Auf die Veränderungen in der Buchbranche reagieren viele Verlage ängstlich bis defensiv. Dabei können Veränderungen mitunter auch eher den Charakter eines einschlagenden Blitzes denn einer trägen Meereswoge haben.
Erst kürzlich war in einem Branchenmagazin ein Interview mit Gunter Dueck zu lesen (das ist der, der mal bei IBM sowas wie ein Chef-Evangelist war, lustigskurrile Vorträge hält und auch noch mehrfacher Buchautor ist). Grundthema natürlich das Publizieren der Zukunft, die Rolle der Verlage und warum Autoren eigentlich noch zu einem Verlag gehen sollten. Daraus ein treffendes Zitat:
„Was tut der Verlag eigentlich noch für mich? Ich habe meine eigene Homepage und Tausende Follower auf Google+ und anderen Plattformen. Wenn ich dort ein Buch bewerbe, ist die halbe Auflage verkauft. Der Verlag ist dafür im Grunde nicht mehr nötig. Auch für die Produktion nicht: ich kann meine Kolumnen selbst sammeln und bei einem Online-Händler als kleines E-Book herausbringen.“
Nun könnte man natürlich sagen, dass nicht jeder Autor Tausende von Followern hat, auf neudeutsch eine vor den Karren der Selbstvermarktung spannbare „Fan-Base“. Dass es massive Unterschiede gibt etwa zwischen belletristischen und Fachbuch-Autoren. Dass die Teilnahme an der berühmten Wertschöpfungskette eben nur mithilfe von Verlagen passieren kann. Und die ganz Intelligenten reden von einem Medienhype, einem Trend, der schon „wieder vorüber gehen werde“.
Und leisestillundheimlich rieseln immer mehr Nachrichten herein, wie sich die Schlauen unter den Verlagen auf einmal neu aufstellen, sich als Dienstleister gerieren. Etwa wenn Epubli, das Holtzbrinck-Gewächs, einen Umsatz von 2 Mio. mit seiner Selfpublishing-Plattform erzielt. Neobooks scheint ebenfalls ganz erfolgreich zu sein, genaues weiß man nicht. Wie immer lohnt beim Thema Innovation oder Änderung des Geschäftsmodells auch ein Blick über den Teich. Etwa wenn Pearson (die man als umsatzstärkste Verlagsgruppe weltweit bezeichnet) einen Selfpublishing-Dienstleister aufkauft. Die Liste ließe sich endlos fortführen in diesem Umfeld. Endlos? Nein – jedenfalls nicht hierzulande.
Die Diskussion um die Auswirkungen oder eben Nicht-Auswirkungen von Selfpublishing in Deutschland kann stellvertretend für alle anstehenden Veränderungs-Themen im Bereich des Publizierens verwandt werden – von Disruption bis Selfpublishing. Das vage Gefühl der Veränderung. Das Mantra des „wird-schon-nicht-so-schlimm-werden“. Das Wegschauen. Das Weitermachen.
Auch hierzu hat Gunter Dueck eine Einschätzung:
„Nach Fritz Riemann schwanken die Leute zwischen verschiedenen Polen – unter anderem zwischenden Zwanghaften, die Angst haben, wenn sich etwas verändert, und den Hysterischen, die sich langweilen, wenn sich nichts ändert. Die Amerikaner neigen offenbar mehr dem hysterischen Prinzip zu.“
Nicht weiter ausgeführt hat er, dass die Deutschen dann wohl eher den Zwanghaften zuzurechnen sind.
Das gegen die waberndundifferente Veränderungsmetaphorik angewandte Kernargument ist das der Langsamkeit. Wird kommen, aber nicht so schnell, wie die Apologeten des digitalen Branchenuntergangs mentekelen.
Das Fatale: die Einschätzung ist richtig. Medienhype ist nicht Massentrend. Nerd-Tool ist nicht Alltagswerkzeug. Das noch fatalere:
- a. Veränderungsgeschwindigkeit, Dynamik erhöht sich aber exponentiell – und zwar in fast allen Lebensbereichen
- b. Selbst für die erwartbare Langsamkeit der Veränderung sind Verlage unzureichend aufgestellt
Beispiel gefällig? Das Thema E-Book sollte für Verlage mental kein größerer Gedankensprung sein als beim Thema Transport die Stichworte „Auto“ und „Zug“. Was ist die Realität? Gerade die Hälfte der Verlage bietet diese an, siehe aktuelle EBook-Studie des Börsenvereins. Ächzend bewegen sich Produktionsabteilungen langsam auf das banale digitale 1:1-Umsetzungsprodukt des tradierten Printbuches zu.
