Antwort von Heike Brandt, Übersetzerin und Autorin und Vertreterin des VdÜ/Bundessparte Übersetzer im VS in ver.di (Verband der Literaturübersetzer) im Arbeitskreis für Jugendliteratur, auf den Offenen Brief der Initiative zur Veränderung der Ausschreibungsbedingungen des Deutschen Jugendliteraturpreises:
„Die InitiatorInnen und Unterzeichnenden des Offenen Briefes haben für meine Begriffe bei ihrer Klage deutlich zu kurz gedacht.
Denn die beklagte mangelnde Aufmerksamkeit liegt vor allem daran, dass in Deutschland Jahr für Jahr immer mehr Bücher für Kinder- und Jugendliche produziert und verkauft werden (2012 mehr als 8000 Titel) – das Angebot ist gewaltig und unüberschaubar, es wird eine Fülle von Büchern für Kinder und Jugendliche auf den Markt geworfen, die mit Literatur wenig zu tun haben und für den DJLP überhaupt nicht in Frage kommen, aber gute Umsätze und damit Geld in die Kassen bringen – nur nicht in die aller an dem Geschäft Beteiligten. Das ist sicherlich ein Problem – aber wie sollte ein Staatspreis das lösen?
Ein Grund für diese Massenproduktion ist der „Pisa-Schock“ – seit den Veröffentlichungen der Daten über unzulängliche Leseleistungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist Leseförderung ein großes Thema, dafür wird viel getan, werden viele staatliche und private (Stiftungs-) Gelder ausgegeben, werden Programme entwickelt, jede Menge Bücher mit dem Etikett Leseförderung auf den Markt geworfen. Lesen an sich wird zur Qualität erklärt, um die Frage, was Kindern eigentlich vermittelt wird bzw. werden könnte/sollte, geht es dabei leider höchst selten.
An der massenhaften Produktion von Kinder- und Jugendbüchern sind aber nicht nur die Verlage beteiligt, sondern u.a. auch die deutschsprachigen AutorInnen, die den Verlagen für diesen Massenmarkt zuarbeiten, die sich aus „Marketinggründen“ zu einem englischen Pseudonym oder zu Auftragsarbeiten für Serien, „Lesefutter“, Erstlesetexte, Jungs- und Mädchenbüchern (wie in den fünfziger Jahren) etc. gezwungen fühlen und genau damit zu der beklagten Fülle beitragen, die der Literatur keine Chance lässt, weder bei den BuchhändlerInnen noch bei den KäuferInnen – sie finden sie einfach nicht. Natürlich sind an diesem Prozess ÜbersetzerInnen gleichermaßen beteiligt.
Es geht also letztlich um den Konflikt zwischen Kommerz und Kultur, wobei es überhaupt nicht darauf ankommt, ob ein Buch übersetzt wurde oder original deutschsprachig ist. Dass Verlage lieber auf bereits „fertige“, auf dem Markt bewährte, von der Kritik abgesegnete Titel zurückgreifen, liegt nicht an der Ausrichtung des DJLP, sondern an der Marktorientierung der Verlage. Nicht umsonst gibt es die sogenannte „Mischkalkulation“ – schwierig verkäufliche (also eher „anspruchsvolle“) Titel (egal, ob übersetzt oder nicht) sollen von marktgängiger Massenware getragen werden. Was ja eigentlich heißt, jede AutorIn, die hierzulande ein anspruchsvolles Buch veröffentlichen will, müsste gleichzeitig Groschenromane schreiben, wenn er oder sie vom Schreiben existieren will – das gilt ebenfalls für ÜbersetzerInnen. Und das liegt nicht an irgendwelchen Staatspreisen, sondern an der „Freiheit“ des Marktes – also an unserem Wirtschaftssystem.
