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Wege aus der Stressfalle

Organisationsberater Edgar Rodehack. Bild: Jan Ingenhaag

Organisationsberater Edgar Rodehack (Bild: Jan Ingenhaag)

In der Firma klagen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt über Stress? Fallen bereits Teammitglieder aus? Sind einige vielleicht schon akut von Burnout bedroht oder gar deswegen krankgeschrieben? Spätestens dann sollten Unternehmen schleunigst handeln. Denn Burnout ist teuer. Und ansteckend, schreibt Coach und Burnout-Experte Edgar Rodehack im HR-Channel von buchreport.de.

Krankheiten sind zu Recht unsere private Angelegenheit. Das ist eine Errungenschaft unserer modernen Welt. Doch ausgerechnet diese gute gesellschaftliche Übereinkunft verstellt uns in Leistungsfragen und den damit zusammenhängenden Schwierigkeiten den Blick auf wichtige Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten. Gerade beim Thema Leistung, Stress und Burnout führt dies dazu, dass wir weit unter unseren Möglichkeiten bleiben und manche Situationen bedrohlich eskalieren.

Selbst schuld! Selbst schuld?

So gehen wir im Allgemeinen davon aus, dass Stress und seine Folgen allein Sache der „Gestressten“ sind. Es ist ihre Sache, damit „klarzukommen“. Sie sind dem Druck einfach „nicht mehr gewachsen“. Sie sind eben die „Falschen auf dem Posten“. Ihnen ist halt „alles ein bisschen viel“, mit den Kindern, den pflegebedürftigen Eltern und den Projekten…

Tatsächlich ist aus der Stressforschung bekannt, dass die individuellen Umstände, die körperliche und psychische Ausstattung sowie die persönlichen Bewältigungsmuster eine entscheidende Rolle bei der Stressbewältigung spielen („interne“ Vorgänge). Mindestens ebenso wichtig aber – und in organisatorischer Perspektive vielleicht noch wichtiger – sind die Strukturen und Impulse des beruflichen und privaten Umfelds („externe“ Vorgänge). Was bedeutet das für unser Leistungsstreben und unseren Umgang mit Druck bzw. Stress?

Personalkonzepte für die Zukunft

Mehr zum Thema Personalmanagement und -führung lesen Sie im HR-Channel von buchreport und Channel-Partner Bommersheim Consulting. Hier mehr…

Alle Mitglieder einer Organisation – Inhaber, Vorgesetzte, MitarbeiterInnen, Teammitglieder, Zulieferer und Kunden usw. – befinden sich in wechselseitigen und abhängigen Beziehungen. Sie ergeben ein Geflecht komplexer dynamischer Systeme, die sich gegenseitig beeinflussen. Im „gesunden“ Zustand führt diese Dynamik zu hoher Leistung und zur zufriedenstellenden Wertschöpfung. Erkranken aber Teile der Organisation, erkrankt mit ihnen die Organisation. Sie ist insgesamt geschwächt und in der Gesamtleistung eingeschränkt. Die „kranken“ Menschen zeigen als „Symptomträger“ die Erkrankung des gesamten Systems an.

Stress ist gut! Ist Stress gut?

Stress ist ein sehr altes, archaisches Muster. Es wirkt bei einzelnen Menschen genauso wie in Gemeinschaften, wozu auch Organisationen zählen. Der evolutionäre Sinn von Stress ist, schwierige Situationen mit punktuell starkem Fokus und maximalen Kräften bewältigen zu können. Kurze Stressphasen führen deshalb mitunter zu ungeahnten Leistungssprüngen.

Stress ist also gut. Allerdings nicht immer. Wenn Menschen und Organisationen über längere Zeit Stressdynamiken ausgesetzt sind, wirkt Stress auf vielen psychischen und physischen Ebenen ungut: Der konzentrierte Tunnelblick schränkt den Horizont und die Kreativität ein, mentale wie körperliche Kräfte werden über Maßen an falschen Stellen verausgabt ohne sich wiederaufbauen zu können usw.

