Am vergangenen Montag trafen sich Experten in der Hochschule Macromedia in Hamburg, um über die Frage zu debattieren, ob Künstliche Intelligenz den Journalisten die Arbeit wegnehmen wird. Gut möglich, dass ein Computer diesen Bericht so beginnen würde…
Die Keynote zur Frage „Schichtwechsel – Übernehmen Roboter in den Redaktionen?“ sprach Professor Thomas Hestermann von der Hochschule Macromedia (Ex-Redaktionsleiter der Talkshow Tacheles).
Auf dem Podium saßen:
Ulrich Gathmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der NWZ-Mediengruppe
Frank Feulner, Chief Visionary Officer bei AX Semantics
Wiebke Loosen, Senior Researcher am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung
Thomas Ross, Industry Leader Media & Entertainment bei IBM
Moderiert wurde die vom Deutschen Journalistenverband (DJV), Macromedia Hochschule und Hightech Presseclub veranstaltete Podiumsdiskussion von Angela Oelscher (Spiegel Online) und Peter Becker (Hightech Presseclub)…
Dies als Kostprobe – in Ermangelung geeigneter Software ist der folgende Bericht humanoiden Ursprungs.
Die Prognose des Professors: KI wird sich in Redaktionen durchsetzen, aber Redakteure nicht verdrängen
Die Chancen, dass Kollege Computer in Redaktionen künftig auch für bestimmte Textformen das Schreiben übernimmt, schätzt Thomas Hestermann, Professor an der Hochschule Macromedia, als hoch ein. In seiner Keynote weist er auf Studienergebnisse hin, denen zufolge Leser nicht zwischen automatisch erstellten Texten und solchen aus menschlicher Hand unterscheiden können. Darüber hinaus gelten die maschinell produzierten Beiträge als glaubwürdiger und kompetenter, wenngleich auch als schlechter lesbar. Daraus leitet Hestermann die Prognose ab, dass zunehmend redaktionelle Software das Texten standardisierter Formate übernehmen wird. Außerdem werde die Analysekraft der Programme die redaktionelle Recherche unterstützen. Aber herkömmlicher Journalismus habe nicht nur eine Zukunft, sondern mithilfe Kollege Computer sogar eine Chance, vielfältiger und kreativer zu werden denn je – wenn er die anstehenden Herausforderungen „mit Mut, Neugier und Phantasie“ angehe. Von einer Verdrängung des Menschen aus den Redaktionen geht Hestermann nicht aus: Deutschland zähle zu den Ländern mit der höchsten Roboterdichte in der industriellen Fertigung und könne trotzdem nahezu Vollbeschäftigung vorweisen.
Der Mann von IBM: Künstliche Intelligenz ist nicht intelligent, sondern stark in Datenverarbeitung
Einen spektakulären Schritt in Richtung Roboter-Journalismus markierte die im Juni dieses Jahres erschienene Ausgabe des britischen Magazins „The Drum“, deren komplette Gestaltung die IBM-Software Watson übernommen hatte – ein Novum in der Geschichte des Journalismus ebenso wie der Informationstechnik.
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Für Thomas Ross von IBM handelt es sich bei dem britischen Experiment um einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu dem Ziel, nicht nur strukturierte Daten wie etwa Tabelleninhalte verarbeiten zu können, sondern auch unstrukturierte Daten wie Bilder, Videos und (unstrukturierte) Texte. Im strengen Sinne handle es sich dabei seiner Meinung nach aber nicht um Künstliche Intelligenz (ein Gedanke, für den vieles spricht; der Einfachheit halber verwendet der Bericht aber den Begriff weiterhin). Ross macht dies an einem Beispiel deutlich: Google liefere weniger wegen seines ausgeklügelten Algorithmus seine guten Treffer, sondern eher, weil die Suchmaschine über einen riesigen Datenbestand verfüge, den sie mit dem Algorithmus erschließen kann. Auch aus seiner Sicht werden Computer die Journalisten künftig nicht ersetzen, sondern ihnen bei ihrer Arbeit zur Hand zu gehen. So arbeite das Watson-Team derzeit zusammen mit einem Partner aus dem Sport daran, die Sportberichterstattung mit einem Programm zu unterstützen, das aus der Bilderflut von Wettkämpfen besonders emotionale Motive herausfiltern soll.
Der Chef-Visionär von der Software-Schmiede: Unser Tool braucht jemanden, der es bedient
Auch Frank Feulner von AX Semantics, ein führender Anbieter von Text-Automatisierung in Deutschland, wird nicht müde zu betonen, wie unverzichtbar die Rolle von Journalisten in den gemischten Mensch-Maschine-Redaktionen der Zukunft ist. Die Software seines Hauses sei vor allem dafür gedacht, für standardisierte Formate wie Veranstaltungskalender, Wetter und dergleichen eingesetzt zu werden. Feulner stellt klar: „Wir machen ein Tool, das jemanden braucht, der es bedient.“ Die Programme würden von Journalisten, Redakteuren und Kommunikationswissenschaftler trainiert. Über die automatisierte Erstellung einfacher Texte hinaus sei es das Ziel, die Software für assistierende Aktivitäten einzurichten, etwa die Recherche so zu erleichtern, dass sich Redakteure mehr auf die Qualität ihrer Texte konzentrieren können. Daraus ließen sich auch neue Themen generieren: Die New York Times etwa habe massenhaft Polizeiberichte durch ein Computerprogramm laufen lassen und sei dadurch auf neue Geschichten beispielsweise über Problemviertel gekommen.