Der DJLP ist – zum Glück! – kein Preis für die Förderung von AutorInnen, sondern ein Preis, der auf herausragende (Welt)Literatur für Kinder und Jugendliche aufmerksam machen soll – bei der oben beschriebenen Situation des Kinder- und Jugendbuchmarktes eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Dass die Jury mitunter Entscheidungen trifft, mit denen viele nicht einverstanden sind, liegt in der Natur der Sache – neben allgemein gültigen gibt es auch persönliche, zeitgeistabhängige, politische, eben jeweils juryspezifische Kriterien für die Bewertung von Literatur. Dass aber übersetzte AutorInnen eine größere Chance haben, den Preis zu bekommen, ist eine Fehleinschätzung oder auch eine Unterstellung – als wären die Jurymitglieder dermaßen vom überschwemmten Markt beeinflusst, dass sie die original deutschsprachigen Titel nicht zur Kenntnis nähmen. Zur Erinnerung: In die Auswahl kommen alle Titel, die von außen eingereicht werden (pro Jahr ca. 5-600). Wenn die eingereichten original deutschen Titel nicht nominiert werden, keinen Preis bekommen, dann heißt das zunächst nichts weiter, als dass sie nicht den Qualitätsvorstellungen der Jury-Mitglieder entsprechen.
Die Unterzeichnenden der Initiative weisen alle Vorwürfe zurück, bei ihrem Anliegen handelte es sich darum, sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen, um alleine an die Futtertröge eines von deutschen Steuergeldern finanzierten deutschen Staatspreises zu kommen. Sie wollen um Himmelswillen keine Konkurrenz zwischen übersetzter und nicht übersetzter Literatur heraufbeschwören, wollen aber sicher wissen, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland unbedingt vermehrt auf Deutsch geschriebene Bücher bräuchten – mit teilweise haarsträubenden Begründungen.
Zu behaupten, sechzig Jahre nach Stiftung des DJLP sei die damals sicher notwendig gewesene Öffnung anderen Kulturen gegenüber nicht mehr nötig, weil längst andere Verhältnisse herrschten, geht vollkommen an der Realität vorbei und zeugt von einem erschreckend ahistorischen Denken. Was bedeutet zum Beispiel die Bemerkung: „Vor dem Krieg war die Jugendliteratur stark ideologisch geprägt“ – vor welchem Krieg? Ist damit die Weimarer Republik gemeint oder die Nazi-Zeit und die Kaiserzeit vor dem 1. Weltkrieg? Oder die Zeit vor dem Vietnamkrieg? Und wie war es in jenem Krieg? Und was hat sich seit 1956 so grundlegend geändert, dass ein Blick nach außen, dass Völkerverständigung nicht mehr nötig sein sollten? Gibt es in Deutschland keinen Rassismus, keinen Anti-Semitismus, keine Nationalismen mehr?
Die zitierte Multikulturalität mag sich ja vor manchen Haustüren in Deutschland abspielen, in der original deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur findet sie jedoch höchst selten statt. Wenn überhaupt MigrantInnen vorkommen, haben sie entweder Probleme oder sie sind ein Problem. Nicht-deutsche Namen oder Begriffe werden oft falsch geschrieben, sozusagen eingedeutscht. Und was bitte schön ist die „hiesige“ Realität, die Kinder zur Bewältigung ihres Alltags in der Kinderliteratur finden sollen? Die in der hiesigen Kinderliteratur dargestellte ist für manche Kinder, die hier leben, mitunter genauso fremd wie die Realität in anderen Ländern – die Kinder- und Jugendliteratur spiegelt nur einen bestimmten Teil unserer Gesellschaft, ist also auch auf eine bestimmte Weise beschränkt. Andererseits gibt es die Erfahrung, dass Reflexionen über das Eigene gerade durch die Auseinandersetzung mit dem Anderen, Unbekannten gefördert werden. Wenn die Behauptung stimmte, ein Text habe nur in seiner Muttersprache die ursprüngliche Dichte und Authentizität, gäbe es keine Literatur, die Menschen auf der ganzen Welt gleichermaßen berührte. Übersetzung und Original sind nicht zwei unterschiedliche literarische Formen, sondern ein und dasselbe.
