Das Internet hat in den vergangenen Jahren viele Lebensbereiche verändert. Welchen Einfluss es auf das Geschichtenerzählen hat, hat die „New York Times“ verschiedene englischsprachige Autoren gefragt. buchreport hat sich unter deutschen Schriftstellern umgehört und stellt die Antworten zu den Einflüssen der Digitalisierung in den kommenden Wochen vor. Nach Rebecca Gablé äußert sich Zoë Beck (Foto: Victoria Tomaschko):
Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsalltag in den vergangenen Jahren verändert?
Ich habe schon Mitte der 90er viel über E-Mail und Chat kommuniziert und das Internet an der Uni z.B. für Recherchen genutzt. Seitdem ist vieles noch einfacher und praktischer geworden. Es gibt weniger Papier, Informationen sind schneller abrufbar, Menschen sind besser zu erreichen. Es wird weniger telefoniert, das gefällt mir besonders gut. Auch riesige Dateien werden problemlos verschickt oder zugänglich gemacht. Ich muss auch weniger zu Meetings anreisen.
Es ist leichter geworden, sich mit anderen abzustimmen, zu recherchieren, zu planen. Es ist nicht mehr notwendig, mehrere hundert Seiten starke Manuskripte auszudrucken und durch die Republik zu schicken.
Am besten gefällt mir, dass ich von überall aus arbeiten kann, dass ich von jedem Rechner aus Zugriff auf meine Dokumente habe, wenn ich es so einrichte, und dass ich mir nicht mehr beispielsweise auf umständlichem Weg einen Internetzugang suchen muss, um Mails abzurufen.
Was sind Ihre größten Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf die Digitalisierung?
Ich habe die Hoffnung, dass sich eine breite kreative Vielfalt ausbildet, und dass dieses Angebot dann auch sichtbar wird und bleibt und angenommen werden kann, so dass viel mehr Kreative als bisher eine faire Chance haben, ihr Publikum zu finden. Ich habe Sorge, dass viele Fehler, die in der Musik- oder Filmbranche gemacht wurden, aus Angst, Ignoranz und Verbohrtheit wiederholt werden.
Wie zufrieden sind Sie mit dem E-Book-Markt?
Unterm Strich eher unzufrieden. Ich freue mich einerseits über das, was ich bei der Electric Book Fair in Berlin gesehen habe. Dass da viele Menschen mit neuen Ideen sind und diese unbedingt ausprobieren wollen. Aber wenn ich dann sehe, was sich abseits der kleinen, engagierten E-Book-Indies im Massenmarkt so tut – das macht mich unglücklich. Da wird der Printmarkt kopiert, was die Konzentration auf gewisse Genres angeht, und die Onlinehändler bedienen genau diese Sparten, statt Neuem eine Chance zu geben. Die unabhängigen Buchhandlungen machen nicht wirklich in voller Stärke mit, weil sie an den E-Books noch nicht richtig verdienen und sie sich da auch das Wissen erst aneignen müssten, was wiederum Zeit und Kapazitäten bedeutet. E-Books sind nicht ihr Produkt, und so wie der Vertrieb konzipiert ist, wird es das auch noch eine Weile nicht sein können. Dabei könnte man genau diese neuen Formen und Spielarten, die im Digitalbereich möglich sind, hervorragend über die Buchhandlungen an die Kundschaft vermitteln. Und dann eben noch die vielen Fragen, die sich erst noch klären müssen: die Sichtbarkeit, die unterschiedlichen Formate, das Pricing, der Kopierschutz, die Onleihe, was bedeutet eine E-Book-Flatrate für den Markt, wie ist das mit der VG Wort. Es ist noch so vieles im Entstehen, so vieles ungeklärt. Es gibt so viel Widerstand gegen diese großartigen Möglichkeiten, statt dass einfach mal ausprobiert wird. Es wäre eben vor allem auch schön, wenn die Vorurteile, E-Books seien nur ein digitales Abfallprodukt oder eine Drittverwertung des gutenschönenwahren Buchs, überwunden wären. Aber es tut sich ja was. Man hat nur immer noch so oft das Gefühl, in Paralleluniversen unterwegs zu sein.