Die AX-Software beschränke sich auf das Verarbeiten strukturierter Datenquellen, von denen aber – Beispiele Wetter, Finanzen – immer mehr vorhanden seien. Der Vorteil ihres Einsatzes bestehe darin, dass Redaktionen viele sehr kleine Zielgruppen ansprechen können und so „möglicherweise dazu beitragen, dass weitere 90 Leute hinter die Paywall kommen“. Für Feulner ist es wegen der stetig verbesserten und nutzerfreundlicheren Tools sogar fraglich, ob es eine gute Idee ist, die Journalistenausbildung generell verstärkt auf IT-Kompetenz auszurichten.
Der Verleger: Wir sind gefordert, aktiv zu werden und die Produktpalette zu erweitern
„Ein Riesenpotenzial“ für automatisierte Text- und Rechercheprogramme sieht Ulrich Gathmann von der NWZ-Mediengruppe, die sich aus diesem Grund auch als einer der ersten Verlagskunden im Rahmen eines Konsortiums an AX Semantics beteiligt habe. Seit einem Dreivierteljahr setze sein Verlag die AX-Software ein, um 300 Postleitzahlengebiete mit maßgeschneiderten Wetterberichten zu beliefern. Geplant sei, mit dem Programm auch eine regionale Fußballplattform im Web, die von einem hauptamtlichen Redakteur und einigen freien Mitarbeitern betreut wird, attraktiver für Leser zu machen: mit 200 Spielberichten pro Wochenende – ohne maschinelle Unterstützung nicht leistbar. Die Zeiten, als eine Tageszeitung nach dem Motto „one size fits all“ für ein Massenpublikum produziert werden konnte, seien vorbei, die Erwartungshaltung sei eine völlig andere. Die redaktionellen Angebote müssten auf immer kleinere Zielgruppen zugeschnitten werden. Mit der redaktionellen Software „können wir Angebote produzieren, die wir mit Redakteuren nicht produzieren könnten“. Er nennt ein Beispiel: Der mit der Vorbereitung des Systems betraute Redakteur habe mit Hilfe des Kollegen Computer innerhalb von sechs Monaten 10000 Artikel produziert. Aber das Programm solle keine Journalisten ersetzen, sondern die Produktpalette erweitern. Die NWZ habe in diesem Jahr den Theodor-Wolf-Preis bekommen – und den werde auch in Zukunft sicher nicht die Software erhalten. Aus der Sicht von Gathmann sind Verlage seien gefordert, bei der Digitalisierung der redaktionellen Abläufe aktiv zu werden, da neue, branchenfremde Unternehmen sonst in die Märkte eindringen. Die Angst, von Maschinen ersetzt zu werden, sei unbegründet, aber die vor internationalen Konzernen, die auch die lokalen Newsmärkte aufrollen, real. Gathmann: „Unser Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass Kunden für gut recherchierte Berichterstattung zahlen – wenn das nicht gelingt, können wir alle einpacken.“
Die Medienwissenschaftlerin: Die Veränderungen sind tiefgreifender, als das Podium denkt
Bei so viel geballter Unbedenklichkeitsbestätigung, die die KI auf dem Podium erhält, kommt der Medienwissenschaftlerin Wiebke Loosen die Rolle, zu etwas Wasser in den Wein zu gießen. Sie hält es für fraglich, ob sich durch die Verbreitung der KI in Redaktionen wirklich so wenig ändern wird. So bleibt ihre Frage unbeantwortet, warum die Urheber von Daten diese künftig nicht einfach selbst nutzen, anstatt sie den klassischen Medien weiterzugeben – konkretes Beispiel: Wenn der Deutsche Fußballbund Spielberichte und Statistiken erstellt, kann er die ja einfach selbst verwerten. Schwer absehbar sei auch, ob der Siegeszug der Informationstechnik im Journalismus eher große, internationale Konzerne begünstigt oder kleine Start-ups. Allerdings sei derzeit der Trend zu beobachten sei, dass auch kleinere Redaktionen mehr und mehr Datenjournalismus einsetzen. Ferner seien gesellschaftliche Auswirkungen im Auge zu behalten: Der Trend gehe dahin, dass der Nutzer definiert, was für ihn relevant ist – das klassische journalistische Nachdenken darüber, was Nutzer wissen wollen und sollten, werde davon verdrängt (Stichwort Filterblase). Loosens Fazit: „Wir müssen die Datafizierung der Gesellschaft aufmerksam beobachten.“
Foto: pixabay
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