Als wichtiges Argument für die Vergabe des Preises ausschließlich an original deutschsprachige AutorInnen (mit Ausnahme eines extra Preises für Übersetzungen) wird die Literaturvermittlung angeführt, die in Deutschland besonders gut die hier lebenden AutorInnen übernehmen könnten. Mal abgesehen davon, dass nur sehr wenige Kinder und Jugendliche in den Genuss von Lesungen kommen, weil es einfach zu wenig öffentliche Gelder für solche Veranstaltungen gibt, können auch ÜbersetzerInnen als AutorInnen ihrer Übersetzungen, LehrerInnen, BibliothekarInnen, Eltern, BuchhändlerInnen ganz wunderbar Literatur vermitteln.
Ein weiteres Argument: Kindern soll durch original deutschsprachige Literatur die Besinnung auf die eigene kulturelle Identität vermittelt werden. Was ist denn das? Wie definiert sich denn eine kulturelle Identität deutschsprachiger Menschen? Und droht die unterzugehen, weil Kinder nicht genügend Texte bekommen, die etwas vermitteln, von dem niemand weiß, was es ist?
Und ein Letztes: Wenn zur deutschsprachigen Literatur übersetzte Texte aus vielen Ländern dieser Erde gehören, dann zeigt das im Ausland doch vor allem eins: dass es ein weltoffenes Deutschland gibt.
Hinter dieser Herabwürdigung deutscher Autoren unter dem Deckmäntelchen internationaler Offenheit steht doch das profane Interesse der Verlage, risikolos zu publizieren:
Was im Ausland gut ankam, lässt sich auch hier gut verkaufen. Pädagogische oder sprachliche Qualität interessiert hierzulande keinen, eigenständige deutsche Kultur ist unerwünscht.
Sicherer Umsatz und großkotzige Weltbedeutung ist die Devise – der Prophet gilt bekanntlich im eigenen Lande nichts.
Liebe Frau Brandt,
ich schätze Sie sehr als
Autorin und Übersetzerin und ich hätte mir gewünscht, dass gerade
Sie, die Sie auch aus dem Amerikanischen übersetzen, in Ihrer
Argumentation die Vergabepraxis der großen amerikanischen Preise für Kinder- und Jugendliteratur in Betracht gezogen hätten. Sie werden u. a. nach Sprachen vergeben (Englisch, Spanisch etc.) und der Mildred L. Batchelder Award wird an den Verleger, den Autor und den Übersetzer des besten übersetzten und in den USA veröffentlichten Kinder- und Jugendbuches eines Jahres verliehen.
Ich plädiere für zwei unterschiedliche Preise: einen für ein Buch im Original, also ein Buch in deutscher Sprache, und einen Preis für die Vermittlung eines Buchs aus einer anderen Sprache, also für eine Übersetzung. Man sollte die Autoren und Übersetzer keinesfalls gegeneinander ausspielen, aber ihre unterschiedliche Arbeit auf jeden Fall gesondert würdigen.
Dass ein auf Deutsch geschriebenes Buch ausgezeichnet wird, scheint mir nur logisch, denn die Literatur definiert sich über die Sprache. Inhalte sind wichtig, aber die Sprache ist das Wesentliche. Man liest ein Buch im Original ganz anders als in der Übersetzung. Manche Menschen erlernen sogar eine Fremdsprache, um ein Buch in der Sprache eines Autors lesen zu können.
Wir haben es also mit zweierlei Werken zu tun: mit Originalwerken und mit Übersetzungen.
Die deutschen Bücher werden übrigens längst nicht mehr nur von in Deutschland geborenen Autoren geschrieben. Ich z. B. bin in Rumänien geboren und in der deutschen Sprache zu Hause. Herkunft und literarische Sprache sind ähnlich wie bei mir bei vielen Autoren nicht mehr identisch. Sie kommen aus aller Welt und schreiben in deutscher Sprache. Die Welt kommt also nach Deutschland, das in meiner Wahrnehmung schon längst ein Einwanderungsland ist.
