Gemeinsames Lesen war sehr gefragt. Im 14. Jahrhundert standen Lehrer und Schüler um riesige Bücher, die zwei Funktionen erfüllten: Die Diskussion anzuregen und die Unterhaltung in den breiten Marginalien festzuhalten. War dies vor allem in der Ära des Mangels vor Gutenberg angesagt, änderte sich dies mit der Zeit, als Bücher zahlreicher und relativ preisgünstig wurden. Relativ, denn es hat bis in die 1960er-Jahre gedauert, dass mit dem Taschenbuch-Format der Buchbesitz selbstverständlich und das ruhige Alleinlesen, wie wir es heute kennen, zur Regel wurde.
Andere, möglicherweise markantere Beispiele sind nicht in den Kindle-Ausgaben zu finden, sondern in dem zunehmend anspruchsvollen Kommentierungsgefüge, das wir im offenen Web erleben, auf den Seiten der Zeitungen, der neuen Artikelportale wie medium.com oder auf der ungeheuer populären Seite der Lese-Schreib-Community wattpad.com.
Eine andere Perspektive eröffnet sich ganz außerhalb der Buchbranche. In den vergangenen zehn Jahren haben Fernseher mit Festplatten sowie Streaming-Angebote für eine Entwicklung weg vom direkten zum zeitversetzten Fernsehen gesorgt. Im Gegenzug hat Twitter bewirkt, dass in den USA das Echtzeit-Fernsehen wieder um 20% zugelegt hat, weil die Leute Gefallen daran finden, zur selben Zeit fernzusehen und ihre Kommentare dazu zu twittern, eine Entwicklung, die als „Second screen“-Phänomen bezeichnet wird.
Wandel kommt nicht über Nacht
Der Punkt ist nun nicht, dass die Leute jetzt Live-Twitter-Kaskaden folgen, während sie lesen, sondern es unterstreicht das dahinterstehende Prinzip: Wenn sich irgendein Content in einer verknüpften Online-Umgebung bewegt mit genügend Aufforderungs-charakter für Interaktion, werden Leute ganz selbstverständlich beginnen, ihre Erfahrungen zu teilen. So gesehen ahmen so erfolgreiche Seiten wie Amazons Goodreads Kantinengespräche nach, bei denen wir über Bücher reden. Der nächste Schritt sind Ansätze, diese Diskussion in den Büchern zu führen, denn Bücher sind dabei, selbst Orte zu werden, an denen Leute zusammenkommen und an denen Dinge passieren.
Das ist ein Wandel, der nicht über Nacht passiert, sondern sich langsam in den kommenden zehn Jahren entwickelt. Und dieser Aufbruch des Buches zu einem gesellschaftlichen Ort gibt Verlegern die großartige Chance, ihre verloren gegangene Initiative als Bearbeiter von Content zurückzugewinnen. Pulsierende gesellschaftliche Räume innerhalb von Büchern zu schaffen, wird fortlaufende kreative Anstrengungen erfordern, die nur von den Verlegern und Herausgebern ordentlich geführt und gefördert werden können, die das Buch in den Markt gebracht haben.
Aus buchreport.spezial: Herstellung & Management 05/2014, hier zu bestellen
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Foto: Wikipedia, Tomislav Medak, (CC BY 2.0)
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