Ist der wachsende Selfpublishing-Markt Chance oder Bedrohung für Autoren, die vom Schreiben leben wollen?
Beides. Der Selfpublishing-Markt bietet doch auch die Möglichkeit, vom Schreiben zu leben. Es ist unsicher, und es gehört sehr viel harte Arbeit und auch sehr viel Glück dazu. Für Verlagsautoren ist es doch nicht viel anders: Es ist unsicher, und es gehört sehr viel harte Arbeit und auch sehr viel Glück dazu. (Oh, sagte ich das nicht gerade schon?) Beim Verlag kann dem Glück letztlich auf die Sprünge geholfen werden, wenn sich Marketing und Vertrieb entscheiden, etwas zum Spitzentitel zu machen und ganz viel Geld in ein Buch zu stecken, damit es überall ausliegt und sich verkauft. Aber auch das wird zunehmend schwieriger. Also, welche Verlagsautoren können vom Schreiben leben? (Besonders, wenn sie nicht mehr als ein Buch im Jahr schreiben?) Das sind relativ wenige.
Wenn nun immer mehr von erfolgreichen Selfpublishern gekauft wird, zieht das sicherlich einen Teil der Aufmerksamkeit von den Verlagsautoren. Aber so ist es jetzt nun mal. Damit müssen wir alle klarkommen.
Interessant finde ich, wie die Verlage darauf reagieren. Mir scheint, die Strategie ist, eigene Selfpublishing-Plattformen anzubieten, um von diesem Markt etwas abgreifen zu können, statt ein eigenes, starkes Programm aufzubauen, das die Verlagsmarke stärkt, das Profil schärft, die Verlagsautoren unterstützt.
Wie groß ist die Gefahr, die von E-Book-Piraterie ausgeht?
Wenn ein Printbuch verkauft wird, wird es anschließend verliehen, gebraucht verkauft, weiter verliehen, landet in einer Leihbücherei. Vielleicht lesen zehn Menschen das Buch, oder drei, oder einer nur halb, aber es wurde immer nur einmal bezahlt. Wenn ein DRM-freies E-Book verkauft wird, lädt es sich jemand auf seine verschiedenen Endgeräte und schiebt möglicherweise noch Freunden die Kopie rüber. Das ist so, da braucht man sich gar keine Illusionen machen.
Wird ein E-Book mit DRM verkauft, wird es der Techniklaie vielleicht nicht kopieren können, aber jemand, der sich damit auskennt, crackt den Kopierschutz und stellt es denen zur Verfügung, die diesen Text suchen und eben eine kopierschutzfreie Version besitzen wollen oder ihn aus welchen Gründen auch immer nicht kaufen wollen oder können. Mit oder ohne DRM – die digitalen Texte sind verfügbar. Wer zahlen will, zahlt, wer nicht, wird es so oder so nicht tun und trotzdem an den Text rankommen.
Vom Gefühl her würde ich also sagen: Die Piraterie ist ein Problem für die E-Books mit hartem DRM. Die Leute haben keine Lust auf diesen Kopierschutz. Sie wollen aber den Text, und die illegale Downloadplattform ist eine Möglichkeit für sie. Wäre der Text DRM-frei, würden sie ihn sich vielleicht legal runterladen und bezahlen. Ich kann da nur aus der Erfahrung mit Musik und Filmen reden.
Sind die Buchverlage schon fit fürs digitale Zeitalter? Was wünschen Sie sich von ihnen?
Unterschiedlich. Da gibt es welche, die die Möglichkeiten ausloten. Oder wenigstens wissen, dass es sie gibt. Da gibt es welche, die die Zeit zurückdrehen wollen, und ich frage mich manchmal, wie weit sie sie zurückdrehen würden, wenn sie es könnten. Was zum Beispiel dringend gelöst werden muss, ist das Vertriebsproblem, da der E-Book-Vertrieb im Grunde ja über die Printvertriebsstrukturen läuft.
Zoë Beck ist Autorin, TV-Synchronredakteurin und Übersetzerin. 2010 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte „Bester Kurzkrimi”. Beck schreibt außerdem für culturmag.de, ist Kolumnistin in der Sendung LiteraturEN von SWR2 und Verlegerin bei CulturBooks – elektrische Bücher.
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