Andererseits können in einer globalisierten Welt dieselben Geschichten in Berlin und Bukarest, in Prag und Passau oder in Wien und Warschau erzählt werden. Wodurch unterscheiden sich diese Geschichten? Durch die Erzählperspektive, das Lokalkolorit, aber vor allem durch die Sprache.
Als Übersetzerin bin ich an eine Vorlage gebunden und wenn ich eine gute bin, kann ich das Original sogar verbessern. Ich wünsche mir, dass meine Leistung geschätzt wird, aber ich bin dann trotzdem nicht die Autorin des Buchs.
Als Autorin bin ich an keine fremde Vorlage gebunden und habe ganz andere Möglichkeiten: Ich schreibe das Buch, ich bin seine Urheberin.
Man kann die Erfindung eines literarischen Werkes nicht mit der Vermittlung durch eine Übersetzung vergleichen, auch wenn das Ergebnis in beiden Fällen ein Buch ist.
Ein Literaturpreis sollte unbedingt ein Preis für ein Sprachkunstwerk im Original sein. Eine gelungene Übersetzung eines Originals in unsere Sprache, verdient ebenfalls einen Preis, weil nicht jeder Zugang zum Original hat und wir auf die Vermittlung durch die Übersetzung angewiesen sind. Ein Original und eine Übersetzung sind also keineswegs dasselbe und man kann nur Gleiches mit Gleichem vergleichen, also Originale mit Originalen und Übersetzungen mit Übersetzungen. Alles andere ist unlogisch und auch ungerecht.
Das Argument, dass es keine guten Bücher von einheimischen Autoren gibt, lasse ich nicht gelten. Wahr ist aber auch, dass ich seit längerer Zeit bei jedem Manuskript die manchmal sogar verzweifelte Frage des Lektors beantworten muss: Wer ist die Zielgruppe (für das Marketing)? Wem kann ich dieses Buch verkaufen? Diese Frage ist wichtiger geworden als die nach der Sprache oder dem Inhalt (sofern die Sprache einfach
und der Inhalt leicht verständlich ist). Das Marketing bestimmt in
vielen Fällen, ob ein Buch erscheint und wie es ausgestattet ist.
Gerade dieser Tendenz könnte man mit dem DKJP für ein
eigenständiges, originelles, deutsches Buch entgegenwirken.
Ich weiß nicht, wer die Bücher für den Preis einreicht und wie die Jury bei der Preisfindung vorgeht.
Wie geht man bei der Bewertung einer Übersetzung vor?
Lesen alle Mitglieder die Bücher erst im Original und dann in der Übersetzung? Werden die Leistungen der Übersetzer miteinander verglichen und wird zum Schluss das am besten übersetzte Buch ausgezeichnet?
Oder sind dann doch nur das Buch und sein Autor ausschlaggebend?
Im ersten Fall würde die Leistung des Übersetzers entsprechend gewürdigt und ein Preis für die Übersetzung wäre angemessen. Im zweiten Fall müsste der Preis für das übersetzte Buch an seinen Autor gehen, während die Übersetzerleistung eher sekundär wäre (weil sie nicht wirklich bewertet wird).
Richtlinien aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts sollte man grundsätzlich überdenken. Es wäre wunderbar, wenn dieser Preis nicht mehr aus dem Geist der Nachkriegszeit oder aus pädagogischen Erwägungen verliehen würde, sondern einfach ein Buch in deutscher Sprache, ein Sprachkunstwerk im Original und eine Übersetzung (vielleicht jedes Jahr aus einer anderen Sprache)
ausgezeichnet würden, Bücher, die den Leser im Denken beflügeln
und die Herzen erwärmen.
Man könnte sich an den Vergaberichtlinien,die in anderen Ländern üblich sind oder am Deutschen Buchpreis orientieren.
Ich schlage vor, dass sich Vertreter der Politik, der Jury, der Autoren und Übersetzer an den runden Tisch setzen und miteinander neue, zeitgemäße Vergaberichtlinien für diesen Staatspreis erarbeiten.