Wenn es in der Diskussion gar zu schlimm wird haben wir immer noch unsere Branchen-Leuchttürme: „Ja, bei XYZ haben sie die Umstellung zur medienkranzeierlegenden Wollmilchsau schon geschafft!“. Leuchttürme nähren keine komplette Branche und meistens handelt es sich dabei eher um Verlagskonzerne. Zudem ist bei näherem Hinsehen auch nicht alles Gold, was das Verlagsmanagment so glänzend darstellt. Der Branchenrest aber ist: Schweigen.
Dabei können Veränderungen mitunter auch eher den Charakter eines einschlagenden Blitzes denn einer trägen Meereswoge haben. Beispiel: MyTaxi.Eine nett gemachte, aber im Kern technologisch nicht wirklich innovative App, die es aber geschafft hat, kurz mal ein komplettes Geschäftsmodell in eine schmerzempfindliche Stelle zu treten, nämlich die guten alten Taxi-Zentralen. Diese beginnen jetzt aus der Not heraus, die Newcomer zu imitiieren (nachdem die auch in der Medienbranche bekannte Methode des Lamentierens und Verklagens nichts genutzt hat).
Das eigentlich Erschreckende ist die Tatsache, dass die Idee zur App irgendetwas zwischen banal und trivial ist. Eigentlich hätte man das vorhersehen können. Eigentlich…
Dabei muss man ja nur mit den Kollegen aus den Verlagen reden, um diesen Veränderungsdruck zu registrieren: In Zeitschriftenverlagen treffen klassische Anzeigenverkäufer auf junge Marketeers in Agenturen, die die Budgets der Industrie verwalten und sich nicht im Geringsten darum scheren, dass man als Traditionshaus Zeitschriften seit über 50 Jahren (oder beliebige andere Jahreszahl einsetzen) veröffentlicht. Das ist denen schlicht egal, den Leuten mit den Fleischtöpfen geht es um Zugang zu ihrer Zielgruppe. Wie – das ist nachrangig.
Und was machen wir Verlage? Wir schaffen es noch nicht einmal das banale Geschäftsmodell der Reichweitenvermarktung vernünftig umzusetzen. Dabei fordert dies (die nackte Digitalisierung der guten alten Printanzeige und die Schaffung eines entsprechenden Umfelds) den Zeitschriftenverlagen nicht mehr geistige Leistung ab als das Thema E-Book den Buchverlagen.
Teilweise fördern Verlage ja sogar noch blindlings diese Entwicklungen. Ein Autor, der heutzutage den Buchmarkt erreichen möchte, solle doch bitte selbst zur Vermarktung beitragen. Viele Follower, große Fanbase? Klasse, die könne der werte Autor doch bitte aktivieren, um das Produkt A des Verlags B zu bewerben. Dafür verschaffe man ihm auch gerne über den Buchhandel den Zugang zum Zielpublikum.
Moment – war da nicht etwas? Der Tod des Buchhandels? Kein Thema, dann treten Verlage eben in den Direktvertrieb ein. Denselben Distributionskanal belege schon der Autor mit seinen Followern? Tja, nun, dumm gelaufen.
Aber eines haben wir noch, ein Pfund, mit dem Verlage konkurrenzlos wuchern können: die finanzielle Vorleistung (auch Autoren-Vorschuß genannt). Bei Licht betrachtet eine Banken-nahe Leistung, wenn auch deutlich schwerer monopolisierbar. Abgesehen davon, dass auch hier Konkurrenzmodelle jetzt schon Fahrt aufnehmen – worin steckt hier der kulturelle Auftrag, den Verlage ähnlich einer Monstranz in die Höhe halten? Wie groß ist der Sprung einer richtigen Bank, neben Versicherungen, der Finanzerung des eigenen Häuschens auch noch gleich ein Buchprojekt zu finanzieren? Gut, das Konzept „Bank“ mag vielleicht auch ins Wanken geraten – warum dann nicht die hier vielzitierten Follower des Autors befragenim Sinnes eines Crowdfunding?
