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Riesig, vernetzt und jung

Die Frankfurter Buchmesse richtet den Fokus in diesem Jahr auf sieben internationale Märkte (mehr Infos am Ende des Artikels). Im Vorfeld präsentiert die Messe in Kooperation mit buchreport eine Serie, in der Experten aus den Ländern ihre Märkte vorstellen. Diesmal: John McGlynn (Lontar Foundation) über das viertgrößte Land der Welt – dessen Markt an Lesern aber kaum erschlossenen ist: Indonesien.

Wie entwickeln sich die marktführenden Verlage in den wichtigsten Buchmärkten der Welt? Das „Global Ranking“ von buchreport fasst die wichtigsten Entwicklungen zusammen und nimmt 57 Verlagsgruppen unter die Lupe. Hier weitere Infos


McGlynn (Foto: Beat Presser) , gebürtiger US-Amerikaner, gilt als wichtigster Übersetzer indonesischer Literatur. Seine Lontar Foundation hat neben Übersetzungen auch Filmprojekte angeschoben, die sich indoneischer Kultur widmen.
Was sind die drei erstaunlichsten Fakten über Ihren Buchmarkt?
Mit einer Bevölkerung von annähernd 250 Mio. Menschen ist Indonesien in demografischer Hinsicht das viertgrößte Land der Welt, mit einem riesigen und praktisch noch unerschlossenen Markt an Lesern.
Etwa 80% der Gesamtbevölkerung ist jünger als 30 Jahre und Indonesiens Mittelschicht – die Leute, die sich Bücher und buchnahe Produkte leisten können – nimmt von Tag zu Tag exponentiell zu.
Indonesien gehört zu den am stärksten „vernetzten“ Nationen der Welt. Zudem ist es eines der aktivsten und social-media-affinsten Länder und fast an erster Stelle in Bezug auf Blogger, unter denen sich aufstrebende Autoren befinden.
Was können andere Märkte von Ihrem Markt lernen?
Flexibilität und eine Bereitschaft zur Anpassung. Obwohl langfristige Planung eine Menge für sich hat, können durch die strikte Bindung an die „Katalogsaison“ auch Chancen ungenutzt an einem Verlag vorbeizeihen. Ich habe das im Vorfeld der Ernennung Indonesiens zum Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse gesehen. Als die staatliche Übersetzungsförderung vor zwei Jahren immer noch nicht gestartet war, habe ich versucht, den zuständigen Institutionen in Indonesien zu vermitteln, dass es so nahezu unmöglich sein würde, ausländische Verlage davon zu überzeugen, indonesische Buchtitel in ihr Programm aufzunehmen. Irrtümlicherweise gingen sie davon aus, dass sich, stellte man erst mal Fördermittel für Übersetzungen bereit, zahlreiche ausländische Verlage darum bewerben würden. Nichts dergleichen passierte, denn die ausländischen Verlage hatten für 2015 bereits ihre Verlagskataloge geplant. Indonesische Verleger waren dagegen sehr gerne bereit, die Vorzüge des Programms für sich zu nutzen und innerhalb eines Jahres über 200 Buchtitel in Deutsch und Englisch herauszubringen. 
Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Schwachpunkte Ihres heimischen Marktes?
Indonesier sind eher zurückhaltend, wenn es darum geht, sich selbst und ihre Produkte, auch Bücher, anzupreisen. Außerdem ist es bisher nicht üblich, die Kosten für so grundlegende und notwendige Dienstleistungen wie Lektorat und Korrekturlesen zu zahlen – selbst bei den indonesischen Originaltexten. Im Ergebnis entsprechen viele der produzierten Bücher nicht den Standards des internationalen Buchmarktes. Eine weitere Schwäche ist das mangelnde Verständnis für die Bedeutung der Übersetzungsqualität, ebenso wie die Beschaffenheit der Werbemittel, von Websites bis hin zu Katalogen – hier kann man noch einiges verbessern.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach der digitale Markt in Ihrem Land entwickeln?
Ich bin kein Experte für digitale Technologie, aber die jüngere Generation Indonesiens ist extrem „tech-affin“, und es gibt zahlreiche App-Entwickler und Bildungsaktivisten, die die digitale Technologie nutzen, um Alphabetisierung zu fördern. Innerhalb weniger Jahre hat Indonesien einen Sprung gemacht von einer kleinen Anzahl „Lesender” hin zu einer enormen Anzahl. Diese Leute lesen natürlich nicht alle Literatur, aber es ist ein gutes Zeichen, und Verlage können sich diesen Trend zunutze machen, indem sie stärker in den digitalen Markt investieren, um potenzielle Leser zu erreichen. Angesichts der rasant steigenden Zahl an Besitzern von Smartphones, Tablets, E-Readern und dergleichen, sind steigende Buchverkäufe im Digitalformat vorhersehbar.
