Kinderbuchverlage legen Altersempfehlungen oft großzügig aus. In welchem Spannungsfeld die Verlage stehen und wie Buchhändler ihren Spielraum besser nutzen können, erläutert Professor Hans-Heino Ewers, Direktor des Instituts für Jugendforschung an der Universität Frankfurt am Main, im Interview mit buchreport.
Schummeln die Kinder- und Jugendbuchverlage bei den Altersempfehlungen ihrer Bücher?
Zumindest liegen sie oft daneben. Wenn sie danebenliegen, hat das zwei Gründe: Einerseits müssen sie die Angemessenheit des Buches für die anvisierte Lesergruppe im Auge behalten, andererseits müssen sie die Absetzbarkeit des Buches berücksichtigen. Wenn die Zielgruppe zu eng definiert ist, wird dadurch ein Stück weit der Absatz beeinträchtigt. In diesem Spannungsfeld stehen Verlage. Sie müssen beides beachten und oft ist eine Altersangabe ein Kompromiss zwischen beiden Gesichtspunkten.
Sollen sich Buchhändler dann beim Verkauf noch an die Empfehlungen halten?
Nach Gesprächen mit Buchhändlern bin ich der Meinung, dass sie sehr frei mit den Vorgaben der Verlage umgehen. In der Regel kennen sie ihre Kundschaft, nehmen Einblick in das Buch und können sehr individuell reagieren. Und das ist gut so.
Woran sollen sich Buchhändler stattdessen orientieren?
Stattdessen ist nicht richtig. Die Orientierung an den entsprechenden Vorankündigungen der Verlage, dem Klappentext und den Altersangaben auf dem Buch sind das eine. Das andere ist die Orientierung an Kunden, der eigenen Erfahrung und der eigenen Einschätzung des Buchs. Buchhändler sind Vermittler, die eine wichtige Aufgabe haben. Sie müssen die zumeist erwachsenen Käufer ein wenig zu mutigen Entscheidungen überreden, denn die erwachsenen Käufer neigen gerade beim Kauf von Kinder- und Jugendbüchern sowie von Bilderbüchern zu einer schützenden Haltung.
Muss etwas gegen großzügig gehandhabte Altersangaben getan werden?
Es besteht kein Handlungsbedarf, weil Altersempfehlungen Orientierungspunkte sind und keine verbindlichen Vorgaben. Und der Akt der Vermittlung eines Buches an den jungen Leser, sei es in der öffentlichen Bibliothek oder im Buchladen, ist immer ein Vorgang, der einen gewissen Spielraum braucht. Alle, die in dieser Vermittlerposition sind, sollen diesen Spielraum auch ausnutzen. Das ist mit Sicherheit auch im Sinne der Verlage.
Die Fragen stellte Christina Reinke
Foto: Rolf Oeser
Aus: buchreport.magazin 6/2011 (hier zu bestellen)
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