Und der Autor droht uns dann noch mit „Selfpublishing“? Frechheit, unverforene! Ohne Verlage als Wahrer des Kulturguts…wie hieß es nochmal? Ah, genau: Buch! Nochmal: Ohne Verlage als Wahrer des Kulturguts Buch geht in diesem Lande nichts! Irgendwo muss die geistige Bonner Republik des Herrn Adenauer ja überleben können, und sei es nur in der Verlagsbranche!
Sicher?
Die Liste der Beispiele läßt sich ebenso endlos fortführen wie sie zur Ermüdung beiträgt. Aber diese Ermüdung wird dazu führen, dass die „Innovatoren“ der Branche den Rücken kehren – und damit ist auch nicht unbedingt der sogenannte „Nachwuchs“ gemeint, der mitunter diesselben Kulturbewahrerzüge zeigt wie die alten grauen Herren in vielen Führungsetagen. Der Verlust an Treibern, an Mutigen führt zwangsläufig zu einer weiteren Verbreitung der Sachbearbeitermentalität des „Das war schon immer so“. Dabei sollte alles, was in Verlagen sitzt und schätzungsweise zwischen 20 und 50 ist, massivst darüber nachdenken, wie denn der eigene Arbeitsplatz in einigen Jahren aussehen könnte. Aber auch hier ist die Realität das gelangweilte Blättern in Branchenmagazinen und das Sinnieren über den heutigen Einkaufszettel.Der dazugehörige Soundtrack ähnelt dem ängstlichen Blöken von Schafen.
Ein guter Textbeitrag endet immer mit einem schlüssigen Fazit. Abgesehen davon, dass über die Güte des obigen Textes der werte Leser zu entscheiden hat – welches Fazit wäre angebracht? Tut endlich etwas, liebe Verlage? Dass haben Beredtsamere bereits vor langem und immer wieder getan. Vielleicht wäre auch ein erster, sehr persönlicher Schritt, diesen Schutzschild der abstrakten „Verlagslandschaft“ zu verlassen und sich zu überlegen, was man wie in, sagen wir, 10 Jahren beruflich machen möchte. Sollte dann jemand immer noch der Meinung sein, er (oder sie) würde gerne in einem Verlag (oder, ach wie mutig: einer Buchhandlung!) arbeiten, vielleicht sogar im selben Unternehmen – dann wäre es vielleicht als erster Schritt angebracht, den angefangenen Einkaufszettel wegzulegen und eine Liste an Produkten oder Arbeitsabläufen aufzustellen, die schleunigst geändert werden müssen.
Sich selbst verändern oder verändert werden – da ist letzteres doch die unappetitlichere Variante. Und dies kann passieren, wenn der Druck auf das eigene Unternehmen zu groß wird, die Buch- oder Zeitschriftenabsätze einbrechen, Vertriebskanäle einknicken und die werte Kundschaft mit der kalten Schulter zuckt. Das Wörtchen „Change Management“ kann in Unternehmens-Notsituationen einen schneidendkalten Klang bekommen.
Steffen Meier ist Verlagsleiter Online im Verlag Eugen Ulmer. Der Text ist zunächst in Meiers Blog erschienen.
Blöken, Angstbeißen, Anrufung des staatlicher Schutzinstitutionen und juristischen Beistands im Unwetter unkontrollierbarer Innovationen im Markt… Ja, das war lange und ist noch immer leider der Tenor in der Verlagsbranche… innovative Branchen treiben Veränderungen voran, sie hecheln ihnen nicht hinterher. Wo wäre die Autoindustrie ohne Vordenkertum… Und trotzdem hat sich in den letzten paar Jahren doch einiges verändert. Die Verlage sind aufgeschlossener geworden und arbeiten konstruktiver und klüger an Erneuerungen, zwar oft nur in kleinen Schritten, aber anders wäre es für viele Verleger nicht zu stemmen. Ob die Zeit genügt, das Versäumte nachzuholen, ist noch offen. Aber es gibt alternative Szenarien: neue Unternehmen entstehen, alte sterben. Chancen müssen nicht in traditionellen Strukturen entwickelt werden – dies ist mitunter gar nicht möglich. Auch wenn hier und da geblökt wird – diese Branche ist doch ungeheuer spannend mit diesen Herausforderungen.
