In der Serie „Mein Schreibtisch“ stellen uns Autorinnen und Autoren ihre Arbeitsplätze vor. Diesmal zeigt Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt ihren Schreibtisch.
Es gibt ein Foto von mir, wie ich, mit Wintermütze auf dem Kopf, dick eingemummelt auf einem Kartoffelacker sitze, im Schneidersitz das Macbook auf dem Schoß, im Hintergrund die spielenden Kinder. Manche meiner Kollegen haben einen bestimmten Ort, eine bestimmte Atmosphäre zum Schreiben und ich beneide sie darum – als alleinerziehende Mutter war ich jahrelang dankbar, wenn ich überhaupt schreiben durfte.
Und so sind meine Bücher schon überall entstanden – auf Bahnhöfen, in Hotels, in Cafés und im Zoo während der Affenfütterung. Ich schrieb, bis die Nudeln fertig gekocht hatten oder nachts, in den stillen, dunklen Stunden, bevor die Kinder aufwachten. Jetzt sind meine beiden fast im Teenageralter, ich habe eine neue Familie gegründet mit der Liebe meines Lebens und habe in den letzten Jahren einen ruhigeren Schreibrhythmus gefunden.
Derzeit steht der Rechner, auf dem ich arbeite, auf einem alten, kanarischen Holztisch in einem kleinen Fischerhaus am Atlantik. Es ist sicher der schönste Ort, an dem ich je geschrieben habe. Meine Familie und ich sind Anfang 2021 nach Teneriffa gezogen. Zu groß wurde in uns allen die Sehnsucht nach dem Ozean, frischem Obst und dem Geschrei der Möwen. Ein Traum ging in Erfüllung – jetzt schreibe ich mit Blick auf türkisblaues Wasser, vor mir der Horizont, dahinter Tausende Seemeilen entfernt die Karibik.
Ich habe ausgerechnet, dass ich im Jahr etwa eine Million Anschläge auf meiner Tastatur schreibe. Was ich dafür auf meinem Schreibtisch dringend brauche, ist das richtige Equipment. Ich hasse langsame Software und würde niemals in MS Word schreiben, sondern nutze immer das Autoren-Tool Scrivener. Ich liebe Apple-Rechner. Ihre ruhige, coole Präsenz hilft mir, mich zu konzentrieren. Ich brauche außerdem eine Tastatur mit einem Anschlag, der meine Fingerkuppen glücklich macht. Schnell muss sie sein. Präzise. Mit einem leichten Druckpunkt und einem angenehmen Klicklaut für jedes Zeichen. Ich schreibe im Zehn-Finger-System über 200 Anschläge pro Minute; eine Tastatur oder Software, die da Schluckauf kriegen, treiben mich zur Verzweiflung. Ich habe nicht viel Zeit, gleich kommen die Kinder nach Hause, !venga, venga!
Man erzählt sich, manche Autoren sitzen an ihrem Schreibtisch und haben Schreibblockaden. Mein Glück: Ich kann immer schreiben, ich brauche keine Anlaufzeit. Ich setze mich an den Rechner, öffne mein Dokument und lege los. Es ist wie … Sie wissen schon … – das Buch und ich, wir werden eins, wir tanzen für diesen einen Moment und hinterher bin ich ausgeglichen und glücklich.
Wenn ich schreibe, muss der Schreibtisch so leer sein wie nur möglich. Haben sich Papierstapel gebildet, werden sie ohne zu Zögern hinter mich geräumt, damit sie wenigstens aus dem Blickfeld sind. Keine besonders kluge Angewohnheit, denn was dort erst einmal liegt, wird erst wieder herausgekramt, wenn ein Mahnbescheid kommt oder der verärgerte Absender vor der Tür steht. Nun – manchmal muss man Prioritäten setzen.
Auf meinem Schreibtisch steht immer Wasser. Ich trinke literweise einfaches Leitungswasser, als würden so meine Gedanken besser fließen. Was gäbe ich darum, jetzt anschließen zu können, dass ich dazu Möhren knabbere – tu ich aber nicht. Stattdessen futtere ich ungehemmt kurzkettige Kohlenhydrate, was immer die Küche hergibt: Honigbrote, Toast, die Reste vom Morgenmüsli der Kinder …
Warum schreibe ich? Um zu überleben. Ich habe schon als Kind geschrieben, mit sechs habe ich meine ersten Gedichte einer braunen Ponystute gewidmet. Der gute Rilke sagt: „Fragen Sie sich, ob sie sterben müssten, wenn es ihnen versagt wäre, zu schreiben.“ Ja, lieber Rainer Maria, das müsste ich.
Mein Scchreibtisch – im buchreport.magazin 05/2021
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Nicola Schmidt
Mit der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2008 rückte für die Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt, die zuvor für Fachzeitschriften über IT-Sicherheit schrieb, das Thema kindliche Entwicklung auf den Plan. Mit dem Rüstzeug umfassender wissenschaftlicher Studien und der eigenen Erfahrung vom Erfolg der Einfachheit in der Erziehung hat sie ihre Erkenntnisse in dem Ratgeber „artgerecht“ (Kösel) zusammengefasst. Der Bestseller hat sich mittlerweile zum Standardwerk entwickelt und wird besonders von Hebammen empfohlen. Neben ihrer Arbeit als Autorin bietet Schmidt Vorträge und Seminare für pädagogisches Fachpersonal an sowie Aus- und Fortbildungen im Zuge des von ihr gegründeten artgerecht-projekts. Angeboten werden u.a. Familiencamps in der Wildnis. In ihrem aktuellen Buch „Elternkompass“ stellt sie die wissenschaftliche Grundlage ihrer Arbeit vor. Das Buch ist ebenfalls wie der Bestseller „Erziehen ohne Schimpfen“ bei Gräfe und Unzer erschienen.
Bestseller
Titel (erschienen) bester Platz (Dauer* )
Der Elternkompass (12/2020) 41 (3)
Erziehen ohne Schimpfen (8/2019) 1 (18)
Geschwister als Team (10/2018) 6 (3)
artgerecht. Das andere Baby-Buch (11/2015) 11 (15)
Jahre aus Seide (12/2018) 22 (9)
* Verweildauer in Wochen auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten Hardcover Sachbuch,
SPIEGEL Ratgeber Leben & Gesundheit, Erziehung & Pädagogik
Quelle: buchreport
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