In vielen Bereichen der Wirtschaft haben Cloud-Services Einzug gehalten. Wie weit sind Verlage?
Olaf Remmele: Derzeit werden Cloud-Services in der Verlagsbranche nur vereinzelt genutzt. Es ist immer noch mehrheitlich üblich, Systeme und Lizenzen ins eigene Haus zu holen, Know-how dafür aufzubauen und dann zu betreiben. Allerdings hindert diese Herangehensweise die Geschwindigkeit, mit der Anforderungen im System umgesetzt werden können. Ebenso sind die Ausgaben höher, denn jeder muss seine Anforderungen zu 100% selbst finanzieren.
Knut Nicholas Krause: In manchen Bereichen sind Cloud-Services für die Verlagsbranche andererseits schon ganz normal: Google Docs und Microsoft Office 365 werden bereits in vielen Redaktionen und Lektoraten für die gemeinsame Bearbeitung von Texten verwendet und auch die Nutzung der Creative Cloud von Adobe ist aus dem Ver-lagsalltag nicht mehr wegzudenken. Auch im Bereich Customer Relationship Management (CRM) nimmt das Thema langsam, aber sicher Fahrt auf: Der Einsatz von Dynamics CRM Online, Dynamics Marketing (Marketing-Automation) und Social Listening ist für immer mehr Verlage interessant. Im Bereich der kaufmännischen Software für Enterprise-Resource-Planning (ERP) hinken deutsche Verlage jedoch deutlich hinterher.
Sensible Daten über Kunden oder die eigenen Inhalte auf fernen Servern, Performance und Verfügbarkeit – wo ist die zu leistende Überzeugungsarbeit für Sie am größten?
Remmele: Diese Diskussion müssten wir führen, wenn sich das Rechenzentrum der Rhenus nicht in Deutschland, also in den Räumen eines inhabergeführten und mittelständischen Unternehmens, befinden würde. Darüber hinaus wird das Rechenzentrum jedes Jahr einer ISO-27001-Zertifizierung unterzogen. In Hinblick auf Hochverfügbarkeit der Systeme hat die Rhenus außerdem hohe Investitionen getätigt, da in diesen Rechenzentren auch alle unternehmenskritischen Anwendungen der Rhenus selbst betrieben werden. Ein Verlag könnte das allein nie stemmen. Unsere Umgebungen sind dabei virtualisiert und über zwei Rechenzentren verteilt. So kann auch kurzfristiger Performancebedarf ohne große Investitionen und Vorlaufzeiten realisiert werden.
Krause: Datenschutz und Datensicherheit sind immer ein Kernthema, wenn die Cloud als Deployment-Alternative ins Gespräch kommt. Dabei ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten: Cloud ist nicht gleich Cloud. Man unterscheidet unter anderem zwischen Public-, Partner-, Private-, Virtual- Private- und Hybrid-Cloud. Betrachtet man zum Beispiel die Public- und Private-Cloud im direkten Vergleich, so zeichnen sich Public-Cloud-Angebote dadurch aus, dass die Anbieter ihre Angebote einer breiten Masse aus riesigen, teils international vertretenen Rechenzentren zur Verfügung stellen. Bekannte Beispiele sind die Apple iCloud, Amazons Webservices und Dropbox. Microsoft beispielsweise reagiert jedoch auf die spezifischen Anforderungen einzelner Ländermärkte. Aufgrund der Nachfrage nach höheren Datenschutzstandards in Deutschland eröffnet Microsoft gemeinsam mit der Telekom als Datentreuhänder Rechenzentren in Frankfurt und Magdeburg, in dem zukünftig alle Funktionen verfügbar sein werden, die die Microsoft-Cloud sonst über amerikanische oder irische Rechenzentren bietet – aber nach deutschem Datenschutzrecht.
Bei der Partner-Cloud übernehmen einzelne Anbieter, wie beispielsweise Rhenus, das Grundkonzept der Private-Cloud und erweitern dies um zusätzliche Service-Angebote. Hybrid-Clouds wiederum sind eine Mischung aus Cloud- und On-Premise-Systemen. Für die Nutzung von „knkVerlag“ in der Rhenus-Cloud bieten wir eine Partner-Cloud, in die sich jeder Verlag einmieten kann. Er kann dann die professionelle Verlagssoftware zusammen mit den Service- und Support-Leistungen von Rhenus nutzen: Kundenbeziehungs- und Debitorenmanagement, Direktmarketing und Logistik-Dienstleistungen.
Knut Nicholas Krause
Vorstand und Unternehmensgründer der knk Business Software AG. knk entwickelt und vertreibt „knkVerlag“, die einzige von Microsoft zertifizierte Verlagssoftware weltweit, die ERP-Funktionen (Finanzbuchhaltung, Controlling und Marketing) aus Microsoft Dynamics mit verlagsbezogenen Funktionen verbindet.
Olaf Remmele
Geschäftsführer der Rhenus Media Services. Rhenus Media ist ein Dienstleister für Verlage und andere Medien und übernimmt externe und interne Prozesse bei der Bereitstellung von physischen Büchern und Zeitschriften sowie von digitalen Medien wie E-Books.
Welche weiteren Kriterien gibt es bei der Cloud-Auswahl?
