In den Anfangsjahren der Digitalisierung standen besonders Rechte- und Konvertierungsfragen ganz oben auf der Agenda der Verlage. Inzwischen zeichnen sich hier einige Standards ab, während sich woanders ungleich größere Herausforderungen ergeben: Wie können digitale Nutzungsrechte effizient verwaltet werden? Wie lassen sich Abrechnungs- und Verkaufsmetadaten standardisieren? Ein Interview mit Sebastian Posth, Partner beim E-Book-Digitalvertrieb A2 Electronic Publishing.
Der Gründer der digitalen Verlagsauslieferung Zentrale Medien (2009 von KNV übernommen) und später Leiter der Digitalen Distribution der Arvato media GmbH, hat sich zuletzt mit Mike Röttgen (Arvato Publisher Services) dafür eingesetzt, die Meldungen von E-Book-Verkäufen zu standardisieren, und so der AG Pro im Börsenverein eine Steilvorlage gegeben (hier mehr). Auf der Konferenz TOC wird Posth am Dienstag, 11. Oktober 2011, über Standardisierungen in der digitalen Branche referieren.
Wie haben sich Rechte und Lizenz-Fragen verändert im Angesicht einer zunehmenden Internationalisierung des E-Book Marktes? Welche neuen Probleme kommen hinzu, die nicht bereits im Printgeschäft existieren?
Mit dem Aufkommen neuer digitaler Nutzungsarten für urheberrechtlich geschützte Werke (Download à-la carte, Ausleihe, cloud-basiertem Daten-Streaming, Subskriptions-Modelle und Abo-Dienste vergleichbar Napster oder Spotify in der digitalen Musikwelt etc.) und einer rasch wachsenden Anzahl von Plattformen und Shops, die ihren Kunden digitale Inhalte anbieten, werden Verwertung und Verwaltung digitaler Nutzungsrechte zu einer Herausforderung für Verlage.
Verleger sind konfrontiert mit langen und zuweilen sehr komplexen Vertragswerken der großen, international agierenden Handelspartner und zahlreicher lokaler E-Book-Shops und Zwischenhändler. Bei allen Verträgen stellen sich ihnen eigentlich immer die gleichen Fragen: Bin ich überhaupt im Besitz der Rechte, die diese Unternehmen von mir einfordern? Wie behalte ich den Überblick über meine Rechte und Verträge? Wie vermeide ich es, dass ich nicht durch die Unterschrift unter den einen Vertrag gegen eine Vereinbarung des anderen Vertrags verstoße oder in einen Rechtekonflikt mit meinen Lizenzgebern gerate?
Wie unterscheiden sich aber digitale Rechte von traditionellen Print-Rechten?
Beim Verkauf von Büchern gilt der sogenannte „Erschöpfungsgrundsatz“. Dieser besagt, dass sich das exklusive Verbreitungsrecht des Rechteinhabers an einem Werkexemplar erschöpft hat, wenn er dieses Exemplar einmal in den Verkehr gebracht hat. Der neue Eigentümer eines Buches darf dieses Exemplar z.B. wieder verkaufen, verleihen, verschenken oder für anderen Zwecke verwenden, ohne weitere explizite Erlaubnis des ursprünglichen Rechteinhabers. Keine Buchhandlung benötigte deshalb jemals einen Lizenzvertrag mit den Verlagen, um Bücher zu verkaufen oder zu verleihen.
In der digitalen Welt gibt es den “Erschöpfungsgrundsatz” so nicht. Vielmehr müssen digitale Inhalte eine Rechtekette durchlaufen, die sich durch eine lückenlose Reihe von aufeinander folgenden und wechselseitig miteinander in Bezug stehenden Rechteübertragungen auszeichnet – vom Autor über den Verlag und seinen Digitalvertrieb oder Großhändler bis zum Shop und Leser. Und diese Rechtekette muss solange bestehen, wie ein urheberrechtlich geschütztes Werk aktiv genutzt wird. Wenn eine öffentliche Bibliothek z.B. ein E-Book von einem Verlag oder Aggregator „gekauft“ hat, muss sie dennoch die Rechte an diesem Werk berücksichtigen, solange die Bibliothek ihren Bibliotheksnutzern die Ausleihfunktion anbietet.
Was hat diese Rechtekette für Auswirkungen auf internationale Handelsbeziehungen? Sorgt sie dafür, dass digitale Rechte anders behandelt werden müssen als herkömmliche Print-Rechte?
