Die Käufer elektr(on)ischer Artikel machen gewöhnlich zwei Preiserfahrungen: Neue Artikel sind zunächst teuer und werden später preiswerter. Oder: Neue Artikel sind zur Einführung besonders günstig. Die Buchbranche in Deutschland (oder auch in Frankreich) spielt zur Zeit leider nicht mit dem E-Book-Preis. Dabei bieten sich vielfältige Möglichkeiten.
Schwellenpreise bei Literatur und Sachbuch
Ich vermute, dass Käufer ohne weitere Begründung von Seiten der Verlage und Händler Preise intuitiv maximal in Höhe der Taschenbuch-Preise akzeptabel finden. Aus Käufersicht ist ein E-Book sicherlich noch weniger wert als ein Taschenbuch.
Der Preis in seinen Bestandteilen
Ich vermute, dass Kunden die 20 Euro, die ein gebundener 500-Seiten-Roman kostet, gefühlsmäßig in etwa so aufteilen:
- 8 Euro für den Stoff (bietet eine Woche schöne Abendunterhaltung)
- 1 Euro für die Übersetzung (wenn überhaupt)
- 4 Euro für das bedruckte Papier (Haptik, Blättern, Anfassen, Eselsohren, Lesezeichen, An- und Unterstreichen können)
- 4 Euro für den festen Einband (kann man schön ins Regal stellen, hält lange)
- 2 Euro für den Schutzumschlag (sieht besonders schön aus, toller Zusatznutzen – Autoreninfos usw. + Schutzfunktion)
- 1 Euro für das Lesebändchen und das schöne Vorsatzpapier (Manufactum-Effekt, Haptik…)
Beim E-Book bleiben nur die ersten beiden Punkte stehen – der Rest fällt weg. (Die 4 Euro für das Papier würde der eine oder andere sicherlich für entsprechende Handlingvorteile versprechende Hardware und Software ausgeben.)
Der Vergleichspreis
Wer sich für E-Books interessiert, schaut sich im Internet um und weiß,
- dass E-Books in den USA unter 10 Dollar kosten; dass die Preise auch für gedruckte Bücher wegen fehlender Preisbindung und scharfem Preiswettbewerb sowieso versaut sind, wird er vermutlich nebenbei zur Kenntnis nehmen.
- dass es vieles umsonst gibt, manches aber auch etwas kostet (ein FAZ-Artikel zum Beispiel oder ein Stiftung Warentest).
- dass er vieles aus der guten alten literarischen Zeit kostenlos bekommt.
Die Käufer haben außerdem ein sicheres Gespür dafür, dass neuer Stoff zunächst teurer sein darf als ältere Titel. Der deutsche E-Book-Markt bildet dies aber nicht ab. Erscheint ein Taschenbuch zum Hardcover, wird das Buch zwar preiswerter; Verlage spielen aber nicht wirklich mit dem Preis (von daher haben wir auch zu wenige Erfahrungen, aus denen wir lernen können).
Viele E-Books kosten genau so viel wie Taschenbücher aus der Uralt-Backlist (die sich nicht verkauft). Hier werden zur Zeit viele Chancen zum Probieren vergeben…
Preise und Warengruppen
Unter Berücksichtigung der Warengruppen ergeben sich folgende Preismodelle:
- Belletristik: Unsere Preise stehen in Konkurrenz zu DVDs (da ist schon viel attraktives Material günstig verfügbar), zu (günstiger) englischsprachiger Literatur, zum gedruckten Hardcover und Taschenbuch. E-Books als Geschenk entfallen momentan mangels stilvoller Verschenkbarkeit.
- Kinderbuch: Ich bekomme für einen Euro 100 coole Apps – da kann meine Tochter kein Olchi-E-Book für 10 Euro begeistern. Für Jugendromane gilt das Argument der Belletristik. Ich empfehle Verlagen, ein niedrigpreisiges Klassikerangebot aufzusetzen, sofern entsprechende Rechte vorhanden sind. Die Zielgruppe der 10-18jährigen scheint mir sehr interessant; das aktuelle E-Book-Angebot ist aber zum Weinen.
- Reiseführer: Hier ist ein hoher Kunden-Nutzen denkbar, allerdings in Konkurrenz zum gedruckten Buch, zu Umsonst-Angeboten und zu Navigations-Systemen. Ich würde bei gegebener Funktionalität/Interaktivität für einen guten Online-Führer genauso viel ausgeben wie für ein gedrucktes Buch – der Träger Papier spielt hier keine Rolle, und ist wegen Veralterung perspektivisch eher ein Problem. Verlage sollten in dieser Warengruppe mit Bundles operieren.
- Sachbuch, Ratgeber, Nachschlagewerke: Diese Warengruppe hat ähnlich starke Konkurrenz wie das Reise-Segment – aber: Hier geht es oft nur um Detailwissen. Ich brauche ein Apfelkuchenrezept, will wissen, wie ich Blattläuse ökologisch wieder loswerden oder was noch mal die Sokol in Tschechien für eine Vereinigung waren. Das Umsonst-Wissen im Internet ist verlockend, ebenso das niedrigpreisige App-Angebot. Die 4er-Gruppe wird unter starken Preisdruck geraten, Verlage können mit ihrem derzeitigen Preismodell (80% vom gedruckten Buch) überwiegend einpacken.
- Geisteswissenschaften, Kunst, Musik: Die meisten E-Books sind leider nicht so nutzbar, wie sie sein könnten. Ohne Copy/Paste, Anstreichungen, Annotationen, Social Reading usw. bleibt der Nutzen nur oberflächlich. Bei besserer Technik könnte mehr gehen; preislich müssen die Bücher dann nicht unbedingt unter dem des gedruckten Buch liegen. Bildbände (Kunst) spielen im Moment nur eine theoretische Rolle – hier könnten die Tablets noch groß rauskommen…
- Mathematik, Naturwissenschaften, Technik: Noch eher als Warengruppe 5 durch E-Books substituierbar – der Preis ist hier nicht entscheidend.
