Aktuell ausgelöst durch die anstehenden Verhandlungen Freihandelsabkommen, diverse Diskussionen aus dem Bereich der Selfpublisher und einer Gemengelage unterschiedlicher Stimmen zu Sinn und Unsinn der Buchpreisbindung bei E-Books stellt sich aktueller denn je die Frage nach Sinn oder Unsinn der fixen Festlegung von Preisen für ein Produkt und den Implikationen seines Wegfalls.
Kleine Preisbindungs-Historie
In Paragraph 1 des “Gesetz über die Preisbindung für Bücher” heißt es: “Das Gesetz dient dem Schutz des Kulturgutes Buch. Die Festsetzung verbindlicher Preise beim Verkauf an Letztabnehmer sichert den Erhalt eines breiten Buchangebots. Das Gesetz gewährleistet zugleich, dass dieses Angebot für eine breite Öffentlichkeit zugänglich ist, indem es die Existenz einer großen Zahl von Verkaufsstellen fördert.” Konkret wird also der kulturelle Auftrag in Zeiten eines Produkts, das damals vorwiegend auf Papier gedruckt wurde, festgesetzt – und gleich auch noch die Diversifizierung der Handelskanäle (durchaus korrekt, wie man heute sieht) als Gewährleistung für ein breites Angebot gesetzlich fixiert.
Das “Ausfertigungsdatum” ist übrigens der 02.09.2002, was immer wieder viele überrascht, da die Buchpreisbindung gefühlt eine deutlich längere Historie hat. Was im übrigen auch nicht falsch ist, da es weitgehend auf der sogenannten “Krönerschen Reform” von 1888 basiert, einer Art Standes-Regelung in Form eines Sammelreversystems, die aber de facto Gesetzeswirkung hatte. Verkürzt und für Juristen sicher grausam vereinfachend kann man wohl sagen, dass die Formulierung eines Gesetzestextes 2002 den Hintergrund hatte, Bestrebungen der EU-Wettbewerbskommission zu verhindern, aus kartellrechtlichen Gründen die Buchpreisbindung zu untersagen.
Wie immer (möchte man sagen) waren der Lücken und Schwammigkeiten bei gesetzlichen Regelungen viele, wobei sich die juristischen Auseinandersetzungen in der Vergangenheit in gewissen überschaubaren Grenzen hielten – auch durch einen weiten Branchenkonsens.
Das E-Book nagt an der Buchpreisbindung
Problematisch stellt sich die Ausdehnung des Gesetzes auf die digitalen Kopien des gedruckten Buches dar. Und es gibt dabei einige Widersprüche, die diesmal wohl kaum im Branchen-Konsens gelöst werden können, weil die Pluralität der am Markt Beteiligten steigt – auch durch die Digitalisierung der Produkte und der Handelskanäle.
Grundsätzlich problematisch ist die mit zeitlicher Verzögerung in Gesetzesform festgeschriebenen Eigenschaften eines Produkts. Das “Gesetz über die Preisbindung für Bücher” definiert dieses Produkt folgendermaßen: “Bücher im Sinne dieses Gesetzes sind auch Musiknoten, kartographische Produkte, Produkte, die Bücher, Musiknoten oder kartographische Produkte reproduzieren oder substituieren und bei Würdigung der Gesamtumstände als überwiegend verlags- oder buchhandelstypisch anzusehen sind sowie kombinierte Objekte, bei denen eines der genannten Erzeugnisse die Hauptsache bildet.”
Tatsächlich ist die Mehrzahl der heute (!) verfügbaren E-Books eine Reproduktion oder ein Substitut eines gedruckten Buches. Dieser Logik folgend schließt der Börsenverein also E-Books in die Buchpreisbindung ein, hier mit allen Ausnahmen nachzulesen (PDF). Interessanterweise nicht ohne auf eine eigene Meinungsänderung hinzuweisen: “So ist der Börsenverein selbst noch vor einigen Jahren zu der vorläufigen Einschätzung gelangt, dass E-Books preisbindungsrechtlich gleich zu behandeln sind wie Hörbücher, d.h. wie diese nicht preiszubinden sind.”
Dummerweise hat diese Auslegung einige Lücken, die sich als immer frappierender herausstellen. Mag die unterschiedliche Bewertung im Sinne der Mehrwertsteuer (7% bei gedruckten Büchern, dasselbe Produkt als E-Book aber 19%) noch zu den juristischen Merkwürdigkeiten gehören, die man zähneknirschend hinnimmt, so ist der Unterschied in der Form des Besitzes (verkürzt: das gedruckte Buch unterliegt dem Eigentumsrecht, dasselbe E-Book aber einem Nutzungsrecht) schon fataler.