Die weltweite Distribution von E-Books eröffnet großen und kleinen Verlagen viele Chancen. Jeder Verlag, selbst jeder sich selbst-verlegende Autor kann heute seine Bücher ohne großen Aufwand und Vorab-Investitionen in Herstellung, Druck und Vertrieb weltweit an Leser von Anchorage (Alaska) bis Zhengzhou (China) verkaufen, ohne die Titel jemals auf „nicht lieferbar“ oder „vergriffen“ setzen zu müssen.
Zugleich aber sind die rechtlichen Aspekte dieser weltweiten Distribution für kleine oder mittelständische Verlage fast unmöglich zu überschauen: Was für steuerliche Auswirkungen hat die Unterzeichnung eines Agency Vertrags in den USA für einen europäischen Verlag? Verletzt der skandinavische Erotik-Bestseller Gesetze in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Australien? Welche Details lokaler Preisbindungsgesetze, wie z.B. in Ländern wie Frankreich, müssen bedacht sein?
Wie wirken sich diese Probleme auf Autoren, Verleger, Leser und die Verlagsbranche als Ganzes aus?
Im Moment sind es die Verlage und die Shopbetreiber, die am stärksten von der Komplexität dieser digitaler Rechtesituationen betroffen und durch sie herausgefordert werden. Deshalb ist es eine natürliche Reaktion, zu versuchen immer möglichst alle Rechte für alle möglichen und unmöglichen Arten der digitalen Nutzung von den Lizenzgebern einzuholen, nur um auf der sicheren Seite zu sein.
Wenn wir es als Branche erreichen können, die individuelle Rechtesituation eines digitalen Titels klarer zu fassen, zu definieren und einen Standard zur einfachen Kommunikation der jeweiligen Rechte- und Lizenzinformationen zu etablieren, dann werden wir damit nicht nur eine eindeutige und stabile Grundlage für das Geschäft der Zukunft einführen. Vielmehr können wir Lesern erst dadurch eine große Auswahl von Möglichkeiten anbieten, E-Books auf unterschiedliche Arten zu lesen und zu erfahren. Das wird ganz sicher helfen, die Akzeptanz von E-Books und den Markt für alle Beteiligten weiter zu stärken.
Wo liegen die Probleme im Zusammenhang mit Abrechnungs- und Verkaufsmetadaten. Warum ist es so schwer ein Standard zu etablieren?
In zweierlei Hinsicht ist es wichtig, die Abrechnungen der Shops und Handelspartner korrekt und zeitnah zu verarbeiten: Erstens muss jeder einzelne Cent, der mit einem E-Book verdient wurde, natürlich gegenüber Verlagen und Autoren abgerechnet werden, auch wenn es sich dadurch um tausende Positionszeilen handelt, die vielleicht nur Cent-Beträge zurückmelden; Abo-Modelle brechen z.B. die monatlichen Gesamt-Erlöse in kleine Summen je Buch herunter. Zweitens wird es nur mit Hilfe täglicher Trend-Zahlen möglich sein, den E-Book-Vertrieb professionell zu steuern, d.h. AdWords-Kampagnen, das Facebook-Marketing oder die Newsletter-Kommunikation in Echtzeit adäquat anzupassen.
Derzeit versendet jeder Händler oder Shop-Betreiber seine Umsatzzahlen in einem jeweils individuellen, proprietären Format. Als Verleger oder Digitalvertrieb erhalten Sie heute Excel- oder CSV-Dateien, sogar PDF-Dateien per E-Mail oder zum Abruf via HTTP- und FTP-Download. In den meisten Fällen können diese Sales Reports derzeit nur manuell verarbeitet werden. Um ständig steigende Datenmengen bewältigen zu können, ist ein Standard erforderlich, der maschinenlesbar ist; vergleichbar mit dem ONIX-Standard für Titel-Metadaten. Ein wichtiger Meilenstein dahin wurde nun mit der Empfehlung der AG Pro des Börsenvereins für den EDItX-Standard gelegt.
Werfen Sie einen Blick auf die Musikbranche: Fast zehn Jahre nach der Einführung des ersten legalen Download-Dienste wird dort noch immer über den DDEX Reporting-Standard diskutiert. Millionenbeträge liegen dort noch immer auf „Rückstellungskonten“, anstatt an Autoren und Verlage ausgezahlt zu werden. Die Buchbranche hat die Chance, das Geschäft von Beginn an richtig anzugehen, und sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen!
Das Interview ist zunächst hier im O‘Reilly-Blog erschienen.
Interview: Jenn Webb
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