Überlegungen, den Börsenverein weiter zu straffen, führen zur nächsten Frage: Was kann ein Dachverband überhaupt leisten und wo sind die Grenzen?
Nordrhein-Westfalen, der größte Börsenvereins-Landesverband, wirbt bei seinen Mitgliedern um die eigene Auflösung, genauer: Für die Verschmelzung mit dem Bundesverband. Dieser könnte künftig die Dienstleistungen für die Mitglieder – wenn auch mit regionalem Büro – letztlich zentral organisieren. Eine solche Strukturveränderung wird jetzt auch über NRW hinaus kontrovers diskutiert. In zwei Monaten wird sich zeigen, welches Konzept eines Branchenverbands die meisten Anhänger mobilisiert und: Ob die Diskussion sich um eher vordergründige Organisationsfragen rankt oder grundsätzlicher wird.
Die Argumentation für den NRW-Vorstoß ist auf den ersten Blick schlüssig. Ausgangspunkt sind finanzielle Zwänge, erwachsend aus Mitgliederschwund und rückläufigen Einnahmen. Die angebotene Lösung heißt effektiverer Mitteleinsatz, Kostensenkung durch Rationalisierung und „strukturelle Straffung“, also eine Organisationsaufgabe. Die entscheidende inhaltliche Frage aber, was ein Unternehmensverband wie der Börsenverein in Zeiten des Umbruchs für seine Mitglieder leisten kann und sollte, wird gar nicht neu gestellt. Schlimmer noch: Aufgabenstellung und Anspruch des Verbands werden bis hin zum unternehmerischen Wegweiser und Problemlöser überhöht.
Überschätzte Möglichkeiten
Das gemeinsame Papier von Bundes-Börsenverein und Landesverband NRW beschreibt die Herausforderungen zutreffend:
- Es gibt einen technologisch getriebenen „Umbruch in unserer Branche mit unbekanntem Ausgang“.
- Es gibt „Fragen nach Geschäftsmodellen, struktureller Gestaltung und Veränderung der gesamten buchhändlerischen Wertschöpfungskette und ganz konkrete Fragen nach den Bedingungen im Buchhandel“.
Wer aber erwartet ernsthaft in solchen ergebnisoffenen Zeiten, dass ein auch noch so gut durchrationalisierter Zentralverband für die Unternehmen „Antworten entwickelt“ oder zum „Wegbereiter“ wird und „Chancen des Umbruchs“ für die Mitglieder initiiert, wie dies in der Präambel des Fusionspapiers formuliert wird?
Ein Verband, der selbst nicht immer glücklich wirtschaftet und sich zwangsläufig auf dem Mittelweg der Branchenkompromisse bewegt, täte gut daran, seine Möglichkeiten nicht zu überschätzen und sich auf die verbindenden Rahmenbedingungen wie Preisbindung und Urheberrecht zu konzentrieren.
Interessen gehen weiter auseinander
Es ist zwar schön, dass es in der Buchbranche vergleichsweise gesittet zugeht, dass sich die drei Sparten auch bei „Hauen und-Stechen“-Veranstaltungen auf der Planche eines Branchenkonsenses bewegen und auch Unternehmen sehr unterschiedlicher Ausprägung einem Comment folgen: Das sollte aber nicht die Illusion übergreifender Lösungen nähren. Die aktuellen Analysen der größten Buchhandlungen wie der Online-Shops (beide im buchreport.magazin 3/2010) zeigen beispielhaft die Heterogenität der Entwicklungen und damit auch die Bandbreite individueller Interessen und Bedürfnisse, mit der ein Verband letztlich überfordert sein muss.
Beim Beratungs- und Dienstleistungsspektrum stellt sich deshalb tatsächlich die Frage nach dem passenden Geschäftsmodell. Neben regionalen Einheiten à la Landesverband könnten sich womöglich noch zielgenauer speziellere Anbieter wie Verbünde ähnlich strukturierter Unternehmen als geeignete Service-Anbieter erweisen.
Thomas Wilking
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