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Rilke Mehr Kardashian geht nicht

SPIEGEL ONLINE stellt jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller und Sebastian Hammelehle. Diesmal Klaus Modicks „Konzert ohne Dichter“. Der Roman, in dessen Mittelpunkt die Begegnung zwischen Rainer Maria Rilke und dem Maler Heinrich Vogeler im norddeutschen Künstlerdorf Worpswede des Jahres 1905 steht, steigt diese Woche auf Platz 6.
Hammelehle: Warst du schon mal in Worpswede?
Keller: Ich bin mal von Hamburg nach Bremen gefahren. Aber näher war ich noch nie an Worpswede. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass ein Ort mit so viel Kunst und Reetdächern und einem Gebäude namens Käseglocke kein schlechter Ort sein kann. Trotzdem wäre ein Roman über das Leben in der Künstlerkolonie um 1900 wahrscheinlich keiner, den ich in einer Buchhandlung zuerst aufschlagen würde. Aber damit scheine ich eine Minderheit zu sein. Wie erklärst du dir das?
Hammelehle: Naja, eben damit, dass er in Worpswede spielt. So, wie es in Weimar an jeder Ecke Siegfried Unselds „Goethe und der Gingko“ zu kaufen gibt und auf Spiekeroog Spiekeroog-Krimis, haben die zahlreichen Worpswede-Besucher mit „Konzert ohne Dichter“ jetzt den Roman, den sie auf der Rückreise ins Handgepäck packen können. Angeblich gibt es in Worpswede ja sehr viele Reisebusparkplätze. Dann würde ich mal sagen: „Konzert ohne Dichter“ ist das literarische Äquivalent zu den Heizdecken, die sonst an derartigen Busreisezielen verkauft werden.

Keller: Wenn schon, würde ich es genau andersrum machen und den Roman schon bei der Hinreise ins Gepäck packen. Um ihn dann vor Ort in irgendeinem Bauerngartencafé bei einem Kännchen Kaffee zu lesen. Und falls es im Korbsessel trotz Frühlingssonne kühl wird, würde ich zu einer Wolldecke statt einer Heizdecke raten. Aber unter uns Nicht-Worpswede-Touristen: Soll man das lesen, ohne jemals da gewesen zu sein?

Hammelehle: Eine Verlagsvertreterin hat mir ja mal verraten, dass die Romane John von Düffels, deshalb so erfolgreich seien, weil norddeutsche Damen sie gern lesen. Ich behaupte mal: Das trifft auch auf Klaus Modick zu.
Keller: Das freut mich zu hören. Vielleicht wird aus mir eines Tages noch eine norddeutsche Dame werden. Denn ich habe reingelesen und war sofort absolut begeistert davon, wie unterhaltsam unsympathisch Rainer Maria Rilke geschildert wird. Und wie plastisch Modick über Malerei schreiben kann. Und wie viel norddeutsche Dame steckt in dir?
Hammelehle: Endlich sind wir da, wo ich schon immer hinwollte: Literaturkritik als Persönlichkeitstest. Ich finde, „Konzert ohne Dichter“ ist ein bisschen zu sehr landsmannschaftlich gefärbter Mittelgewichtsroman. Insofern würde ich wahrscheinlich keine gute norddeutsche Dame abgeben. Aber Rilke finde ich toll – einige seiner Gedichte zumindest. Eine leichte Diskrepanz zwischen der enormen Kunstfertigkeit Rilkes und dem im Vergleich doch eher durchschnittlichen Können Modicks lässt sich schon feststellen.
Keller: Ich mochte genau das, was du landsmannschaftlich nennst: die vielen Naturbeschreibungen voller Birken und Roggen und Torf und Gräben, das Plattdeutsch, die ständig erwähnten Farben. Die Frage ist doch, ob es Modick geschafft hat, einen Ton zu finden, der Heinrich Vogelers Bildern entspricht. Und dieses sehr detaillierte, mit der Idylle spielenden Sprache passt da gut.
Hammelehle: Sehe ich ganz genauso – schließlich wird Vogeler in diesem Roman als Inbegriff des Kunsthandwerkers dargestellt. Der Künstler ist Rilke.
Keller: Aber für meinen Geschmack hätten es noch ein paar mehr Klatschgeschichten und Skandale sein können, wenn das Buch schon als „eine chronique scandaleuse Worpswedes“ beworben wird. Aber wahrscheinlich haben mich da einfach die Kardashians zu sehr verwöhnt.
Hammelehle: Mehr Kardashian als die Beziehung Rilke und Lou Andreas-Salomé – das geht doch gar nicht.
Maren Keller ist Redakteurin beim KulturSpiegel. Als Jugendliche hat sie Rilkes Gedicht „Die Liebende“ in ihrem Zimmer entlang ihres Betts aufgehängt.
Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur bei SPIEGEL ONLINE. Er kann zwei Rilke-Gedichte auswendig.

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