Spannung liegt in der Luft. Wohlhabende Staaten sparen an öffentlichen Bildungs- und Wissenschaftssystemen. Unter Stress gerät so auch das Verhältnis zwischen wissenschaftlichen Bibliotheken und Fachverlagen. Diese wünschen sich dringend bessere Margen, um die notwendigen Investitionen in zukunftsfeste Infrastrukturen finanzieren zu können. Von den Bibliotheken, die ihrerseits unter Druck stehen, können sie diese Margen nicht erwarten.
Wie können Verlage und Bibliotheken weiterhin in beiderseitigem Interesse und zu beiderseitigem Nutzen zusammenarbeiten? Mit welchen Produkt- und Marketing-Strategien gelingt es Verlagen, neue Leser zu finden und Bibliothekskunden zu binden? Damit befasst sich am 24. April 2018 die E-Medien-Konferenz der Akademie der Deutschen Medien im Münchner Literaturhaus. Sie wendet sich an Mitarbeiter aus Fach- und Publikumsverlagen ebenso wie an den wissenschaftlichen Buchhandel und an Bibliothekare.
Einer der prominenten Sprecher der Konferenz ist Dr. Rafael Ball, Direktor der Zürcher ETH Libraries, der größten naturwissenschaftlich-technischen Bibliothek der Schweiz und Chefredakteur der bibliothekswissenschaftlichen Zeitschrift B.I.T. online. Ball gilt als Vordenker der Zukunft der Medien im Kontext der Forschung und der Öffentlichkeit. Im pubizInterview zeigt er, wie die Digitalisierung der Wissenschaft das wissenschaftliche Publizieren disruptiert.
Sie deuten an, dass Bibliotheken und Verlagen in Zukunft in der Wissenschaftskommunikation einiges bevorsteht: Warum so ominös? Müssen wir uns fürchten?
Nein, fürchten muss sich niemand, wir dürfen nur nicht überrascht sein. Denn auf Seiten der Wissenschaft gibt es inzwischen eine ganze Reihe neuer Formate und Medien, die zur Verbreitung und Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen genutzt werden. Und diese haben eine ganz neue Qualität und sind vor allem mit den bisherigen Methoden und Prozessen, wie sie Bibliotheken seit 200 Jahren einsetzen, nicht zu handeln. Hier stehen alle Beteiligten vor großen Herausforderungen. Aber auch der Übergang der Geschäftsmodelle vom lizenzbasierten Modell zum „Author Pays“-Modell (die sogenannte Transformation des Publizierens) wird nicht nur Bibliotheken radikal verändern.
Welche neuen Formen der Wissenschaftskommunikation sehen Sie konkret heraufziehen?
Die ganze Bandbreite der digitalen Formate ist hier zu nennen: Fluide Dokumente, Videos, (Forschungs-)Daten und andere, maschinenlesbare Kommunikationsformen, wie Knowledge-Graphen. Lassen Sie mich das simple, scheinbar alte Format des Videos als Beispiel nehmen: noch können wir keine wirklich inhaltliche Suche analog der Volltextsuche in linearen Texten für solche Bewegtbilder anbieten, sondern müssen den umständlichen Weg der mittelbaren Beschreibung über Metadaten, Keywords und Tagging wählen. Das ist Medienbeschreibung auf dem Stand des 19. Jahrhundert. Hier müssen Bibliotheken dringend vorankommen. Auch die Lieferung von ausschließlich maschinenlesbaren Inhalten ist eine Herausforderung.
Dabei ist es genau das, was in Zeiten der wissenschaftlichen Massenkommunikation erforderlich ist. Denn in großen Teilen der Wissenschaft ist das zeitaufwändige Lesen von Inhalten zum eigentlichen Flaschenhals geworden. Hier werden künftig von der Wissenschaft maschinenlesbare Formate geliefert und zugleich von der Bibliothek auch erwartet.
Die aktuelle Open Access Diskussion über Geschäftsmodelle und Preise für Bücher und Zeitschriften ist deshalb ein reines Rückzugsgefecht jener (naturwissenschaftlichen) Großverlage, in deren Produkte Bibliotheken schon bisher einen großen Teil ihrer Etats investiert haben. Denn sie haben längst neue, ganz andere digitale Produkte in den Pipelines und werden den Bibliotheken und Hochschulen bald nur noch „Solutions“, aber keinen „Content“ mehr verkaufen. Deshalb macht es gar keinen Sinn, sich jetzt mit Feuereifer und teilweise erschreckender Kriegsrhetorik in die Open-Access-Schlacht um schon fast vergangene Medienformate zu werfen.
Das gesamte Interview mit Rafael Ball lesen Sie hier.
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