@undine geht
Ich finde die Argumentation der Qualitätskontrolle durch Verlage schwierig. Was ist Qualität? Sollte (nur mal dahingestellt) wirklich jeder publizieren, übernehmen die Marktregeln diese Kontrolle. Eben jener Markt, an dem sich Verlage (als Wirtschaftsunternehmen ja plausibel) doch jetzt schon orientieren.
@vito von einhorn
Ihre Argumentation (E-Books lohnen sich nicht, Apps auch nicht, die CD-Rom haben wir auch überlebt, Selfpublishing und Crowdfunding ist Hype, wir Verlage sind doch gut aufgestellt und brauchen niemand, der uns einen Spiegel vorhält) bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen, was die Branche angeht.
Nichts für ungut? Ehrlich gesagt ist mir meine Lebenszeit zu schade, um auf den Rest an Beleidigungen einzugehen. Noch viel Spaß auf der Titanic!
Au weia,
selten so viele Banalitäten und Klischees auf einem Haufen erlebt.
Wer lamentiert und verklagt und blökt denn wo? Namen bitte! Dieses pauschale Klugscheißen ist Rufen im Wald.
Daß die Welt sich radikal ändert – und viele nicht mithalten können -, wird hier als neue Erkenntnis verkauft.
Ebooks werden „nur“ von 50 % der Verlage angeboten? Ist doch grandios, bei einem Marktanteil bzw. Umsatz, der hierzulande noch verschwindend gering ist. Nebenbei: Es gibt Inhalte, die niemand auf dem ebook haben will.
Und Apps, das Allheilmittel – in das viel Zeit und Geld gesteckt wird ohne spür- oder gar meßbare Ergebnisse.
Das hörten wir schon, als alle nach CD-Roms riefen. Auch da bekamen die ersten, die losrannten, das Messer in den Rücken.
Selfpublishing und Crowdfunding – na prima. Der Long Tail wurde vor Jahren schon richtig beschrieben, übrigens in einem Buch.
Also bitte mal festhalten: Wir haben begriffen, daß Content zählt, daß die Form „Buch“ zur Nische werden wird, auch daß Lamentieren nix bringt. Ebenso wenig wie offene Scheunentore einzurennen.
Richtig ist, daß die digitalen Angebote allüberall exponentiell wachsen – auch die der Verlage. Und der Verdrängungswettbewerb im Netz dank des endlosen Mülls im Überangebot gnadenlos ist.
Vielleicht tönt Mister Meier deshalb so laut – weil nachdenklicheres Differenzieren nicht gehört wird?
Auch kleine Brötchen backen kann nahrhaft sein,
meint grüßend
nichts füt ungut
Vito von Eichborn
Vielen Dank für diesen bedenkenswerten Beitrag. Ich möchte in sehr Vielem zustimmen – nur ein Aspekt fehlt: die Qualität des (E-)Buches. Aus der Leserperspektive. Die, da sie die Schafherde nährt, nicht übersehen werden darf.
Wird auch die Qualität dem Markt unterworfen, wenn Hunz und Kunz wild drauflos selbstpublizieren und Empfehlungen nicht mehr durch ein Verlags-(Geschmacks-)Logo gekennzeichnet sind, sondern nur noch durch dubiose Laien-Rezensionen? Fern ab von Marketing und Vertrieb, ist die Auswahl, die ein Verlag trifft, bevor er uns Lesern etwas anbietet, seine wichtigste Leistung.
(Sicher lässt sich einwenden, dass sich auch jetzt zuweilen zwischen zwei hübschen Buchdeckeln eine Menge Schund verbirgt. Doch wie arg wird es, wenn es keine Instanz mehr zwischen all den Möchtegern-Schreibern und dem suchenden Leser gibt?)
Eine Bank wird dem Autor einen Kredit geben können, Leser können per Crowdfounding ein Werk ihrer Wahl finanzieren – aber ein Verlag tut eben doch mehr als das.