Zudem drängen auf den Buchmarkt immer mehr Akteure abseits eines “Branchenkonsens”: die Selfpublisher. Der Anteil der E-Books aus diesem Kreis steigt massiv an und damit stellt sich die Frage, inwiefern deren Produkte ebenfalls der Buchpreisbindung unterliegen. Dies führt zu massiver Verunsicherung und weitgehend der Einschätzung aus dem Kreis der Selfpublisher (wie etwa Ansgar Warner von e-book-news.de hier ausführt), dass diese hier nicht gilt.
Die Einschläge kommen näher: fällt die Buchpreisbindung?
Viele Ungereimtheiten, das Produkt E-Book selbst in seiner Nutzung, das massive Eintreten neuer Produzenten in den “Content-Markt”, aber auch das Verhalten vieler klassischer Verlage durch “Preisschaukeleien” könnten im Rahmen des Transatlantischen Freihandelsabkommens durchaus zu einer Eindämmung, vielleicht auch zum Fall der Buchpreisbindung gesamt führen. Das zB meint Helge Malchow, KiWi-Verleger in der FAZ: “Aggressive Freihandelsfürsprecher in der EU-Kommission sowie amerikanische Medien- und Internetgiganten, für die die deutsche Buchpreisbindung lediglich eine Art “außertarifliches Handelshemmnis” darstellt, das bei den gerade beginnenden europäisch-amerikanischen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten aus dem Weg geräumt werden soll.” Ist das jetzt nachvollziehbare Lobby-Arbeit oder begründetes Menetekeln?
Buchpreisbindung weg – und dann?
Zunächst ist dies die nicht ernsthaft klar zu beantwortende Kardinalsfrage. Höchstens Einschätzungen auf Erfahrungsebene lassen sich abgeben – es stellt sich ja zunächst die Frage, für welche Produkte (Print und E-Book, nur E-Book) diese genau wegfiele im Fall der Fälle. Man könnte ja durchaus argumentieren, die Preisbindung für digitale Produkte als irrelevant zu erklären (damit hätte man die unterschiedliche Mehrwertsteuer, Nutzung statt Besitz und die ganzen Selfpublisher vom Hals) und bei gedruckten Büchern beizubehalten. Allerdings weist Malchow zu Recht darauf hin, dass Märkte und Handelswege inzwischen sehr verschränkt sind: “Wäre das anders und könnten E-Book-Händler die Preise frei festlegen, so wäre in diesem schon heute stark monopolisierten E-Book-Markt…durch strategische Preisabschläge und Niedrigpreise in kürzester Zeit nicht nur der elektronische, sondern der gesamte positive Preisbindungseffekt überhaupt zerstört: Durch die dann einsetzende, unkontrollierte Verschiebung der Bücherverkäufe von Print in den E-Book-Sektor würden bald auch viele traditionelle Buchhändler der Konkurrenz nicht mehr gewachsen sein und endgültig aufgeben müssen.”
Der Domino-Effekt ist nicht unwahrscheinlich und würde auch nicht nur den Buchhandel treffen. Im Moment gibt es viele Faktoren, die den E-Book-Markt begünstigen (mit Sicherheit im Moment auch tatsächlich die derzeit geltende Buchpreisbindung), aber mit einem halbwegs überschau- und reagierbarem Entwicklungstempo. Grund ist in der Hauptsache der (noch) vorhandene klassische breit gestreute Zugangsweg zum “Kulturgut Buch” und die Tatsache, dass die digitale Kopie nur wenig unter dem Printpreis und auch auf allen Plattformen preisparitätisch angeboten wird. Würde es rein theoretisch durch den Wegfall der Preisbindung zu einem massiven Preisverfall bei E-Books kommen (was man am Rande ja als durchaus positiv im Sinne des kulturellen Auftrags sehen kann) würden zunächst die klassischen Marktteilnehmer leiden – Sortiment und Verlage.
Und die Generation Amazon?
