Auf der Frankfurter Buchmesse hat Ralph Möllers, erfahrener Verleger und notorischer Erfinder digitaler Formate (book2look, Lectory, Flipintu), in der Selfpublishing-Area die Keynote gehalten. Und einen Bogen geschlagen, vom anfänglichen „Vanity Publishing“ über hochprofessionelle Guerilla-Selfpublisher bis hin zu Rotkäppchen und dem bösen Wolf im Märchenwald der Branche.
Die Rede von Ralph Möllers (Foto: Mike Minehan) in Textform (am Ende folgt die Audiofassung):
Ich heiße Sie herzlich zur „Happy Hour“ in der Selfpublishing Area auf der Frankfurter Buchmesse 2015 willkommen.
Happy: Wir wollen alle gut gelaunt sein und daher darf ich Ihnen als – mittlerweile ehemaliger – traditioneller (Kinderbuch-)Verleger versichern, dass ich nicht über das Phänomen Selfpublishing jammern werde.
Hour: Das Ganze soll inkl. Getränken in einer Stunde vorbei sein. Da will man ja nicht mit fidel-castro-mäßig langen Reden behelligt werden.
Nun denn, es beginnt, wie jeder ordentliche deutsche Vortrag, mit einem Rückblick auf die Geschichte.
Es ist noch gar nicht so lange her, da klang das Bekenntnis, dass man seine Bücher selber publiziert, immer ein bisschen nach Selbsthilfegruppe. Ein bisschen wie „Hallo … äh … ja … ich heiße Ralph und ich masturbiere.“
Kein Wunder also, dass es so genannte ‚Verlage‘ gab, die die Notlage dieser bemitleidenswerten Getriebenen weidlich ausnutzten. Stichwort: „Verlag sucht Autor“ (nun, das tun eigentlich alle Verlage … aber eben anders). Diese Geschäftsmodelle sind aber nebenbei bemerkt ganz eindeutig auf dem Weg in die historische Asservatenkammer, denn diese ‚Verlage‘ braucht nun wirklich kein Mensch mehr. Ganz im Gegensatz zu den in den letzten Jahren überall entstehenden Service-Firmen, die gegen Bezahlung Dienstleistungen für Verlage bzw. Selfpublisher – eigentlich eine sinnlose Unterscheidung – anbieten.
In den Verlagen war man sich jedenfalls ein paar hundert Jahre lang einig, dass man auf der Suche nach Autoren ganz sicher nicht in der Selbsthilfegruppe nachschauen musste. Und richtig, echte Erfolgsgeschichten gab es dort wenig. „Vanity Publishing“ war noch eine der netteren Bezeichnungen, die man für diesen Hinterhof der Branche hatte. Als ob der geheime Motor des „schalwerfenden Verlegers“ (meine LieblingskinderbuchbloggerinSteffi Leo) nicht genau diese Eitelkeit wäre. Wir alle sitzen doch auf unseren publizistischen Töpfchen, gucken sehr angestrengt und krähen dann im Erfolgsfall laut: „Guck mal, ich habe ein Buch gemacht!“ (Man ist versucht zu sagen, dass man manchen verlegten Büchern diesen Herstellungsprozess auch anmerkte.)
Aber ich gleite in die Küchen- oder besser Toilettenpsychologie ab.
Es stand also viele Jahre nicht gut um das Image des Selfpublishings und der betreffenden Autoren.
Und heute?! Schauen Sie sich um. Ein eigener Bereich mit prominenter Platzierung auf der Frankfurt Buchmesse. Und Ryan Lilly, ein Selfpublishing-Aktivist (manche Verleger würden eher sagen „Taliban“) der unwidersprochen Sätze raushaut wie
„Ich genieße es, selbst zu publizieren und den Verlagen Ablehnungsschreiben zu schicken. Und dann die so: ‚Wer ist der Typ‘ und ich so: ‚Der Untergang eurer Branche‘“
Im USA hört man jetzt gelegentlich schon „Oh, das tut mir aber leid“ wenn ein Autor erklärt, er werde in einem „richtigen“ Verlag verlegt.
Ja, es ist in der Tat eine Menge passiert. Bzw. „passiert“ ist eigentlich gar nicht so viel, nur die Liste der Mitwirkenden in diesem Drama/in dieser Komödie hat sich mehr als nur ein bisschen verändert und vor allem vergrößert.
Die Leitmotive des Stückes, das auf der Bühne unserer Branche gegeben wird sind: Produktion, Distribution und Kommunikation.
Die Produktion
Stichwort Digitalisierung.
Mit der Digitalisierung hat sich der Herstellungsprozess radikal vereinfacht und damit demokratisiert. Die Produktionsmittel waren plötzlich für die Werktätigen selbst erschwinglich und zugänglich. Der olle Karl hätte seine Freude dran gehabt.
Und wie immer, wenn man so ein mächtiges Werkzeug den Unbedarften in die Hand gibt, kommt zunächst einmal ein unfassbarer, bemühter Mist raus. Ich sage nur „Comic Sans“!
