Der Launch von zwei Selfpublishing-Portalen des Carlsen-Verlags zeigt: Das einstige Randthema ist im Zentrum der klassischen Buchverlage angekommen. Aus einem belächelten Publikationsweg für Laien ist ein etabliertes Geschäftsmodell geworden. Da stellt sich die Frage: Funktioniert Selfpublishing nach dem Modell von disruptiven Innovationen? Ein Gastbeitrag von Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinold.
Mit dem Thema disruptive Innovationen beschäftigt sich der buchreport Zukunftstag am 26. September in Hamburg, der von Ehrhardt F. Heinold moderiert wird. Kernfrage der Tagung: „Wandeln oder weichen? Wie Verlage disruptive Innovationen erfolgreich managen.“ Hier finden Sie weitere Informationen und die Anmeldung.
Auch in der Verlagsbranche wird immer öfter von disruptiven Innovationen gesprochen. Der Eindrück könnte entstehen, dass es sich hier um einen dramatisierenden Hypebegriff handelt: Disruption, das klingt nach dramatischer Veränderung, die irgendwie aus dem Nichts hereinbricht. Doch dieser Eindruck trügt: Zum einen ist die Theorie bald 20 Jahre alt, zum anderen benötigen auch disruptive Innovationen Jahre, um sich durchzusetzen.
Die Theorie der disruptiven Innovationen wurde erstmals 1995 von Joseph L. Bower und Clayton M. Christensen formuliert: „One of the most consistent patterns in business is the failure of leading companies to stay at the top of their industries when technologies or markets change.“ Bekannt wurde der Ansatz aber durch Christsensens 1997 erschienenes Buch „The Innovators‘ Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fall“. Der Autor geht darin der Frage nach, warum Marktführer Innovationen verpassen und an dieser verpassten Chance letztlich zugrunde gehen. Wichtig ist die Kernthese dieser Theorie: Disruptive Innovationen starten immer als qualitativ minderwertige Alternativen zu den etablierten Lösungen und benötigen einige Jahre, um sich durchzusetzen. Das sind die Ursachen, warum die im Markt etablierten Unternehmen diese Neuerungen nicht ernst nehmen. Auch ihre Kunden, und hier potenziert sich das Problem, lehnen innovative Produkte ab oder erkennen nicht das revolutionäre Potential – ein Teufelskreis, der es in sich hat.
Bower und Clayton erläutern diesen Teufelskreis am Beispiel des Kopierermarktes: „But what happens when customers reject a new technology, product concept, or way of doing business because it does not address their needs as effectively as a company’s current approach? The large photocopying centers that represented the core of Xerox’s customer base at first had no use for small, slow tabletop copiers.“
Die folgende Grafik zeigt beispielhaft den zeitlichen Verlauf disruptiver Innovationen:
Grafik wurde Wikipedia entnommen – einer Wissensplattform, deren Qualität auch jahrelang von Verlagen verkannt wurde. Das Ende dieser Entwicklung wurde jüngst mit der Einstellung von Brockhaus eingeleitet. Prominente Beispiele für derartige Innovationen sind Festplatten (bis hin zum Flashspeicher), Mobiltelefonie, MP3-Musik oder Digitalkameras. Welche Beispiele fallen Ihnen im Verlagsbereich ein? Ich denke neben Wissensplattformen an Anzeigenportale, Google, aber auch an Open Access-Publikationen, E-Reader – und eben an Selfpublishing.
Wenn ich noch vor einem Jahr mit Belletristikverlegern über das Thema Selfpublishing gesprochen habe, kam immer das gleiche Argument aus dem Repertoire der disruptiven Innovation: Bei diesem Verfahren werden nur minderwertige Texte verlegt, die unsere Position als Qualitätsanbieter nicht gefährden. Oder kurz zusammengefasst: Keine Qualität, keine Relevanz, bedroht uns nicht…
Und in der Tat war Selfpublishing in der Startphase vor allem eine Lösung für alle jene, die keinen etablierten Verlag finden konnten. Oder erst gar keinen suchten. Doch der zunehmende Erfolg von selbstverlegten Büchern in den E-Books-Charts und die attraktiven Konditionen für Autoren auf den Publikationsplattformen, die auch etablierte Autoren ins Grübeln bringen, haben zu einem Meinungswechsel beigetragen. Dieser lässt sich an zwei Reaktionen ablesen:
1. Verlage verstärken ihre Serviceleistungen gegenüber den Autoren, um für diese weiterhin attraktiv zu bleiben (z.B. durch Autorenportale oder immer umfassendere Marketingleistungen).