Krause: Neben Datenschutz und Datensicherheit spielen bei vielen Verlagen die Individualisierungsmöglichkeiten bei der Entscheidung zwischen Public-/Private- Cloud (in der man dann Software mietet) und On-Premise (wo man Software kauft) eine zentrale Rolle. Bei den meisten Cloud-Anbietern kann man die Software nur dann individuell anpassen, wenn man sie kauft und wenn man sie dann auf einem eigenen Server im eigenen Haus betreibt. Bei Rhenus hat man auf Basis von Microsoft Azure dagegen alle Optionen: Man kann auch individuell angepasste Software mieten, das ist zwar teurer, als wenn man sich die gleiche Software mit anderen Verlagen teilt, aber man hat dann trotzdem die Funktionalitäten, die gegebenenfalls einen Wettbewerbsvorteil sichern, und kann den Betrieb der Software trotzdem auslagern.
Ist die Furcht der deutschen Verlage vor der Cloud größer als in den USA, wo Sie ebenfalls aktiv sind?
Krause: Die Verlage in den USA sind gegenüber der Cloud offener als deutsche Verlage, da sich die Datenschutzgrundlage sowie die innere Einstellung dazu grundsätzlich voneinander unterscheiden. Obwohl wir auch in Deutschland immer häufiger Angebote für Cloud-Services abgeben, besteht ein wesentlicher Unterschied: Während US-Verlage die Software schon jetzt sehr gern mieten, besteht bei deutschen Verlagen eher Interesse an einem Kauf der Software, gekoppelt mit ihrem Betrieb in der Cloud. Die Software-Miete, bei der die Gesamtprojektkosten auf einen monatlichen Betrag und eine bestimmte Laufzeit heruntergebrochen werden, spielt unserer Erfahrung nach in Deutschland bisher eine sehr geringe bis gar keine Rolle.
Was Rhenus und knk verbindet
Seit 2014 kooperieren knk und Rhenus Media. Rhenus betreibt die Verlagssoftware des Kieler Unternehmens im eigenen Rechenzentrum. Die Software wird als Cloud-Service angeboten, d.h. die Leistungs- und Lizenzverrechnung erfolgt nutzungsabhängig und periodenbezogen. Die knk-Lösung basiert auf der Standard-Software Microsoft Dynamics, die um verlagsbezogene Funktionen erweitert wurde.
Laut Einschätzung der Berater von Experton haben es Cloud-ERP-Anbieter schwer, die großen Unternehmen für ihre Software-as-a-Service-(SaaS)-Lösungen zu gewinnen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Remmele: Diese Einschätzung teile ich, wenn ich über sehr stringente Cloud-Lösungen – die eher für das Massengeschäft ausgelegt sind – nachdenke. Jedoch haben wir mit der knk-Verlagslösung unterschiedliche Möglichkeiten des Einsatzes im Rechenzentrum, ohne auf alle Vorteile verzichten zu müssen. Ein Einsatz von knk-Verlag in der Rhenus-Cloud ist in unterschiedlichen Szenarien, von stringent bis individuell, umsetzbar. Auch in diesem Fall überwiegen die Vorteile gegenüber einer in Eigenregie betriebenen Umgebung.
Krause: Die Entscheidung für oder gegen eine SaaS-Lösung – gemietete Software – lässt sich unserer Meinung nach nicht an der Unternehmensgröße, sondern eher an der zugrundeliegenden IT-Strategie der Unternehmen festmachen. Die weitere Entwicklung in diesem Marktsegment wird momentan durchaus kontrovers diskutiert. Es gibt ebenfalls Forecasts, zum Beispiel im „Wall Street Journal“, die erwarten, dass 64% der Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern bis 2026 ihre komplette IT in Cloud verlagert haben werden. Betrachtet man die Auswertung der Panorama Consulting Solutions aus dem Jahr 2015, so stellt man fest, dass die Software der großen Player im ERP-Markt (SAP, Oracle, Microsoft Dynamics) Stand heute alle so um und bei 29% in der Cloud und zu 71% On-Premise verwendet wird. Wir rechnen damit, dass der Cloud-Anteil weiter wachsen wird.
Sie beschäftigen sich intensiv mit dem neuen Mediennutzungsverhalten. Wie wird sich dieses durch den Ausbau von Cloud-Technologien verändern?
Krause: Gerade der letzte Hype um Pokémon Go zeigt, wie schnell Augmented-Reality-Technologie in unseren Alltag Einzug halten kann. Damit begeisterte Spieler weltweit die kleinen Monster fangen können, greift der Betreiber Niantic neben einigen anderen Systemen auch auf die Google-Cloud zurück, um mithilfe der Skalierbarkeit den weltweiten Zugriffsansturm und die damit verbundenen Schwankungen in der Serverauslastung handhabbar zu machen. Cloud-Technologien und deren Vorteile, wie die Skalierung und das Load Balancing, sind wichtige Voraussetzungen, um neue Medienformate für die Endkunden nutzbar zu machen. Unserer Meinung nach werden AR (Augmented Reality), VR (Virtual Reality) und – als neues Medium – die Holografie unseren Alltag noch sehr verändern.
Die Fragen stellte Daniel Lenz; Fotos: knk/privat; Rhenus
Cloud-Typen
Public Cloud: Service frei zugänglicher Provider, die ihre Dienste offen über das Internet zugänglich machen. Beispiel: Google-Docs, Microsoft Office 365.
Private Cloud: Aufgrund von Datenschutz und IT-Sicherheit betreibt der Kunde selbst eine Cloud-Umgebung. So sind sensible Firmendaten und Unternehmensanwendungen vor dem Zugriff Dritter geschützt.
Hybrid Cloud: Mischformen beider Ansätze, bestimmte Services laufen bei öffentlichen Anbietern über das Internet, während datenschutzkritische Anwendungen und Daten im Unternehmen betrieben und verarbeitet werden.
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