Vergaberichtlinien sind kein Besitzstand, den es von einer Generation auf die andere zu vererben gilt. Es sind bloß Regeln, die ersetzt werden können, wenn sie nicht mehr entsprechen.
Etwas Neues, Kluges und Gegenwärtiges zur Auszeichnung von Literatur muss her.
In Siebenbürgen gibt es in der ehemaligen Bischofskirche in Birthälm ein Gelass, in dem zerstrittene Eheleute bei Brot und Wasser so lange ausharren mussten, bis sie sich wieder geeinigt hatten. Es soll gut funktioniert haben. Vielleicht gibt es ja auch in diesem Fall eine Möglichkeit, Juroren, Übersetzer und Autoren, sowie Vertreter der Kulturpolitik zusammenzubringen, um den Streit beizulegen und eine Vergabepraxis einzuführen, die Autoren und Übersetzern gleichermaßen gerecht wird.
Darauf könnten wir dann ein Glas Sekt trinken.
Mit freundlichen Grüßen Ihre Karin Gündisch
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Karin Gündisch
Ich finde es bedauerlich, dass mit dieser Reaktion des VdÜ (aus meiner Sicht jedenfalls) ein Keil zwischen Übersetzer und Autoren getrieben wird, als wollten die einen den anderen etwas wegnehmen. Kann ich so nicht finden. (Und ich bin schließlich selber leidenschaftlicher Übersetzer UND Autor!) Und es stellt – leider – alle Unterzeichner der Initiative in eine dümmliche, deutschtümelnde, nationalistische Ecke – das trägt wenig zur sachlichen Diskussion bei.
Unter kultureller Identität versteht man das Zugehörigkeitsgefühl einer Person oder einer Gruppe zu einem kulturellen Kollektiv.
Dies kann eine Gesellschaft, ein bestimmtes kulturelles Milieu oder auch eine Subkultur sein. Identität stiftend ist dabei die Vorstellung,
sich von anderen Individuen oder Gruppen kulturell zu unterscheiden
– etwa durch die Sprache, Religion, Nation, Wertvorstellungen, Geschichte, Sitten und Gebräuche oder in sonstigen Aspekten der Lebenswelt. Die Gesichtspunkte, die eine kulturelle Identität prägen, sind heterogen und können auch zueinander im Widerspruch stehen.
Kulturelle Identität entsteht aus der Wahrnehmung des „Eigenen“, die durch den Gegensatz zu einem „Anderen“ hervorgerufen wird. Dieser Vorgang ist stark von Gefühlen geprägt, wobei das Eigene ein Sicherheits-, Geborgenheits- und Heimatgefühl vermittelt. Gegenüber
dem „Anderen“ oder dem „Fremden“, das oft erst im Prozess der Bildung von Identität als solches definiert wird. Wenn eine Gruppe Unterdrückung, Ausbeutung, Ausgrenzung oder Diskriminierung erleidet, kann ihr die kollektive Identität ein Potenzial zur Selbstbehauptung verschaffen.
Entwicklung und Fortschritt finden statt, wenn althergebrachte Regelungen und Meinungen hinterfragt und gegebenenfalls veränderten Strukturen angepasst werden. Was ist eigentlich so verwerflich daran, wenn Autoren sich nicht nur stille Gedanken machen, in welcher Form man die Qualität deutscher Kinder –
und Jugendliteratur noch besser fördern kann, sondern sich in
angemessener Form zu Wort melden und konstruktive Vorschläge
einbringen? Schade, dass in dieser Stellungnahme kein Schritt zu einem Miteinander gegangen, sondern mit knüppelharter Polemik jegliches Engagement für die Sache zurückgewiesen wird.
Ich verstehe nicht, wo das Problem sein soll, eine nationale und eine internationale Sparte anzubieten. In der Musikbranche ist das schon lange gang und gäbe. Generell ist es ja so, dass die Industrie (welche auch immer) sich im Zweifel für erprobte Inhalte aus dem Ausland entscheidet, anstatt ein Risiko einzugehen. Ein Preis kann und sollte hier neue Anreize schaffen, mutiger zu werden.
