Die Theorie ist zwar schon fast 20 Jahre alt, doch in der Buchbranche scheinen die Auswirkungen der sogenannten Disruption gerade in Zeiten der Digitalisierung so groß wie nie zuvor zu sein. Wikipedia hat dem Brockhaus den Garaus gemacht, Open-Access-Publikationen setzen die Wissenschaftsverlage unter Druck, während E-Books besonders dem belletristischen Taschenbuch-Markt zusetzen. Der buchreport Zukunftstag am 26. September im SPIEGEL-Haus in Hamburg widmet sich ausführlich den disruptiven Innovationsprozessen, die derzeit die gesamte Branche beschäftigen.
Die Referenten, darunter der frühere IBM-Technologie-Chef Gunter Dueck, SPIEGEL ONLINE-Geschäftsführerin Katharina Borchert, Weka-Media-Geschäftsführer Werner Pehland und Rowohlt-Chef Peter Kraus vom Cleff, zeigen Ideen und Konzepte, wie Innovationskultur entsteht, wie verwandte Medienbereiche auf disruptive Entwicklungen reagieren, wie Verlage beispielhaft die Innovationsherausforderung meistern. Hier weitere Infos zur Veranstaltung.
Die auf 50 Personen beschränkte Teilnehmerschaft erhält eine 360-Grad-Perspektive zu allen Managementbereichen (Strategie, Programm, Marketing, Organisation, Human Resources) und tauscht sich in interaktiven Round-Table-Sessions und im informellen Rahmen mit Kollegen und Referenten aus.
Andreas Wiedmann (Foto) geht beim Zukunftstag der Frage nach, was Verlage von Start-ups lernen können. Wiedmann hat in führenden Positionen bei Thienemanns, Ars Edition und CartoTravel/ADAC gearbeitet. 2011 trat er als Finanzchef bei Metaio an, einem Unternehmen, das sich auf Augmented Reality spezialisiert – der neue Ikea-Katalog setzt beispielsweise auf Metaio-Technologie.
Sie haben die Krise der Landkarten-Verlage miterlebt. Wäre diese disruptive Entwicklung abwendbar gewesen?
Kartografie ist eine Dienstleistung, um Menschen von hier nach dort zu führen oder ihnen einen regionalen Überblick zu geben. Gedruckte Dienstleistungen werden schlicht von digitalen Geschäftsmodellen abgelöst (siehe auch Brockhaus, Langenscheidt, etc.), – und gerade bei Kartografie findet sich ja nicht mal mehr eine Sprachenschranke. Insofern war die disruptive Entwicklung nicht abwendbar. Und da über Jahre bei dieser Art der Dienstleistung die Technologie im Vordergrund stand – hier z.B. die Navigation auf Navis oder heute auf dem Smartphone –, konnten Verlage nicht anders reagieren, weil sie Content-Lieferanten waren und sind und nicht Technologiedienstleister. Und Content im Umfeld von Dienstleistungen wurde immer mehr zur Community-Leistung und damit kostenlos: Openstreetmap, Wikipedia, Leo sind die nun schon klassischen Beispiele.
Bei Ihrem eigenen Unternehmen United Maps sind Sie 2011 mit dem Geschäftsmodell, wertvolle Kartendaten zu produzieren und zu verkaufen, gescheitert. Was haben Sie falsch gemacht?
Wir hatten eine hochinteressante Technologie zum Verschneiden von Kartografiedaten entwickelt, die auch heute noch ihre Berechtigung hat. Jedoch verkaufen wollten wir den daraus gewonnenen – besseren – Content, ein Kartografieprodukt ohne Technologie. Und wir haben an das Massengeschäft geglaubt, mit einzelnen, großen Playern wie z.B. Nokia oder TomTom. Das war falsch. Wir hätten Technologien als Software-Pakete anbieten müssen und daraus kleine Produkte oder Apps zur Finanzierung und zum Proof-of-Concept der Technologie entwickeln müssen. Vielleicht waren wir damals zu früh.
Was haben Sie daraus gelernt?
Technologien selber entwickeln, in kleinen, jungen und günstigen Teams. Ausprobieren im App-Markt. Dienstleistungen für andere Unternehmen anbieten – zur Finanzierung und technologischen Erweiterung der eigenen Entwicklung. Schnell sein, Mutig sein, international sein. Strategisch flexibel. Loslegen statt debattieren. Generell: Lieber mit beta starten als zu spät starten. Und: Rechte der Technologien sichern. Entsprechende Patente anmelden.
Ist Technologie für Verlage wichtig?
Ja, weil Technologien wie z.B. Augmented Reality auch zukünftig Inhalte transportieren können und dann ggf. auch für diese Inhalte via Micropayments oder In-App-Payments wieder etwas gezahlt wird. Weil gute Publishing-Marken auch Gatekeeper für kuratierte Informationen und Dienstleistungen im digitalen Umfeld sein können.
Hat die Verlagsbranche zu wenig Start-ups?
Ich weiß nicht, ob es zu wenig Start-ups gibt. Sicher ist zumindest, dass sich viele Verlage sich darum viel zu spät gekümmert haben. Dabei sind gute, junge, kreative Software-Ingenieure nicht teurer als Lektoren oder Redakteure. Vielleicht setzt die Verlagsbranche immer noch auf die falschen Gewichte: Teure Starautoren mit gewaltigen Vorschüssen, riesiger Marketingmaschine und möglicherweise mickrigen Verkäufen – statt dieses Risikokapital einmal in ein eigenes Start-up-Projekt zu setzen.
Hat Augmented Reality eine Perspektive in der Buchbranche?
Ja – zumindest muss man es mal versuchen. Mit 500 Euro und ein bisschen Software-Kenntnisse ist man bei Metaio schon mit dabei. Sicher nicht eine High-End-Lösung wie nun der neue Ikea-Katalog es darstellt. Oder auch nicht Audi, das gerade seine Betriebsanleitungen durch eine AR-App ergänzt. Aber ein Versuch – ganz im Sinne der oben beschriebenen Notwendigkeit der Annäherung von Content–Providern an digitale Technologien – ist allemal wert. Und auch der große Erfolg von AR bei den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen zeigt, dass AR inzwischen viel mehr ist als eine nette Marketingspielerei.
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