- Sozialwissenschaften, Recht, Wirtschaft: Sozialwissenschaften wie 5er, Geisteswissenschaften, Recht wie 6er und tw. 4er (Gesetzestexte…), Wirtschaft wie 5er.
Neue Technik – da denke ich z.B. an Paux von Michael Dreusicke – könnte neue E-Optionen schaffen; der Preis wird weniger durch das Material als durch den Nutzen definiert. - Schulbuch/Lernen: Auch hier können wir mit einem zügigen Umbau des Lehrmittelwesens zu digitalem Content rechnen. Die Schulbuchverlage werden schon dafür sorgen, dass der Content nicht billiger werden wird…
Zusammengefasst würde ich behaupten:
- Abhängig von der Warengruppe und dem Zusatznutzen für die Kunden bieten sich unterschiedliche Preismodelle an. Der Preis für E-Books sollte tendenziell deutlich unter den jetzt favorisierten 80% des Hardcover-Preises liegen – das gilt insbesondere für belletristische E-Books. Ich finde drei Preisphasen sinnvoll.
- Heiße, neue, exklusive Literatur darf rund 80% des Hardcovers kosten.
- Eine Preissenkung sollte schneller nach Erscheinen erfolgen – noch vor dem Erscheinen des Taschenbuches könnte der E-Book-Preis auf 60% bis 70% des Hardcover-Preises fallen.
- Backlist-Titel, die auch im Taschenbuch „durch“ sind – also schon über die Neuerscheinungstische – könnten sich bei maximal 80% des Taschenbuch-Preises einpendeln.
- Verlage sollten mehr mit den Preisen spielen: Gesamtausgaben oder ein „Best of“ zum Paketpreis wären auf jeden Fall interessante Versuche, Leben in das E-Book-Geschäft zu bringen…
- Ketchup zu den Pommes? Zur Markt-Einführung wären Bundles (Buch + E-Book) sicherlich geeignet. So könnten Verlage ein Buch mit zusätzlicher E-Book-Download-Option ca. 20 bis 30% teurer anbieten als ein Buch ohne Add-On.
- Doch auch teurere Preise lassen sich rechtfertigen: Vor allem durch technische Erweiterungen, wie Copy/Paste, Anstreichungen, Annotationen, Social Reading, wird sich viel verändern.
Fest steht außerdem: Solange das stationäre Sortiment nicht als E-Book-Händler eingebunden wird, funktionieren viele Marketing-Ideen nicht. Und weil der Handel weiterhin ausfällt, gehen die oben genannten Aspekte nicht als Feedback in die Verlage – wer sollte es ihnen sagen?
Der Text ist eine Zusammenfassung aus einem umfangreicheren Blogbeitrag von René Kohl im Kohlibri-Blog. Kohlibri entwickelt unter www.buch-to-go.de gerade einen aktuellen Katalog niveauvoller E-Books.
René Kohl ist Geschäftsführer des Internet- und Versandbuchhändlers Kohlibri.
Bin absoluter og. Meinung. Ebooks sollten deutlich günstiger sein. Aber eines steht fest, unser Ziel ist es, es anders zu machen 🙂
@Dom
Der Fakt mit der Mehrwertsteuer ist schon ein wichtiger Hinweis.
In dem Zusammenhang steht natürlich auch eine Diskussion über andere Vertriebswege und eventuell auch andere Vertriebskosten.
Ich glaube die neuen Workflows (medienneutrales Publizieren ist hier ein Stichwort) müssen so oder so in den Verlagen installiert werden.
Gerade der Punkt „Verlage sollten mehr mit den Preisen spielen“ scheint mir in der digitalen Welt wichtig und auch erfolgsversprechend.
Kurzfristige und zeitlich begrenzte Verkaufsaktionen könnten die Umsätze erhöhen. Für 20 Euro kauft niemand ein E-Book, für 10 aber vielleicht gleich zwei. Macht 20 Umsatz gegenüber 0 Umsatz. Da die Ware ja nur virtuell im Lager liegt, ist es auch egal, ob man ein, zwei oder fünf Ausgaben verkauft, solange am Ende der Umsatz stimmt.
@Stefan @Ralf
Die Druckkosten fallen weg, das ist richtig. Das macht bei einem TB ungefähr 0,50 pro Exemplar aus, ist also nicht die Welt. Dagegen müssen durchaus neue Workflows bei den Verlagen etabliert werden etc., es gibt also durchaus auch Kosten für die Produktion von eBooks, auch der „1. Generation“.
Darüber hinaus der Hinweis: MwSt. für gedruckte Bücher: 7%.
MwSt. für eBooks: 19%.
Dass die Preise von Konsumenten als „unsäglich überhöht“ angesehen werden ist bekannt und ein Problem, an dem man arbeiten muss, keine Frage.
Ob überhöht oder nicht und vor allem ob unsäglich ist eben noch die Frage.
Aber prinzipiell fallen ja Druckkosten weg und wenn man von einem eBook der ersten Generationen spricht, wird die Produktion ja nicht aufwendiger. D.h. aber auch der Mehrwert für den eBook-Leser ist begrenzt und dann will er nicht soviel, wie für ein gedrucktes Werk ausgeben.
Ist dies aber die Zukunft des eBooks? Ich denke, man muß mit dieser Innovation midestens einen Schritt weitergehen.
Danke dafür, dass endlich mal jemand die Tatsache, dass eBook-Preise in Deutschland unsäglich überhöht sind, so offen ausspricht.