Die Folge ist ein zunächst schleichender, im weiteren Verlauf immer schneller werdender Leistungsabfall: Situationen werden verzerrt wahrgenommen, Entscheidungen schlechter getroffen, das Einfühlungsvermögen sinkt, der Aggressionspegel steigt, Konflikte häufen sich, Zeit und Energie verpuffen unproduktiv, die Fähigkeit zur Erholung geht verloren. Die Folge ist oft der Ausfall Einzelner. Die dadurch entstehenden Leistungslücken werden vom Team aufgefangen, was die allgemeine Stressspirale im Unternehmen noch mehr antreibt. Es kommt zu vermehrten Ausfällen usw. Im schlimmsten Falle droht so der Burnout des gesamten Teams.

Dies erklärt, warum Stress und Stresserkrankungen „ansteckend“ sind. Beides kann schnell um sich greifen, und oft genug geschieht dies auch. Für alle Beteiligten ist das unangenehm. (Für Einzelne manchmal lebensgefährlich.) Und für Unternehmen ist es: sehr teuer.

Das hängt mit den akut auftretenden Ausfallkosten zusammen. Vor allem aber bleiben Firmen auf längere Sicht weit unter ihrem eigentlichen Leistungsniveau. Viele Firmen, Führungskräfte, Personaler und auch KollegInnen spüren das intuitiv. Also werden sie schnell aktiv, zum Beispiel indem sie stressanfälligen oder stresserkrankten MitarbeiterInnen entweder andere Aufgaben übertragen oder ihnen ermöglichen, die Posten oder Abteilungen zu wechseln. Meist weiß man sich auch schlicht nicht anders zu helfen, als die „erkrankten“ Menschen „im gegenseitigen Einvernehmen“ zu isolieren und dann zu ersetzen.

Lokale Maßnahmen dieser Art scheinen naheliegend, sie verzögern aber echte Lösungen für das veritable Leistungsproblem, weil man die wahren Ursachen nicht angeht. Gleichzeitig verschärfen sie es – zum noch größeren Leidwesen der gesamten Belegschaft, ihrer Motivation und vor allem: des Profits.

Stressbewältigung als organisatorische Aufgabe

Hilfreicher ist deshalb, Stresssymptome auch organisatorisch als das zu betrachten, was sie sind: mittel- bis langfristig leistungsmindernde Situationen, die durch das Zusammentreffen ungünstiger, meist unreflektiert zwanghafter Umstände und vor allem durch gestörte Wechselbeziehungen innerhalb der Organisation verursacht werden.

Stress und seine Folgen resultieren nie aus nur einer einzelnen Ursache, also zum Beispiel allein dem/der Erkrankten, dem Verhalten einer bestimmten Führungskraft oder einem spezifischen Teamprozess.

Überforderung im Team zu bewältigen, kann zum Startpunkt für Unternehmenserfolg werden. Foto: Pixabay

Überforderung im Team zu bewältigen, kann zum Startpunkt für Unternehmenserfolg werden. Foto: Pixabay

Soll also die gesamte Organisation möglichst schnell wieder maximal leistungsfähig werden, eine weitere Ausbreitung unguter Entwicklungen verhindert („Musterwiederholung“) und zukünftig eine „Wiederansteckung“ verhindert werden, sind alle (!) Ursachen für den „Infekt“ zu suchen und anzugehen. Und zwar an verschiedenen Stellen im gesamten System.

Tabus brechen – gemeinsam und wertschätzend

Dazu ist zunächst eine gute Analyse der Situation nötig. Gut bedeutet, alle Beteiligten möglichst wertschätzend und wohlwollend mit einzubeziehen und ehrlich miteinander umzugehen. Erfahrungsgemäß sind Leistungs- und Stressthemen und insbesondere Burnout bei Betroffenen, Geschäftsführungen, Führungskräften, Personalabteilungen, Teammitgliedern, Betriebsräten etc. angstbesetzt, tabuisiert und hoch emotional. (Schließlich leben wir in einer Leistungsgesellschaft, in der Schwächen zu zeigen nicht besonders hoch im Kurs steht.)

