arbeitet künftig das Bureau van Dijk Electronic Publishing (BvDEP) für das in „Libreka“ umbenannte Portal.
5/2008 Der Sortimenter-Ausschuss appelliert an die Partnerverlage, vom geplanten Direktvertrieb über Libreka abzusehen. Im November protestieren Zwischenbuchhändler wie Stephan Schierke (VVA) die Entwicklung von Libreka zur Vertriebsplattform.
3/2009 Start des E-Book-Vertriebs über Libreka und die Shops der Partnerbuchhändler. Im Mai schimpft der Sortimenter-Ausschuss, dass zu wenige (Bestseller-)Titel als E-Books angeboten werden. Stand Juni: 105000 im Volltext durchsuchbare Titel, 12000 E-Books.
6/2009 Libreka bietet DRM-Schutz an, rät aber Verlagen davon ab.
10/2009 Krisengespräch von Vertretern der drei Sparten; es geht um die Shop-Funktionalität, die als Konkurrenz zum Geschäft des Zwischenbuchhandels eingeschätzt wurde. Ein anonymer Brief von Libreka-Mitarbeitern zu technischen Schwächen und Managementfehlern sorgt für Turbulenzen.
11/2009 Zusätzlich zum Vertrieb über den eigenen Shop können Sortimenter per Kartenschreiber E-Books auf SD-Karten stationär verkaufen.
9/2010 MVB-Geschäftsführer Ronald Schild zeigt den irritierten Verlegern bei den Buchtagen zwei Alternativen: Libreka mit viel Geld zum Apple-/Amazon-/Google-Rivalen aufpäppeln oder Fokussierung auf den Bereich Distribution und Verhandlungen. Im September wird offiziell Plan B verfolgt.
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