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So viele dringliche Bücher gibt es nicht

„Mit Büchern und Autoren“ sind die jetzt erschienenen Erinnerungen von Reinhold Neven Du?Mont überschrieben. Der 79-jährige beschreibt seine 32 Jahre als Verleger von Kiepenheuer & Witsch, 2002 verkaufte er die Mehrheit an Holtzbrinck, ist aber weiterhin 15%-Gesellschafter. In dem 336-Seiten-Buch (19,99 Euro, ISBN 978-3-462-04879-7) erzählt Neven Du Mont unter anderem von seinem Verhältnis zu Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll, der ihn immer „junger Mann“ nannte, sowie über ein „unmoralisches Angebot“ der Autorin Renate Rasp, die 1968 barbusig auf der Frankfurter Buchmesse las.

Im Gespräch mit buchreport spricht Neven Du Mont über die Veränderungen und aktuelle Herausforderungen, über E-Books, Self-Publishing und den Unterschied zwischen angestellten und persönlich haftenden Verlegern. Ein Rat des Altverlegers: Macht weniger Bücher! „Ich staune immer, wie umfangreich die Verlagsprogramme sind. Da müssen viele Enttäuschungen dabei sein. So viele gute, wichtige, dringliche Bücher gibt es nicht. Das ist aber keine neue Idee. Schon vor 20 oder 30 Jahren sprach man von einer Bücherflut. Die Verlage wurden aufgefordert, sich zu beschränken. Funktioniert hat das nie. Alle setzen eher auf Breite.“

Das kompakte Interview „Einige Verlage sind nur noch Namenshülsen“ ist erschienen im buchreport.magazin 3/2016, hier zu bestellen.

buchreport-Redakteurin Hanna Schönberg hat im Gespräch mit Reinhold Neven Du Mont weitere Einlassungen notiert.

Reinhold Neven Du Mont über…

…Buchformate: Noch vor ein paar Jahren war die große Frage: Gehört dem E-Book die Zukunft? Das E-Book ist nicht mehr wegzudenken. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass alles nur noch digital aufgenommen wird. Ich sehe auch keine Konkurrenzstellung mehr. Es gab Zuwachsraten für das E-Book, aber es ist nicht explodiert.

…Raubkopien: Es gibt so etwas wie das Urheberrecht. Es gibt einen Urheber, ohne den Urheber gäbe es das Werk nicht und der Urheber muss Schutz genießen. In welcher Form er beraubt wird, ist letzten Endes egal. Man muss sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen, auch in der Rechtsprechung. Wenn die Leistung des Urhebers nicht mehr geschützt wäre, würde das eine große Entmutigung bedeuten. Es gibt etwas wie geistiges Eigentum und das muss anerkannt werden.

…Sortimentsbuchhandel: Um die Jahrtausendwende herum gab es immer Unkenrufe in Bezug auf die mittleren und kleineren Buchhandlungen. Ob sie auf Dauer bestehen könnten. Die Eigentümer-Buchhandlungen drohten von den großen Ketten an die Wand gespielt oder ausgepunktet zu werden. Als die Ketten auch in die Vorstädte gingen, fühlten die kleineren sich bedroht. Ich sehe jetzt doch mit Freude, dass es die unzähligen, kleineren und mittleren eigentümergeführten Buchhandlungen gibt und dass sie aktiv sind. Sie machen für mich einen vitalen Eindruck, natürlich immer mit einem guten Quantum Selbstausbeutung. Schwächelnde Buchhandlungen hat es immer gegeben, das war eine Dauerkrankheit.