Wie lassen sich Beziehungen zwischen Verlagshäusern verbessern? Welche Veränderungen sind dafür nötig?
Veränderungen in der Print-Technologie machen es einfacher und preiswerter als je zuvor, Ko-Publikationen und unterschiedliche Ausgaben desselben Titels für verschiedene Regionen der Welt zu produzieren. Eine strenge Einhaltung der regionalen Rechte ist wichtig, aber jetzt, wo die Welt enger vernetzt ist als jemals zuvor, sollten Verleger stärker Gewinnbeteiligungsvereinbarungen in den Blick nehmen als lediglich den Verkauf von Rechten. Viele Verlage können sich nicht leisten die mitunter beachtlichen Vorschüsse zu zahlen, die beim Verkauf von Rechten anfallen. Insofern Buchhaltungspraktiken auf beiden Seiten transparent sind, könnten sich Gewinnbeteiligungsvereinbarungen als nutzbringend für alle Beteiligten erweisen.
An welchem ausländischen Buchmarkt sind Sie persönlich interessiert und warum?
Lontar ist Spezialist für die Übersetzung indonesischer Titel ins Englische. Deshalb sind wir hauptsächlich daran interessiert, unsere Umsätze und Verträge für Ko-Publikationen in Ländern auszuweiten, in denen die englische Sprache dominiert. Vor diesem Hintergrund aber, da Englisch als Brückensprache dient – und ich habe im vergangenen Jahr eine Reihe exzellenter Übersetzungen ins Deutsche auf Grundlage der englischsprachigen Texte gesehen – würde ich mehr Übersetzungen indonesischer Titel aus dem Englischen begrüßen. Wegen des Mangels an professionellen Literaturübersetzern vom Indonesischen in andere Weltsprachen ist das unumgänglich, will Indonesien seine Literatur auf schnellerem Wege in der Welt bekannt machen. Als Berufsübersetzer halte ich das nicht für eine ideale Situation, aber ich bin auch pragmatisch und habe festgestellt, dass es möglich ist, gelungene Prosa-Übersetzungen anzufertigen, wenn in den Übersetzungsprozess neben dem Englischübersetzer noch ein Indonesienspezialist aus der Zielsprache einbezogen wird, der die Zielsprachenübersetzung mit dem indonesischen Original vergleichen kann. (Lyrik kann dagegen nie mithilfe einer Zweitsprache übersetzt werden.)
Wenn es nach Ihnen ginge, welchem Autor Ihres Landes würden Sie internationalen Erfolg wünschen?
Als Übersetzer, Lektor und Herausgeber vieler ausgezeichneter Autoren möchte ich diese Frage lieber offen lassen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Was ich aber sagen kann ist, dass Indonesien seit dem Untergang des Soeharto-Regimes im Jahr 1998 eine große Anzahl talentierter Autoren hervorgebracht hat, die es verdient haben, auf der internationalen Bühne gehört zu werden. Diese indonesischen Autoren sind in einer toleranten multi-kulturellen Gesellschaft aufgewachsen, einer, die über Nacht von einer Quasi-Diktatur zur Demokratie überging. Sie halten Antworten bereit für Länder, die weniger erfahren sind mit dramatischen Umbrüchen in Gesellschaft und Kultur.

Das internationale Geschäft steht im Mittelpunkt der neuen Auftaktveranstaltung „The Markets – Global Publishing Summit“ am Vortag der Frankfurter Buchmesse (14.-18. Oktober 2015). Vorgestellt werden sieben internationale Buchmärkte, die von Branchenexperten vorgestellt und aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Ziel analysiert werden, Geschäfte vor Ort anzubahnen sowie potentielle Geschäftsfelder sichtbar zu machen. Aus jedem Buchmarkt wird jeweils ein Segment in den Fokus gerückt:

  • China – Internationale Kooperationen und Joint Ventures
  • Deutschland – Wissenschaftliches Publizieren und Fachinformationen
  • Indonesien – Publikumsverlage
  • Mexiko – Publikumsverlage
  • Südkorea – Bildung und Kinderbücher
  • Türkei – Gesamtmarkt
  • USA – Digitales Publizieren und Innovation

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