2. Sie gründen selbst Plattformen für Selbstverleger wie Neobooks oder jetzt (Carlsen mit den Labeln Impress und Instant Books)
Zwei Szenarien
Hat Selfpublishing das Potential einer klassischen Disruption, die den Markt eines Tages so dominieren wird wie z.B. Digitalkameras? Diese Frage lässt sich heute nicht beantworten. Grundsätzlich sind für mich zwei Szenarien denkbar:
1. Dominanz-Szenario: Die Marktmacht und die Attraktivität von Plattformen wie Kindle Direct Publishing, Epubli oder BoD steigt immer weiter, so dass es für immer mehr Autoren zum Standard wird, auf diesem Weg zu publizieren. Wer mehr möchte als den Standard, kauft sich Services wie Lektorat oder Marketing hinzu. Klassische Verlage können nur noch eine Premiumnische belegen (wie die Schallplatte).
2. Parallel-Szenario: Selfpublishing etabliert sich, kann jedoch die Stellung der Verlage nicht gefährden. Jeder Autor mit Anspruch strebt eine Verlagspublikation an und nutzt Selfpublishing bestenfalls als Option für Nebenprojekte. Selfpublishing wächst zwar, wird aber den bestehenden Verlagsmarkt nicht disruptiv verändern. Im Gegenteil: Verlage nutzen solche Plattformen (eigene nach dem Neobooks-Modell, aber auch von anderen Anbietern) als Talentschmiede zur Entdeckung neuer Autoren und Titel.
Lesetipp:
Eine launig geschriebene Einführung in das Innovationsmanagement bietet das neue Buch von Gunter Dueck: Das Neue und seine Feinde, erschienen 2013 im Campus Verlag. Dueck ist Referent beim buchreport Zukunftstag.
Die Frage, wie weit sich das Self-Publishing entwickeln wird, hängt auch stark davon ab, in welcher Weise die Digitalisierung und ein neues Medienverständnis das E-Book vorantreibt. Bleiben wir bei einer klassischen Adaption von Text ins Digitale oder werden wir multimedial agieren?
Zitat: „Bleiben wir bei einer klassischen Adaption von Text ins Digitale oder werden wir multimedial agieren?“
Das Wort multimedial ist immer witzig, und war es auch schon in den Neunzigern. Die multimediale Adaption des Textes hat doch schon längst stattgefunden, angefangen vor über 100 Jahren: Hörspiel, Stummfilm, Tonfilm, Comicbücher, Animationsfilme, Motion Comics, Graphic Novels, Fernsehen, Audiobook, Video- und Computerspiele (in zahlreichen Genres vom Point&Click-Adventure, über das Rollenspiel, zum Egoshooter und interaktiven Erlebnis wie Beyond: Two Souls).
Betrachtet man die direkteste Übertragung des Textes ins „multimediale“, „digitale“ Zeitalter, so muss man sagen, dass das Textadventure schon längst ausgestorben ist. Zu einer Zeit, als manche, die heute über die digitale Übertragung des Textes sinnieren, wahrscheinlich noch nicht mal wussten, zu was ein Computer gut sein soll. Während der reine Text an sich all diese Innovationen unbeschadet überlebt hat.
Spannend ist es natürlich, welche Innovationen uns noch erwarten, welche wir selbst entdecken könnten. Ich denke dabei nicht an Ebooks mit wechselnder Hintergrundmusik oder so etwas.
Zukünftige Innovationen, wenn je möglich, wurde von der Fiktion ja bereits vorweggenommen, so gibt es in „Star Trek“ im 24. Jahrhundert sowohl noch „normale“ Schriftsteller, als auch Holoromanautoren. Oder die Aufzeichnung von Erlebnissen in „Strange Days“. „The Game“ mit Michael Douglas.
Es wird vermutlich auf ein Parallel-Szenario hinauslaufen, zumindest in den nächsten Jahren. Jeder Autor strebt an, eine maximal große Zielgruppe zu erreichen. Dazu ist heute und auf mittlere Sicht Print nicht verzichtbar.
Die meisten Autoren wünschen sich, gedruckt und im „ersten Buchmarkt“ erfolgreich zu sein. Ich persönlich habe noch keinen Autor getroffen, dem es glaubhafterweise egal war, ob seine Arbeit als Datei oder als anfassbarer Kodex vorlag. Hier spielen Gefühle eine gewichtige Rolle.
Selbst wenn das nicht so bleiben sollte, haben Verlage Zeit, die sie nutzen sollten (und viele nutzen sie, vgl. die Beispiele).
Übrigens wissen die meisten erfolgreichen Autoren, dass ihr Verlag (besonders ihr/e Lektor/in) für die Qualitätssicherung schwer verzichtbar ist. Das Ringen zwischen Autor und Lektor ist oft hart, und da hat der beim Verlag angestellte Lektor eine stärkere Position als ein freier Lektor, den der Autor bezahlt – also wird der Qualitäts-Output vermutlich höher sein.