…Buchgemeinschaften (über die Neven Du Mont promoviert hat: „Die Kollektivierung des literarischen Konsums in der modernen Gesellschaft durch die Arbeit der Buchgemeinschaften“): Buchgemeinschaften waren ein Nachkriegsphänomen. Das bürgerliche Lesepublikum hatte in fast 90% der Fälle seine Bibliotheken verloren und wollte diese nach der Währungsreform 1948 wieder aufbauen. Dem haben die Buchgemeinschaften damals Rechnung getragen. Da hatten sie eine Funktion, heute sind sie bedeutungslos. Ich glaube, dass sie keinen Wiederauferstehungsprozess durchlaufen werden. Die Menschen binden sich nicht mehr so gern. Das gilt für die Privatsphäre, für Zeitungsabonnements, Vereine, Parteien, Gewerkschaften und auch die Kirche. Die Bereitschaft, sich zu binden, hat eklatant nachgelassen. Die Nebenrechtseinnahmen aus Buchgemeinschaftsabschlüssen waren für die Verlage eine nicht unwesentliche Einnahmequelle. Ohne verlegerisches Risiko. Man musste dafür keine Drucker beauftragen, Geld investieren, um dann einen neuen Umsatz zu kreieren, sondern es war einfach zusätzliches Geld. Das gibt es heute nicht mehr. Genauso die Vorabdrucke: Der neue Böll wurde z.B. in leicht gekürzter Form abgedruckt. Der „Stern“ zahlte dafür 120.000 oder 150.000 DM, das war schon beachtlich.

…Erfolge: Ich habe den Verlag 1969 übernommen. Ich wollte es anders machen. An den vorhandenen, großen Autoren wie Erich Maria Remarque, Joseph Roth und Heinrich Böll wollte ich natürlich festhalten. Die waren die Substanz des Verlages. Aber ich wollte dem Verlag ein anderes Profil verleihen, ein zeitgemäßeres, ein jüngeres. Und da gab es direkt im ersten Jahr zwei große Glücksfälle: Günter Wallraff mit „13 unerwünschte Reportagen“, der ein ganz prägender Autor für Kiepenheuer & Witsch wurde und Gabriel García Márquez mit „Hundert Jahre Einsamkeit“. Das war ein glücklicher Start. Die Skeptiker, die es in der Branche gab, mussten beifällig nicken.

…und Misserfolg: Ende der 70er-Jahre hatte ich den Eindruck, dass die Jahre der Revolte nach 68 vorbei waren. Da hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch kräftig mitpubliziert und richtungsweisende Bücher vorgelegt. Aber ich merkte, dass das rückläufig war und das Interesse abflaute. Die Leute waren eher wieder an Unterhaltung interessiert. Sie wollten vom Buch unterhalten werden. Nicht aufgeklärt oder aufgerüttelt werden, nein unterhalten werden. Dem wollte und musste ich dann Rechnung tragen. Wir haben es mit Thrillern versucht. Das war ein totaler Reinfall. Die Buchhändler schüttelten den Kopf und sagten: Was ist in euch gefahren? So etwas sucht man bei euch überhaupt nicht, dafür gibt es andere Verlage, lasst die Finger davon, seid ihr verrückt geworden? Da gab es zwei oder drei Titel, ein Flop nach dem anderen, das haben wir dann auch bleiben lassen. Bis auf: John LeCarré. Da hatten wir mit einem Schlag die Nummer 1 und das war ein ganz großer Erfolg für den Verlag.

Kommentare

1 Kommentar zu "So viele dringliche Bücher gibt es nicht"

  1. Diese Erinnerungen des Verlegers Richard Neven Du Mont
    können sicher auch als eine Art von wichtiger Lektüre für
    Verleger, Buchhändler/innen und der Buchbranche insgesamt
    angesehen werden.
    Immerhin werden da über 30 Jahre verlegerisches Engagement
    für Kiepenheuer & Witsch beleuchtet und Herr Neven Du Mont
    blickt auch auf den Buchhandel von heute.
    Und vor allem deshalb ist dieses Buch von Bedeutung, da es
    auch Aspekte für die Buchhandelslandschaft aufzeigt.
    Jedenfalls in erster Linie für Buchhändler ein Buch, welches
    auch Buchhandelsgeschichte aus neuester Zeit vermittelt.
    H. Kraft

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