In Zeiten, in denen hierzulande eine komplette Generation jede Suche bei Google und einen Kauf bei Amazon beginnt (man verzeihe diese plakative Zuspitzung, möge sich doch aber bitte unter den Jüngeren im eigenen Bekanntenkreis einmal umsehen) kann dies nur zu weiterer Marktkonzentration führen. Um etwa im E-Book-Bereich mit niedrigen Preisen wirtschaftlich sinnvoll zu operieren und damit sowohl Nachfrage zu wecken als auch zu befriedigen braucht es den Zugang zu großen potentiellen Käufergruppen – und eine möglichst große Portokasse. “Kampfpreise” würden hier zu weiterer Monopolisierung oder Oligopolisierung führen. Allein die Konditionenverhandlungen zwischen Verlagen und großen Plattformen mag man sich gar nicht vorstellen. Oder, wie Volker Oppmann ergänzt: “Dazu operiert Amazon aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze aus Luxemburg (3%) heraus mit 16% Margenvorteil gegenüber deutschen Wettbewerbern (19%) – im Falle eines Wegfalls der Preisbindung würde es eine massive Rabattschlacht geben und es würde ein einziger Anbieter am Markt übrig bleiben. Game over.”
Natürlich sind es auch ganz andere Faktoren, die den Niedergang des klassischen Sortiments betreiben, da hilft auch das ganze Amazon-Bashing nichts – die ja nur ihren Auftrag als Wirtschaftsunternehmen wahrnehmen. Etwa die Schwierigkeit der Verlage, sinnvolle Produkte für einen digitalen Markt zu entwickeln und mit dem Verlust der Zugangskontrolle von Autor zu Leser umzugehen.
Aber die Verschränkung von Produkten und Handelswegen über Kanalgrenzen, sei es digital oder physisch hätte mittelfristig massive Auswirkungen auf die jetzige Marktzusammensetzung bei Wegfall der Preisbindung bei E-Books. Die Ironie dabei wäre vielleicht im ersten Moment gesamtgesellschaftlich sogar eine bessere Erfüllung des Kulturauftrags, den das Buch ja laut allen Beteiligten hat. Über längere Auswirkungen läßt sich nur spekulieren, etwa wenn Weltbild nicht-Mentalitätskonforme Titel aus dem Angebot nimmt oder Amazon eigene Verkaufsangebote von angeblichen Schmuddeltiteln reinigt.
Die Lösung: Trennung von Dingen, die nie zusammengehörten?
Geht man noch einmal auf die derzeitige Konflikt- oder sagen wir besser Fragen-Situation im Kontext Preisbindung bei E-Books zurück, die weitgehend der Produktanalogie zum gedruckten Buch geschuldet sind: wie sähe denn im Groben eine Lösung aus?
1. Print und – analog dazu – die digitale Kopie als ein Produkt, nur gemeinsam erhältlich und der Buchpreisbindung unterworfen. Also das Bundle als zukünftiges Kodexform-Produkt.
2. Auflösung der Kodex-Form im Digitalen (also hyptertextueller Inhalt in allen Ausprägungen) durch Nutzungs-Plattformen wie Flatrates
Letzteres würde dann auch dem Text der Buchpreisbindung genüge tun, die explizit als Ausnahme vorsieht: “Zugriffsberechtigungen auf Online-Datenbanken, Mehrfachnutzungen von Inhalten in Netzwerken, Online-Nutzung von vernetztem Content”.
Allein, die Lösung erscheint angesichts der Produkt- und Produktionsrealität dann doch zu theoretisch, jedenfalls im Moment. Also weiterhin ein Durchwursteln, Lobbyarbeit und der Gedanke “Reden wir in 5 Jahren nochmal darüber!”. Oder der Kunde durch sein Kaufverhalten und/oder große Plattformen durch ihr Marktgebaren Fakten schaffen, denen die Branche folgt – zähneknirschend.
Fuhlsbücher Amazon lag laut GfK auf 41%, „Insgesamt erreichen die Tolino-Partner Thalia (16% mit buch.de und bol.de), Weltbild (18%) und Hugendubel (2%) sowie buecher.de (5%) einen E-Book-Marktanteil von 36% ..Apple steht mit einem Marktanteil von 10% auf Platz 4 im Ranking der größten E-Book-Anbieter nach Umsatz. “
http://www.buchreport.de/nachrichten/verlage/verlage_nachricht/datum////digitale-pforte-lockt-zuwanderer.htm
10% zu 41% – das würde ich noch nicht bedrohlich nennen
Man vergesse bei elektronischen Produkten nicht Apple, meines Wissens ist der iTunes-Store wirtschaftlich mindestens ebenso bedeutend (und bedrohlich, um es wertend zu sagen) wie Amazon.
