Mit dem aktuellen Angriffskrieg Russlands kulminiert nicht nur die militärische Aggression der russischen Regierung gegen die Ukraine. Auch die Propaganda, mit der der russische Präsident Putin den Einmarsch zu legitimieren versucht, hat eine lange Vorgeschichte. Der Propagandakrieg wurde und wird auch auf dem Buchmarkt ausgetragen – mit Gegenwehr der ukrainischen Behörden in Form von Importverboten, wie Ed Nawotka aktuell für das US-Branchenmagazin „Publishers Weekly“ recherchiert hat. Nawotka (Foto) war 2013 Gastredner beim Buchforum in Lviv (Lemberg) und pflegt seitdem Kontakte zur ukrainischen Buchbranche.
Ein Stellvertreter-Propagandakrieg
Russland führt einen Propagandakrieg gegen die Ukraine, der bis zur Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 zurückreicht. Eine der Waffen sind Bücher. So ist bekannt, dass russische Verleger den ukrainischen Markt mit billigen Taschenbüchern überschwemmt haben, um jegliches Wachstum der örtlichen Verlagsbranche zu untergraben.
Als Russland 2014 die Krim annektierte, sagte Oksana Hmelyovska, eine der Mitherausgeberinnen von „Chytomo“, einer ukrainischen Website, die über Bücher und den Medienmarkt berichtet, dass „wir hoffen, dass Kultur und Verlagswesen nicht die geringste Rolle bei der Verteidigung unserer Unabhängigkeit spielen“. Später, im Jahr 2017, ging die Ukraine so weit, russische Bücher zu verbieten, die damals mehr als die Hälfte der Buchverkäufe im Land ausmachten. Das Verbot dauerte 9 Monate. Nachdem die Ukraine der Zensur beschuldigt wurde, wurde das Verbot dahingehend geändert, dass es fortan nur Bücher betraf, die entweder offen russische Propaganda für Russland als Aggressor enthielten oder den Kommunismus und die sowjetische Ideologie, die Auflösung der Ukraine als unabhängiges Land sowie Bücher, die die Idee der Ukraine als „Malorossia“, als „Kleinrussland“ propagierten. Seitdem wurden mehr als 1,5 Mio Exemplare russischer Bücher von der Einfuhr oder Veröffentlichung ausgeschlossen.
„Um propagandistische Texte in der Belletristik zu finden, muss man genauer hinsehen“
„Die Regeln sind fair“, sagt Iryna Baturevych, stellvertretende Direktorin des Ukrainischen Buchinstituts und Mitbegründerin der Website „Chytomo“: „Die russische Propaganda funktioniert sehr gut. Dies war ein Informationskrieg.“ Baturevych verweist darauf, dass russische Bücher in der Ukraine nach wie vor erhältlich seien. Nach den neuesten Daten des Ukrainischen Buchinstituts sind zwischen 2017 und 2022 insgesamt 204 Mio Exemplare von 21.818 Titeln vom ukrainischen Staatskomitee für Fernsehen und Rundfunk zur Veröffentlichung oder zum Vertrieb zugelassen worden. Laut Baturevych ist es für ukrainische Leser einfacher, propagandistische Sachbücher zu identifizieren und zu verbieten, aber um propagandistische Texte in der Belletristik zu finden, muss man genauer hinsehen, und oft entgingen sie der Zensur: „Wir haben es definitiv satt, Bücher mit Titeln wie ,Rauch über der Ukraine‘ oder ,Noworossija in meinem Herzen‘ zu bekommen.“
„Wir haben es definitiv satt, Bücher mit Titeln wie ,Rauch über der Ukraine‘ oder ,Noworossija in meinem Herzen‘ zu bekommen.“
Die ukrainischen Behörden haben sich auch dazu entschieden, 9 russischen Verlagen die Tätigkeit im Land zu verbieten, weil sie systematisch Bücher mit „anti-ukrainischem Inhalt“ veröffentlichten und vertrieben. Zu diesen Verlagen gehören Alhorythm, Centrpolygraph, Knyzhkovyi Svit, Piter Publishing House, Viche, Yauza und Yauza-Press, und auch die größte, dominierende Publikumsverlagsgruppe AST/Eksmo wurde mit einem Verbot belegt. Serhiy Oliynyk, der Leiter der Abteilung für Einfuhrgenehmigungen beim ukrainischen Staatskomitee für Fernsehen und Rundfunk, gab an, dass 20% der von der Ukraine verbotenen Titel von AST/Eksmo verlegt werden.
Auf die Frage, ob der Verlag anfällig für politische Einflussnahme sei, erklärte Eksmo-Generaldirektor Evgeny Kapyev im November 2021 gegenüber „Publishers Weekly“, dass der Verlag komplett unabhängig von der Regierung sei. „Die Russen wissen bereits, dass Putin manchmal ein Engel und manchmal ein Teufel ist“, sagte Kapyev, „und deshalb wollen sie nichts über Politik lesen.“
Im vergangenen Jahr stiegen die Importe russischer Bücher in die Ukraine gegenüber 2020 um 73% auf mehr als 5 Mio Exemplare an – die höchste Zahl seit 2014. Nicht alles ist unterschwellige propagandistische Beeinflussung, sondern entspricht der Marktnachfrage. Nach Angaben des Ukrainischen Buchinstituts haben die Ukrainer in den vergangenen 10 Jahren mehr Bücher gekauft, und obwohl Ukrainisch im größten Teil des Landes die bevorzugte Sprache ist, lesen viele Bürger Bücher sowohl auf Ukrainisch als auch auf Russisch.
Aus dem Amerikanischen. Auszug aus dem „Publishers Weekly“-Artikel „Russia’s War of Words with Ukraine“ von Ed Nawotka. Publishers Weekly und buchreport sind Mitglieder des PubMagNet.
Kommentar hinterlassen zu "Propaganda-Rauch über der Ukraine"