Am 12. Juni vor 117 Jahren wurde Djuna Barnes geboren. Zum Jahrestag erinnert buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler an den Roman „Nachtgewächs“. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.
Nightwood
Hauptgattung: Epik/Prosa
Untergattung: Roman
(amer.; Nachtgewächs, 1959, W. Hildesheimer) – In seiner Einleitung zu dem 1936 erschienenen Roman, der als das Meisterwerk der Autorin gilt, schrieb T. S. Eliot: »Es ist ein derart guter Roman, dass nur jemand mit einem Feingefühl für Lyrik ihn wirklich schätzen kann.« Der bilderreiche poetische Stil, teilweise ›stream of consciousness‹, mit seiner fast paradoxen Metaphorik entspricht der skurrilen Handlung, die in den 1920er und 1930er Jahren in Paris, Berlin und New York spielt. Die zentralen Personen sind die Amerikanerin Robin Vote, ihr jüdischer Ehemann Felix Volkbein, ihre Geliebte, die Künstlerin Nora Flood, und der transsexuelle Arzt Dr. Matthew O’Connor.
Nach der Geburt eines debilen Sohnes verlässt Robin ihren Mann und reist nach Amerika, wo sie Nora kennenlernt, deren Augen den »spiegellosen Blick polierter Metalle« haben. Nach ihrer Rückkehr nach Paris ziehen beide Frauen in eine gemeinsame Wohnung. Doch Robin, von Unruhe und rätselhafter Sehnsucht getrieben, treibt sich nächtelang in Paris herum und beginnt eine Affäre mit der groben, geschmacklosen Jenny Petherbridge, um mit ihr nach der Trennung von Nora nach Amerika zu reisen. Nora sucht in ihrer Einsamkeit Trost in nächtlichen Gesprächen mit Dr. O’Connor, der unglückliche Menschen anzuziehen scheint und auf ihre Beichten mit endlosen Monologen antwortet. In ihrer unergründlichen Leidenschaft für Robin zieht sie nachts auf ihren Spuren durch die Straßen. Am Ende hat die faszinierende, aber beziehungsunfähige Robin Nora und Jenny an den Rand des Wahnsinns getrieben und ist selbst geistig verwirrt. Volkbein wird schließlich alkoholabhängig, und Dr. O’Connor stirbt an der Theke einer Pariser Bar. In der dubiosen, symbolisch aufgeladenen Schlussszene trifft Robin auf einen Hund, mit dem sie um die Wette bellt und neben dem sie schließlich vor Erschöpfung weinend zusammenbricht.
Getrieben von dunklen Sehnsüchten, mondän und krank, sind Djuna Barnes‘ Figuren mehr als nur Neurotiker und Psychopathen. Sie verkörpern das Leid aller Existenz, »das menschliche Elend und menschliche Unfreiheit« (T. S. Eliot). Sie leiden entweder an Selbstsucht oder an einem obsessiven Drang zur Selbstzerstörung und sind unfähig, sich aus ihren Liebesqualen und dem psychischen Elend zu befreien. Nightwood fasziniert nicht zuletzt durch die ungemein dichte, rhythmisch ausgewogene Prosa und einen kunstvollen, stufenweise sich steigernden und dann auslaufenden Gesamtaufbau.
• Lit.: K. Burke: Version, Con-, Per-, and In-. Thoughts on D. B.’s Novel ›Nightwood‹, in: Southern Review 2, 1966/1967, 329–340. • V. L. Smith: A Story Beside(s) Itself. The Language of Loss in D. B.’s ›Nightwood‹, in: Publications of the Modern Language Association of America 114, 1999, 2, 194–206. • S. J. Hubert: The Word Separated from the Thing. ›Nightwood‹’s Political Aesthetic, in: Midwest Quarterly. A Journal of Contemporary Thought 46, 2004, 1, 39–48.
Sieglinde Lemke / Jörg Drews
Zur Person: Djuna Barnes
geb. 12.6.1892 Cornwall-on-Hudson/N. Y. (USA) gest. 18.6.1982 New York/N. Y. (USA)
Verfasste in den 1920er und 1930er Jahren Theaterstücke, Romane und Gedichte; als Malerin und Journalistin in Europa tätig; in Paris neunjährige Liebesbeziehung mit der Künstlerin Thelma Wood, befreundet mit G. Stein, E. Hemingway, T. S. Eliot und Peggy Guggenheim; 1940 Rückkehr in die USA; längere Krankenhausaufenthalte; bis zu ihrem Tod zurückgezogenes Leben in Manhattan.
• Lit.: D. Parsons: D. B., 2003. • K. Stromberg: D. B. Leben und Werk einer Extravaganten, 1999.
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