Da kann Heike Brandt noch so absurde Worthülsen bemühen und am Thema vorbei argumentieren, ihre Aussage bleibt dennoch unübersehbar: Wir deutschen Autoren sind schlichtweg nicht gut genug, unser Anliegen tendenziell faschistisch und überhaupt weltfremd.
Aha. Jetzt haben wir es zumindest schriftlich. Dass sie dazu Argumente verdrehen und falsch wiedergeben musste – was solls?
Nach ihrer Ansicht sind ausländische Autoren ohnehin viel besser geeignet, unseren Kindern Werte zu vermitteln und ihnen die Welt zu erklären.
Ich kann nur dringend hoffen, dass die Dame einen schlechten Tag hatte, als sie diese Stellungnahme fabriziert hat. Wenn sich darin wirklich das Argumentationsniveau des VdÜ widerspiegelt, wird mir ganz anders.
Dieser Artikel ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel für die kulturelle Identität Deutschlands: Bloß dem anderen nichts gönnen, bloß nicht mal an einem Strang ziehen – und bloß nicht, bloß nicht, einen deutschen Preis für deutschsprachige Literatur vergeben. Vielleicht sollte man zu diesem Thema mal schreiben? Ansonsten schließe ich mich dem Kommentar von A.B. gerne an!
Frau Brandt greift zwar die Argumente der Initiative an, widerlegt sie aber nicht. Es bleibt bei nichtssagenden Trivialitäten wie dass mit „teilweise haarsträubenden“ Begründungen argumentiert werde. Belegt Frau Brandt, was das Haarsträubende ist?
Ich bin enttäuscht, dass nun mit billiger Polemik versucht wird, Übersetzer und Autoren aufeinander zu hetzen.
Polemik mit Binnen-I spricht ohnehin für sich.
Hm.
Weltoffen 1: Norweger und alle anderen Nationen, die ihre Literaturpreise an Bücher vergeben, die in ihrer eigenen Sprache geschrieben wurden – haltet euch fest: Die Deutschen sind weltoffener als ihr, ja, wahrscheinlich am weltoffensten überhaupt (ja, ich weiß, es lässt sich nicht steigern). Und wieder eine Nasenlänge voraus, ätsch!
Weltoffen 2: Naja, die Welt im Sinne des DJLP ist ja doch recht klein.
Liebe Chinesen, ihr stellt zwar einen erheblichen Teil der Bevölkerung auf unserem Planeten, aber leider keine preiswürdigen Schriftsteller im Sinne der Jury des DJLP. Liebe Bewohner Afrikas – das gilt auch für euch. Der Rest bitte hinten anstellen.
Dagegen gibt es einige kleine Länder auf diesem Planeten, die sind sozusagen gespickt mit hervorragenden Schriftstellern. Muss die kulturelle Identität sein.
Kulturelle Identität: Klar gibt´s eine deutsche kulturelle Identität. Behaupten jedenfalls all die Franzosen, Engländer, Russen und Türken, mit denen ich mich gelegentlich in Originalsprache (und manchmal auch in Übersetzung) unterhalte. Aber es kann natürlich sein, dass die inzwischen ausgewandert ist und mit der englischen kulturellen Identität in einem Pub ein Bier trinkt.
Migranten in Büchern deutscher Schriftsteller: Holla, jetzt wird´s gefährlich. Die Autorin des Artikels ist sich aber schon bewusst, dass es inzwischen einige deutsche Schriftsteller gibt, deren Großeltern nicht in Deutschland aufgewachsen sind?
Die „zitierte Multikulturalität“ (was ist denn Kulturalität???) findet übrigens in praktisch allen Schulen statt, die mir bekannt sind. Wobei zugegebenermaßen dort viele Kinder zur Schule gehen, deren Ursprungsnationen nicht vom DJLP abgedeckt werden.