Deshalb sind die Menschen einer Organisation selten in der Lage, eigenständig den Lösungsprozess erfolgreich anzugehen und anzuleiten. Eine kompetente externe Begleitung ist dafür also sehr ratsam. Und so könnte die gemeinsame Route aussehen:

  1. Anfangs ist besonders wichtig, zu klären, ob betroffene Mitarbeiter „nur“ auf dem Weg sind, auszubrennen oder ob sie bereits erkrankt sind (zum Beispiel an einer Erschöpfungsdepression). Dies tut ein (Fach-) Arzt.
  2. Gleichzeitig ist die Situation im erweiterten beruflichen Umfeld des Erkrankten gründlich zu analysieren: Wie ist die Arbeitssituation? Welche Konflikte bestehen wo, mit wem und weshalb? Gibt es individuelle oder allgemeine Überlastungssituationen und wie sind sie gestaltet? (Ebenso wichtig ist natürlich, das private Umfeld zu beleuchten. Das aber ist Privatsache und insofern dem Einzelnen vorbehalten, zum Beispiel in einer Therapie.)
  3. Nach der Analyse wird idealerweise im Einvernehmen mit den direkt Betroffenen darüber entschieden, was auf der individuellen und der organisatorischen Ebene geschieht:
    – Für den Einzelnen bedeutet das in akuten Fällen oft, dass er zunächst die Möglichkeit und die nötige Zeit erhält, aus einer angespannten Stresssituation herauszukommen und gesund zu werden.
    – Erst danach macht es Sinn, sich weiteren Fragen zur konkreten Arbeitssituation zuzuwenden und ggf. Teamstrukturen, -ziele und -umgangsformen zu verändern, den Arbeitsplatz umzugestalten, die Selbstmanagement-Kompetenzen Betroffener verbessern zu helfen oder gar generelle berufliche Perspektiven zu wechseln.
  4. Gleichzeitig und am besten sofort sind auf organisatorischer Ebene die Strukturen so zu verändern, dass sie für das gesamte Team wieder eine stabile Basis für (Höchst-)Leistungen abgeben. Denn auch andere Teammitglieder könnten sich inzwischen an den allgemeinen Umständen aufreiben und in einem Stresstunnel sein. Dazu gehören prophylaktische und präventive Maßnahmen für das gesamte Team inklusive Führungsmannschaft, ggf. Personaler und Geschäftsführung: Aufklärung über (organisatorischen) Stress, seine Auswirkungen und einen guten zielgerichteten, leistungsorientierten Umgang mit ihm.

Es liegt nahe, dass diese Maßnahmen einen nachhaltigen Effekt nur haben und zu einer echten Verbesserung beitragen, wenn sie für alle Beteiligten authentisch und annehmbar sind. Die Suche nach den geeigneten Maßnahmen kann mitunter ein längerer und auch konfliktreicher Prozess sein. Dieser zahlt sich dadurch aus, dass Organisationen gestärkt, leistungsfähiger und zufriedener aus ihm hervorgehen.

Sind Sie, Ihr Team, Ihre Abteilung oder gar Ihre Firma also gestresst? Dann gehen Sie das Problem sofort an! Beginnen Sie damit, wieder gesund und leistungsfähig zu werden! Das wird Ihre Zufriedenheit, Ihren Arbeitsplatz und Ihren Profit auf lange Sicht sichern.

 

Über Edgar Rodehack

Edgar Rodehack ist Organisationsberater, Teamentwickler, Coach und Projektleiter. Ausbildung im Einzelhandel, danach geisteswissenschaftliches Studium und gleichzeitiger Einstieg in die Verlagsbranche als Redakteur. Studienabschluss und Auslandsaufenthalt in Dublin/Irland mit internationaler Vertriebs- und Projekt-Erfahrung in der IT-Branche. Rückkehr nach Deutschland und Wiedereinstieg in die Verlagsbranche. Dort in zwölf Jahren mehrere vertriebs-, service- und IT-nahe Positionen: Projektleiter, Key Account Manager, Abteilungsleiter. Seit 2013 branchenübergreifend freiberuflich aktiv.

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