Und weil so ein Mist rauskommt, wenden sich die „Großen“ mit Grausen ab und wenn sie wieder hingucken, ist ihr Job weg. So geschehen bei den Schriftsetzern und anderen Gatekeepern der so genannten „schwarzen Kunst“.
Mit PoD wurde schließlich auch die letzte Bastion der ehemals aufwendigen und daher exklusiven Produktionsweise gestürmt.
Der letzte und entscheidende Sargnagel aber waren dann die E-Books.
Ich selbst bin ca. 10 Jahre über diese Internationale Fachmesse für Content-Haptik gelaufen und habe die Ankunft der E-Books prophezeit. Es hat lange gedauert, aber seit ca. 4 Jahren sind sie wirklich da und erobern einen wachsenden Anteil am Markt. Ein Anteil, der viel größer ist, als die amtlichen Zahlen uns glauben machen sollen. Aber dazu später.
E-Books sind keine grundlegend anderen Bücher“, sie sind eine andere Darreichungsform. Eine Form, die keine teure Produktion erfordert, was leider manche Autoren und durchaus auch Verlage zu der Auffassung bringt, man müsse sich dann auch nicht so viel Mühe damit geben.
Die Distribution
Der Verlag, der heißt, weil er früher einmal „vorlegte“, also den Autor und die Produktion vorfinanzierte, schickte teure Vertreter mit seinen teuren neuen Büchern in ladenpreisbindende Buchhandlungen, die ihm dafür die teuren Bücher aus dem vergangen Programm wieder zurückschickten … All das in einer so eingeschworenen, geschlossenen Gesellschaft, dass man sogar einen gemeinsamen Verband von Produzenten, Zwischenhändlern und Händlern gründen konnte, den Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Was ungefähr so ist als wenn Mutter, Großmutter, Rotkäppchen und der Wolf eine gemeinsame Interessensvertretung gründen würden.
In die Fugen, an denen diese Branchenteilnehmer zusammengewachsen waren, passte natürlich kein Blatt. „Bücher sind anders!“ lautete die Antwort auf verwunderte Fragen aus anderen Wirtschaftsbereichen.
Aber dann stellte sich heraus, dass der Wolf gar nicht Mitglied im Börsenverein war.
Und der Wolf hieß Amazon.
Der Wald hieß übrigens Internet.
Und ab Mitte der Neunziger Jahre war es dann aus mit dem Frieden im Märchenwald des deutschen Buchhandels. Und seitdem warten Buchhändler und Verlage vergeblich auf den Jäger … ich befürchte aber, dass der in dieser Version des Märchens nicht vorkommt.
Plötzlich stand also eine riesige Vertriebsplattform allen, die ein Buch in egal in welcher Form anzubieten hatten, offen.
Es war Amazons Angebot an die Selfpublisher, vor allem auch bei den Konditionen, das alles veränderte. Jedermann sein eigener Verlag! Und jede Frau natürlich auch. Auch wenn die Branche das nicht wahrhaben wollte und seine Durchlaucht der Großagent Andrew Wiley gewohnt arrogant meinte, das Selfpublishing-Programm von Amazon sei eigentlich nur ein großes „Abholzungsprogramm“ … E-Books hatte er nicht so auf dem Radar.
Die Kommunikation
Und der Wald …. Also das Internet? Wurde nicht abgeholzt, im Gegenteil. Hier tummelten sich bald alle: Leser, Autoren, Nichtleser. Und ganz allmählich, wenn auch ängstlich pfeifend kamen auch die Verlage in den Wald. Manchen kamen hier allerdings auch im sprichwörtlichen Sinne in den Wald und hatten anfangs noch ein paar Probleme mit der Unterscheidung von Wald und Bäumen … aber immerhin.
Mit dem Internet stand plötzlich ein Massenmedium bereit, das nun ebenfalls demokratisiert, also allen zugänglich, für alle nutzbar war.
Und eine weitere, geradezu kopernikanische Wende trat ein: Im Internet ist jeder gleichzeitig Empfänger und Sender.
Die alte Denkrichtung in unseren Köpfen, auf der auch alles Marketing beruhte – Ich großer Sender, Du kleiner Empfänger – war plötzlich überholt. Der Turmbau zu Babel kann nicht verwirrender gewesen sein als dieser Paradigmenwechsel.
Bei meinem Verlag, Terzio, hatten wir seinerzeit genau aus diesem Grund die Idee, ein Buch-Widget zu entwickeln, um unsere Bücher nicht nur im Internet leben zu lassen, wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, sondern vor allem einen „Senden-Knopf“ an unseren Büchern anzubringen. Jeder Knoten im weltweiten Netzwerk der Leser, Buchhändler, Blogger und Buch-Communities sollte in der Lage sein, mit unseren Büchern „auf Sendung zu gehen“. Das Projekt wurde schließlich zur Firma book2look, die das Widget heute weltweit erfolgreich vertreibt.
Nun standen also allen, die ein Buch veröffentlichen wollten, die drei wichtigsten Elemente Produktion, Distribution und Kommunikation zur Verfügung. Und das Ergebnis sehen wir hier.
Und die Verlage?
