In der Buchbranche treibt die Sorge um einen Sichtbarkeits-Verlust des Buches derzeit viele um (siehe dazu den aktuellen Text aus dem buchreport.express 06/2021), Naturgemäß verfolgt die IG Digital die Diskussion mit Interesse,
Roland Große Holtforth (Literaturtest) spricht mit dem buchreport über die Herausforderungen in Zeiten abgesagter Messen und geschlossener Buchhandlungen.
Gerade meldet Amazon ein Drittel mehr Umsatz in Deutschland – ist die Sichtbarkeit des stationären Buchhandels über digitale Kanäle auch deswegen besonders wichtig?
Digitale Sichtbarkeit ist für Buchhandlungen extrem wichtig, und dies auch unabhängig vom Erfolg Amazons. Denn es kann ja nicht darum gehen, auf der Ebene des Amazon-Geschäftsmodells mit diesem Unternehmen zu konkurrieren. Vielmehr gilt es, das eigene Geschäft – persönlicher Service, individuelle Ansprache, starke lokale oder regionale Präsenz – für möglichst viele potenzielle Kund*innen wahrnehmbar zu machen. Und das geht schlicht nicht mehr ohne digitale Kommunikation.
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang den Begriff „stationärer Buchhandel“ auch einmal grundsätzlich überdenken. Denn er suggeriert, eine gute E-Mail-, Website- und Social-Media-Kommunikation sei gegenüber dem „Eigentlichen“, dem Ladengeschäft, nur Anhängsel. Aber Kunden möchten frei entscheiden können, wie und wo sie suchen, stöbern und bestellen – für sie beschreibt die Kategorie „stationär“ immer öfter nur einen Aspekt dessen, was sie von ihrer Buchhandlung erwarten.
In den USA gibt es die Plattform bookshop.org für den unabhängigen Handel. In Deutschland gibt es in Ansätzen zumindest ähnliche Ideen wie genialokal, aber noch nichts wirklich Übergreifendes. Wäre das ein Ansatzpunkt?
Bei allen Unterschieden der Märkte: Der Erfolg von bookshop.org ist inspirierend. Eine solche Plattform würde hierzulande eine maximale Entschlossenheit zur Kooperation voraussetzen – verbunden mit dem Verzicht darauf, die Umsetzung bis in den letzten Pixel hinein konsensual diskutieren zu wollen. Ob das möglich ist? Schwer zu sagen. Ob man ernsthaft darüber nachdenken sollte? Wenn das Denken zügig erfolgen kann: eher ja. Ohne für ihn sprechen zu können, läge für den unabhängigen Buchhandel hierin vielleicht eine Chance, gemeinsam Kosten zu reduzieren und an Sichtbarkeit zu gewinnen.
Was würde Sie Buchhändlern sagen, die befürchten, sich durch stärkeren Fokus auf Online selbst zu „kannibalisieren“?
Gegen Ende einer Veranstaltung fragte mich kürzlich eine Teilnehmerin, ob digitales Marketing nicht das Geschäft der Buchhandlungen gefährde. Ich war kurz perplex, bis ich merkte, dass die Antwort darauf ganz einfach ist: „Eine Gefahr ist digitales Marketing nur dann, wenn Sie als Buchhandlung es nicht selbst machen.“
Wie bewerten Sie die vielen verschiedenen Ideen und Maßnahmen des Buchhandels in den vergangenen Monaten? Was davon kann ggf. auch in der Zukunft eine wesentliche Rolle spielen?
Da gab es wirklich sehr, sehr viel Gutes! Ich persönlich fand es gerade in den letzten Monaten großartig, Bücher online bestellen zu können, wann immer ich möchte, und mich dann beim Abholen im oder vor dem Laden an einem Lächeln oder einem kurzen Gespräch zu erfreuen. Und natürlich waren unter den Bestellungen auch Empfehlungen, die ich dem Newsletter der Buchhandlung entnommen habe. „Stationär“ ist der Umsatz, der so entsteht, bei ehrlicher Betrachtung also eigentlich nur zu einem Drittel. Und meine Buchhandlung bietet hervorragenden Multichannel-Service, auch wenn vermutlich niemand dort auf die Idee käme, das so zu nennen. Dieser Service nach dem Motto „Gutes aus verschiedenen Welten verbinden!“ dürfte noch wichtiger werden.
Suchen Buchhandlungen bei der IG Digital eigentlich selber Rat? Oder ist das eher die Ausnahme?
Bis zum letzten Jahr waren nicht so viele Buchhandlungen in der IG Digital engagiert – aber da tut sich gerade etwas. Natürlich sind wir als Sprecherkreis ebenso wie unsere Peergroups extrem offen für einen solchen Austausch: Wir würden gerne viel öfter mit anstatt über Buchhändler sprechen. Auch abgesehen von Arbeit der IG Digital ist es im Moment eine sehr gute Zeit für Buchhandlungen, sich verstärkt im Börsenverein zu engagieren. Hier finden gerade Diskussionen statt, Stichwort: Rabattspreizung, die mindestens so wichtig sind wie Sichtbarkeit im digitalen Raum. Und das heißt etwas.
Roland Große Holtforth ist Mitglied im Sprecherkreis der IG Digital und geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Literaturtest. Die IG Digital und ihre Peergroups haben im letzten Jahr zahlreiche Webinare für die Branche angeboten und planen dies auch für 2021.
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