Und um jetzt die berühmte Kirche im berühmten Dorf zu lassen (oder die Moschee in der Kleinstadt oder die Synagoge oder oder …): Wenn ich das richtig verstanden habe, möchte die Initiative ja nur, dass es in jeder Sparte zwei Preise gibt: einen für ursprünglich deutschsprachige Literatur und einen für Übersetzungen.
Und: Es geht um einen Preis. Nicht darum, den Übersetzern das Übersetzen zu verbieten.
Wo ist das Problem?
Zustimmung auf ganzer Linie.
Man stelle sich vor, der Deutsche Buchpreis (gut, dieser ist nicht staatlich, aber vom Renomee her vergleichbar) würde an eine Übersetzung gehen – undenkbar. Ich finde den Preis der Leipziger Buchmesse gut als Vorbild, mit seinen verschiedenen Sparten. Möglich wären etwa: Jugendbuch, Kinderbuch, Bilderbuch – jeweils in deutscher Originalsprache und in Übersetzung bzw. als Import. Das wären sechs Kategorien plus evtl. ein Sonderpreis für Werke, die sich in diese nicht einordnen lassen.
Zum Argument „Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus“: Klar gibts das auch heute noch in D., schlimm genug – aber doch nicht im Kinder- und Jugendbuch! Zumindest ist mir so etwas dort noch nie untergekommen. Und nur um diesen Bereich geht es schließlich. Das Argument ist also nicht stichhaltig, schlimmer, es verdreht (bewusst, fürchte ich) den Kontext, in dem die Initiative argumentiert. Das ist schäbig, um es freundlich zu sagen.
[letzter Abschnitt auf Wunsch des Absenders entfernt Red.]
Sie haben es offenbar wirklich nicht begriffen, worum es im Kern wirklich geht und was der Skandal ist. Vermutlich wollen Sie es auch gar nicht wissen. Der gedrechselte Tonfall mit seinen abgegriffenen Worthuelsen (‚zu kurz gedacht‘ – wie macht man das, mal ‚kurz denken‘? Haben Sie das beim Verfassen der obigen Antwort praktiziert?), der praechtig zu einem germanistischen Oberseminar passt, weist schon daraufhin, was allein Sie als preiswuerdig gelten lassen. Es ist schon richtig, dass nur ein kleiner Teil der hiesigen Realitaet in der Buchkultur abgebildet wird – und zwar bei der Preisvergabe. Und zum Schluss noch die etwas ueberspitzte Feststellung, die ich schon bei meiner Rede 1988 anlaesslich der Verleihung des (ja, ich weiss: ordinaeren) Friedrich Gerstaecker Preises fuer meinen, in Ihren Augen zweifellos minderwertigen Roman „Abby Lynn- Verbannt ans Ende der Welt“ geaeussert habe: Ein Roman von Karl May hat um ein Vielfaches mehr fuer die Lesefoederung und spaetere Liebe zum Buch (auch zum hochliterarischen und von mir geschaetzten) getan als alle noch so grossartigen Romane von G. Grass & Co. Aber nun ja, dass deutsche gehobene Bildungsbuergertum hat schon immer am liebsten sich selbst gefeiert.
Rainer M. Schroeder
Atlanta, USA
Diese recht polemische Stellungnahme geht doch ziemlich an der Sache vorbei. Zuerst fällt mir dazu ein: Meines Wissens gibt es in keinem Land so viele Übersetzungen wie in Deutschland. Deren besondere Förderung durch einen Preis ist heute wirklich nicht mehr erforderlich. Auch wenn Übersetzer das anders sehen mögen. (Warum wohl?!)
„Wie definiert sich denn eine kulturelle Identität deutschsprachiger
Menschen? Und droht die unterzugehen, weil Kinder nicht genügend Texte bekommen, die etwas vermitteln, von dem niemand weiß, was es ist?“ liebe heike brandt, ich finde, sie sprechen in rätseln. ein weltoffenes deutschland hat doch tatsächlich eine identität, was sich kulturell besonders in seiner literatur zeigt, meinen sie nicht? – und nicht im ausschütten von preisen für lizenzkäufe. auch wenn sie diese als übersetzerin vielleicht noch so gut vermitteln. fürs ausland sind diese preise mit sicherheit eher pekuniär interessant.