Auf den Buchmessen 2013 war der meistgehörte Satz auf den Ständen der Verlage „Wir planen für nächstes Jahr eine Selfpublishing Plattform für Autoren.“ Und einige Verlage setzten das auch tatsächlich um.
Die Verlage wissen es vielleicht nicht, aber sie gehen damit auch zurück zu ihren historischen Wurzeln.
Denn kaum hatte Johannes Gensfleisch, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Gutenberg“, die quasi-industrielle Produktion von Büchern erfunden, standen auch schon die Selfpublisher auf der sprichwörtlichen Matte.
Die ersten Verlagsprodukte, auch wenn man sie noch nicht so nannte, waren selbstverlegte Streitschriften, in denen sich die Verfasser/Selfpublisher gegenseitig ihre Konfession um die Ohren hauten. Ja, im Anfang war das Selfpublishing! Und es wurde auch damals schon von Sendungsbewußtsein und Selbstdarstellungsbedürfnis angetrieben.
Besonders erfolgreiche Selfpublisher wurden so beliebt, dass andere Autoren ihnen ihre Werke zur Vervielfältiung und zum Verkauf anboten. Verlagsbuchhandel hieß das dann später.
Verlage entwickelten Qualitätssicherungsprozesse, Vermarktungsinstrumente, gemeinsam mit dem Buchhandel Vertriebsstrukturen. Das Rezensionswesen entstand, Kommunikationswege zum Handel und zu den Lesern wurden entwickelt und gepflegt …
Merken Sie was?
Genau das tun die Selfpublisher mit den neu entstandenen Mitteln auch. Erfolgreiche Selfpublisher agieren wie „richtige“ Verlage. Sie haben allerdings Guerilla-Taktiken entwickelt, die auf der Nutzung der neuen Kommunikationswege, die nicht von den grauen Herrn in Verlag, Buchhandel und Feuilleton kontrolliert und zäh verteidigt werden, basieren.
Selfpublisher kommunizieren mit Lesern, nicht mit Buchhändlern. Sie setzen auf Rezensionen bei Amazon, nicht in der FAZ Literaturbeilage.
„Die gute Nachricht über Selfpublishing ist, dass du alles selber machen kannst. Die schlechte Nachricht über Selfpublishing ist, dass du alles selber machen musst“, sagt Lori Lesko, eine amerkanische Selbstverlegerin.
Professionalisierung, also „Verlagswerdung“ ist das Zauberwort. Professionell heißt, dass man weiß, was man tun muss, warum man es tun muss und … jetzt kommt der schwierige Teil … es auch tut.
Und siehe da, der Unterschied zwischen Verlag und Selbstverlag ist verschwunden. Die Unterscheidung macht keinen Sinn mehr.
Und siehe da, die Selbstverleger nutzen die neuen Produktions-, Distributions- und Kommunikationswege und –strukturen ganz unbeeinflusst und unbekümmert vom Branchenusus .
In Deutschland begleitet diesen Prozess der Professionalisierung übrigens ein Papst, Matthias Matting. Matthias ist gewissermaßen die Beate Uhse der Selfpublishing Szene …. Bevor sich jemand empört. Nein, Matthias verkauft keine Sextoys.
Aber auch der Flensburger Konzern startete als Selfpublisher mit einer „How to“-Broschüre. Damals ging es zwar um Empfängnisverhütung und nicht um einen E-Book-Reader, aber das Mitteilungsbedürfnis stieß auf ein Rezeptionsbedürfnis …. et voila. Heute ist Matthias per Akklamation gewählter Selfpublishing Papst und einer der wenigen Berater, die das, was sie raten auch tatsächlich selbst erfolgreich tun. Er trägt viel zur Professionalisierung auch der deutschen SP Szene bei, ein Prozess, der in den USA schon weiter fortgeschritten ist.
Heute verkaufen dort, in den USA, Indie- und Amazon-Imprint-Autoren jeden Tag mehr E-Books als alle traditionellen Verlage zusammen. Das haben zu ihrer eigenen Überraschung die Autoren des Author Earnings Reports in diesem Monat herausgefunden. Und warum wissen wir in der Branche nichts davon? Weil die Marktforschungsunternehmen, auf deren Zahlen wir alle schauen, einen gigantischen blinden Fleck haben. Sie zählen fast immer ISBN- und Verlags-basiert. Aber ca. 37% der E-Books, die bei amazon.com verkauft werden, haben noch nicht mal eine ISBN. Ihren Autoren genügt die ASIN.
Ja spinnen die? Da haben wir so ein schönes Nummernsystem und die nutzen es nicht mal. Ein Buch ohne ISBN ist doch gar kein Buch. Eben doch!
Und wie mein Vater immer zu sagen pflegte: Was lernt uns das?
Professionell heißt nämlich auch, dass man seine Handlungsweise immer wieder überprüfen muss. Den zweifellos professionellen Verlagen kann man nur empfehlen, sich mit den Strategien erfolgreicher Selbstverleger zu beschäftigen. Sie spielen nämlich virtuos auf einem Instrument, das für die Verlage oft das Merkelsche „Neuland“ ist. Und ansonsten machen die Selfpublisher eigentlich genau dasselbe, nur eben für weniger Bücher gleichzeitig.
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