Digitale Strategien und neue Flächenkonzepte stehen ganz oben auf der Agenda des Buchhandels. Dabei vergessen die Sortimenter ihre ursprünglichen Qualitäten, kritisiert Buchhändler Michael Lemling (Foto). Seine Forderung: „Statt den Nonbooks große Flächen einzuräumen, sollten wir uns auf das konzentrieren, was uns ausmacht.“
Wer braucht noch schöne Bücher?
E-Books, Paid Content, Multichannel-Strategien und neue Flächenkonzepte stehen heute ganz oben auf der Agenda des Buchhandels. Ja, wer hat denn da noch Zeit und Sinn, über schöne Bücher, über Buchkunst nachzudenken? Dabei wäre eine Rückbesinnung essenziell. Sortimenter müssen sich auf ihre ursprünglichen Qualitäten konzentrieren. Und groß gemacht hat den unabhängigen Handel nun einmal das Angebot hochwertiger Bücher.
Vielerorts werden andere Produkte in die Hand genommen …
Wir reden derzeit viel zu wenig über Bücher und zu viel über Nonbooks. Was uns derzeit im Handel als „Erlebniswelt“ verkauft wird, ist genau das Gegenteil von dem, was mit diesem Begriff versprochen wird. Wer eine reiche Erlebniswelt sucht, der findet sie in den vielen Büchern, die alle Sinne ansprechen, die Reize im Übermaß verschenken. Die ganze Welt in einem einzigen Buch. Das ist das, worauf wir setzen müssen, um uns nicht aufzugeben.
Passt das Thema schöne Bücher noch in die Zeit, in der das gedruckte Buch auf dem Rückzug ist?
E-Books werden ihre Rolle spielen, aber ich glaube nicht, dass die Buchkultur deswegen untergehen wird. Man muss allerdings etwas dafür tun, dass das gedruckte Buch weiterhin attraktiv bleibt. Wir sollten es nicht kampflos aufgeben. Statt den Nonbooks große Flächen einzuräumen, sollten wir uns auf das konzentrieren, was uns ausmacht. Erinnern wir uns an die Qualitäten des Buches.
Hat die Branche da tatsächlich Nachholbedarf?
Schauen Sie sich die 55 Thesen zur Zukunft der Buchbranche an: Es gibt nicht eine These zu den Inhalten oder der Qualität, die wir verkaufen sollen, zur Buchkultur. Dieser Aspekt fehlt komplett.
Es wird viel diskutiert, aber zu wenig über die Inhalte und Formen, die wir anbieten wollen. Man sollte mutig genug sein, die Forderung nach Qualität in den Mund zu nehmen. Nur damit lassen sich gedruckte Bücher als etwas Erhaltenswertes herausstellen und Kunden für das Buch als Gesamtkunstwerk begeistern.
Die Fragen stellte Lisa Maria Neis
Wie Buchhändler hochwertige Bücher besser präsentieren können, erläutert Lemling im vollständigen Interview, das Sie im aktuellen buchreport.magazin 11/2011 lesen und hier bestellen
können.
Michael Lemling
wurde 1964 in Trier geboren. Er studierte Germanistik und Politikwissenschaft und absolvierte im Anschluss eine Ausbildung zum Sortimentsbuchhändler in der Marburger Buchhandlung Roter Stern. Dort arbeitete er von 1994 bis 1996. Danach leitete Lemling die Marburger Buchhandlung am Markt (bis 1999), dann sieben Jahre lang die Buchhandlung Carolus in Frankfurt/Main. Zudem war er von 2001 bis 2006 Vorsitzender des Landesverbands Hessen des Börsenvereins. Seit Juni 2006 ist Lemling Geschäftsführer der Traditionsbuchhandlung Lehmkuhl in München-Schwabing. In diesem Jahr übergibt er die Preise der Stiftung Buchkunst.
Herr Lemling hat völlig recht. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Handelsbereich den Ast absägt, auf dem er sitzt. Wenn alle alles außer Bücher verkaufen, welchen Sinn hätte dann noch eine „Buch“handlung. Das kann der Versandhandel genauso gut. Was er aber nicht kann, ist die Inszenierung. Wer darauf verzichtet, schaufelt sein eigenes Grab.