Aha, die deutschen Kinderbuchautoren veröffentlichen zuviele Bücher! Und die ausländischen Bücher spiegeln die Wirklichkeit der Migrantenkinder besser wieder? Wirklich? Wieviele Kinder- und Jugendbücher türkischer Autoren werden denn heute veröffentlicht? Die Übersetzungen sind in der Regel Übersetzungen aus dem Angloamerikanischen und dass die laut Frau Brandt die Wirklichkeit von Migrantenkindern besser darstellen würde, darüber lässt sich sicher streiten. Dass Frau Brandt zwar nicht explizit sagt, aber zwischen den Zeilen durchscheinen lässt, dass deutsche Autoren sowieso nur Mist schreiben, wundert nicht, auch nicht, dass sie folglich für weniger deutschsprachige Kinderbücher eintritt. Als Vertreterin der ÜbersetzInnen ist es ihr gutes Recht, dafür einzutreten, dass möglichst viele Kinderbücher Übersetzungen sind und auch die Preise vornehmlich an Übersetzungen gehen.
Nur atmet die ganze Darstellung sehr deutlich die Interessenvertretung und den Wunsch, dass auch zukünftig möglichst Übersetzer die Preise bekommen.
Sie schreiben, dass „die Preise vornehmlich an Übersetzungen gehen“. Daran ist zweierlei falsch. Erstens – schauen Sie sich die Verteilung Originale/Übersetztes beim Deutschen Jugendliteraturpreis in den zurückliegenden Jahren einmal an – ist das Verhältnis durchaus ausgewogen. 2011 erhielten sogar ausschließlich deutsche Originale die Preise! Zweitens gehen die Preise nicht an Übersetzungen, sondern an die Autorinnen der prämierten Bücher – und wenn diese nicht auf Deutsche schreiben, geht der Preis hälftig an die Übersetzerin. Das ist doch schon was ganz anderes. In dem Buchreport-Interview wird behauptet „Wenn natürlich kaum je ein deutschsprachiges Buch mit dem DJLO ausgezeichnet wird …“ – das ist eine blühende Falschinformation.
Hinrich Schmidt-Henkel, 1. Vorsitzender VdÜ (Verband der Literaturübersetzer)
Dr. Otfried Wolfrum, Laetitia Verlag
DJLP 2005 – 2009:
Bei insgesamt 59 Nominierungen in 5 Jahren wurden nur 8 Originaltitel, das sind 14 %, nominiert. Der Anteil der Übersetzungen betrug damit 86 %, mit 62 % überwiegend aus dem Englischen und Holländischen.
Von 2005 bis 2009 wurden also insgesamt 2.412 Bücher eingereicht, davon 1.494 (= 62%) Originalwerke und 918 (= 38%) Übersetzungen.
2009 war es für eine Übersetzung 30-mal wahrscheinlicher nominiert zu werden als für ein Originalwerk. – Und 45-mal wahrscheinlicher, den Preis zu erhalten.
http://www.laetitiaverlag.de/2…
Dr. Astrid van Nahl, Alliterus
DJLP 2013
Von den 30 nominierten Büchern zum Deutschen Jugendliteraturpreis kommen original aus
Deutschland: 1 Bilderbuch, 0 Kinderbücher, 2 Jugendbücher, 5 Sachbücher; dazu 2 Bücher über die
Jugendjury. Sehen wir von den Sachbüchern ab, die auf Wissensvermittlung zielen, kommen damit
die von der Fachjury nominierten Bücher auf einen Anteil von 10%. Kein deutsches Kinderbuch
wurde für würdig befunden, aufgenommen zu werden. 90% der nominierten Bücher sind Übersetzungen. Das macht betroffen.
http://www.alliteratus.com/pdf…