„“Kampfpreise” würden hier [im Onlinehandel] zu weiterer Monopolisierung oder Oligopolisierung führen.“
Das ist deswegen zweifelhaft, weil der Vertrieb eines eBooks (auf das Einzelexemplar gerechnet) für den Anbieter so gut wie kostenlos ist und es zudem keine Mengenrabatte gibt, die bei anderen Handelswaren ja Grundlage von Kampfpreisangeboten sind. Somit haben alle Online eBooks vertreibenden Anbieter im selben Maße die Möglichkeit, Sonderangebote zu schaffen. Da es mW in Deutschland (in der Regel) immer noch verboten ist, unter dem Einkaufspreis zu verkaufen, bedarf es dafür auch keiner „tiefen Portokassen“.
Warum genau das Buch überhaupt anders behandelt werden sollte als alle (!) anderen Produkte (auch Kulturgüter wie Filme, Musik und Theaterkarten), ist zudem immer noch nicht ersichtlich. Die bloße Behauptung, die Buchpreisbindung schütze das „Kulturgut Buch“ ist nicht mehr als eben dies – eine bloße Behauptung. Die zudem die Frage aufwirft, welche dramatische gesellschaftlich-kulturelle Schieflage einen solchen Schutz eigentlich erfordert.
Richtig. Das Buch ist schon längst nicht mehr – wie vor 100 Jahren – als „Kulturgut“ einzustufen, sondern als „Konsumgut“. Und es wird auch von den Lesern/Käufern so gesehen. Wenn schon „Kulturgut“, dann müssten mit gleicher Begründung auch Filme und Theaterkarten vergünstigt werden – oder eben die künstliche Subvention der Bücher müsste wegfallen. Niemand weiß, was dann passiert – Behauptungen, die kleinen Händler würden ohne Preisbindung sterben, sind nichts weiter als unbewiesene Meinungen, die einem Blick in die Glaskugel gleichkommen. Die kleinen Händler sterben auch jetzt schon weg – mit Preisbindung!
Die grundlegende Infrastruktur für den Handel mit E-Books kostet sehr wohl Geld. Umso besser und komfortabler diese für den Kunden ist, umso mehr (das kann man wie jede Regel, sicher mit Ausnahmen wiederlegen).
Dieses Geld kann man verdienen, indem man mit vielen geringpreisigen Transaktionen den entsprechenden Mindestumsatz einfährt oder mit weniger Transaktionen, die dann aber im Einzelnen mehr Umsatz bringen müssen (höherer, [fester] Preis).
Ein Sinken der E-Book-Preise im Gesamtmarkt fördert damit also die Marktmacht der Marktteilnehmer mit einer hohen Transaktionszahl. Dies erhöht die Einstiegshürde in den Markt; ist aber sicher, hier haben sie recht, nicht der entscheidende Punkt bei einer Mono- oder Oligopolbildung im E-Book-Markt.
Von was für Aufbaukosten für die Infrastruktur des eBook-Vertriebs reden wir hier? Ich komme auf eine Spanne von 100-3000 €, je nachdem, ob Sie selbst HTML/PHP beherrschen oder dafür jemanden bezahlen müssen. Für eine Unternehmensgründung gradezu lächerlich.
Eine Möglichkeit, die Preise im digitalen Markt zu fixieren, ganz gleich ob mit oder ohne Buchpreisbindung, ist nach wie vor die konsequente Anwendung des Kommissionsagentenmodells.
Sehr guter Artikel, dem kann ich nur zustimmen. Es wird oft übersehen, daß eine flächendeckende Versorgung eben nicht durch
das Online-Geschäft gewährleistet wird. Denken Sie an diejenigen,
die keinen Internetzugang haben oder ihn nicht wollen, kein
online-Banking haben oder schlicht anonym im Handel einkaufen
möchten, ohne jedem Geheimdienst oder sonstwem zu verraten,
was er sich gerade zu Lesen anschafft.
Ein sehr guter Beitrag zu einer Diskussion, die uns immer mehr beschäftigen wird.
Arnoud de Kemp, Verleger
Akademische Verlagsgesellschaft AKA
Berlin
Gelungener Problemaufriß eines komplexen Themas. Vielen Dank. Eine Lösung, die allen Stakeholdern gerecht wird – Verlagen, Händlern, Nutzer, Politik etc. – scheint in weiter Ferne. Bedauerlicherweise.