Die Buchbranche hat in Internetforen keinen leichten Stand. Das Ansinnen, weiterhin mit aufbereiteten Inhalten Geld zu verdienen, Urheberrechte hoch und Kopiererei klein zu halten, wird gern als wenig tauglicher Versuch disqualifiziert, Geschäftsmodelle aus der Papier- und haptischen Produktwelt ins Digitale zu retten.
Ein aktuelles spezielleres Beispiel nicht geglückter Kommunikation ist die „Schultrojaner“-Affäre. Die unaufgeregte Kurzversion der Geschichte: Der Staat schließt mit Schulbuchverlagen einen Vertrag über die Vervielfältigung aus urheberrechtlich geschützten Werken für den Unterricht. Er verpflichtet sich auch, dafür Sorge zu tragen, dass sich Schulen an Vertrag und einschlägige Gesetze halten, namentlich keine ungenehmigten Digitalisate herzustellen und zu nutzen. Das Einhalten entsprechender Dienstanweisungen sollen die Schulbehörden auch in Stichproben auf Schulservern kontrollieren und damit die Behörden das können, soll der Schulbuchverleger-Verband VdS auf seine Kosten Daten aus Schulbüchern zum Abgleich und eine „Plagiatssoftware“ zur Verfügung stellen…
Das kann man als zu aufwendig, wenig praktikabel oder auch politisch fragwürdig diskutieren. Die Skandalisierung und Mobilisierung ist dem Blogger auf Netzpolitik.org (obwohl er es als Internetexperte besser weiß) mit der Etikettierung als „Schultrojaner“ gelungen. Das eröffnet die Themenkarriere im Web, in der die Verlage schließlich selbst zu Durchsuchern werden: „Die Bundesländer haben verschiedenen Verlagen und Verwertern von Urheberrechen offiziell gestattet, die Computer an deutschen Schulen daraufhin zu untersuchen, ob sich auf ihnen illegale Kopien befinden“, schreibt etwa „Zeit Online“. Auch Netzpolitik.org dreht das weiter und verbreitet die Vorstellung, dass „private Ermittler mit eigener Software Razzien auf Schulrechnern“ durchführen. Eine andere Diskussionslinie entwickelt aus dem Verbot einer ungenehmigten Digitalisierung analoger Unterrichtsmaterialien den Verdacht, die Verlage wollten erreichen, dass die Schulen „weiter brav im analogen Zeitalter verharren sollen und die Verlage ihre obsoleten Gechäftspolitiken weiter verfolgen dürfen“.
In den angehängten Foren und Netzwerken wird dies munter auch ins Grundsätzliche weitergesponnen, einschließlich Verstaatlichung der Lehr- und Lernmittelproduktion, Kritik am „restriktiven“ Urheberrecht und Häme über eine „fortschrittsfeindliche“ Branche.
Man muss sicher nicht alles ernst nehmen, was im Netz abgesondert wird. Das Grundproblem ist aber unabhängig von der Qualität der Diskussion: Was auch immer den Branchenvertretern argumentativ einfallen könnte, sie stecken in der Defensive und kommen über Versuche der Image-Schadensbegrenzung nicht hinaus. Die eigenen Wahrheiten, Konzepte und Kalkulationen sind (nicht nur im Schulbuchsegment) vergleichsweise komplex und schwer vermittelbar.
Dass es „nur“ eine Frage der schwierigen Vermittelbarkeit ist, lautet die Hoffnung, die Befürchtung schwingt mit, dass auch einige Antworten fehlen.
Thomas Wilking ist Chefredakteur von buchreport.
Lieber Herr Mulzer,
Blogs und die vielen Kommentare in den zahlreichen Online-Foren sind interessant, gerade bei festgefahrenen Themen ausgesprochen anregend und in ihrer Meinungsfreude oft erfrischend, wer wollte das bestreiten? Gerade deshalb wundert mich die Empfindlichkeit auf die Anmerkung, dass „nicht alles“ Gold ist und manches Dampfablassen niemanden weiterbringt, sondern im Grunde blockiert. Das diskreditiert die vielen anderen Beiträge ebensowenig wie die Blogkultur.
Ein Redakteur als Absender eines Blogs darf nicht flapsig sein, sondern soll was?
Die inhaltlichen Aspekte, die Sie zum Thema Schulbuch antippen, deuten die Herausforderung und Komplexität an, die Zwänge und das Irrenhaus-Gefühl im Bildungssystem. Wo sind die frischen Gedanken, die sich nicht nur mit der Handhabung von Schulbuchkopien aufhalten?
Lieber Herr Wilking,
„Man muss sicher nicht alles ernst nehmen, was im Netz abgesondert wird.“
„In den angehängten Foren und Netzwerken wird dies munter auch ins Grundsätzliche weitergesponnen“
Ein Redakteur, dessen Dienst über weite Strecken einem Blog – sympathischerweise – ähnlich sieht, sollte vorsichtig umgehen mit flapsigen Bemerkungen über Blogger und die Blogkultur. Seit ich das Netz in Sachen Buch-, Verlags- und Bibliothekswesen nach Informationen systematisch abgrase, kann ich die angeblich so ausgewogenen, unter Mithilfe diverser Syndici, Zensoren und Werbestrategen abgefaßten offiziellen Webseiten nicht mehr ausstehen. Wer nach frischen Gedanken sucht, wer echte Informationen braucht, der hechtet von Blog zu Blog wie der Kamelreiter in der Wüste.
Schulbücher – ein dankbares Thema! Das Urheberrecht, Zweitnutzung, staatliche Finanzierung, windige Neubearbeitungen, die (meist unglückliche) Rolle des Buchhandels, die schrecklichen Verwicklungen der Kultusministerien, das Problem der Unterrichtskopien, was für ein schönes Feld für Heuchelei, Schönfärberei, aber auch für ehrliche Auseinandersetzung und berechtigten Zorn.
Das alles ist die ideale Domaine der Blogs. Ich wünsche mir noch viel mehr solche Foren- und Bloginstrumente – aber keine Redakteure, die dieses Feld bespötteln und herunterspielen. Dort gibt es noch ehrliche, ungefilterte Meinungen und eine Vielzahl von Detailfakten, die sonst im Panzerschrank der Beteiligten verwahrt blieben.
Soso, Google schnüffelt also nicht und ist transparent und ehrlich?
Google doch mal „Datenkrake“. Findet sich bestimmt das eine oder andere Posting. So berechtigt manche Kritik am Verhalten der Buchbranche ist: wer andere aufwecken möchte, sollte sicher sein, dass er selbst wach ist…
Ich finde es skandalös, dass die Buchbranche massiv die Bildung behindern will, nur weil sie es in 20 Jahren Internet in Deutschland nicht geschafft hat, appropriate Geschäftsmodelle zu finden. Die Behauptung, es ginge darum Geschäfte zu verhindern, ist grober Unsinn. Google macht Milliardenumsätze, aber eben nicht mit staatlicher Zwangshilfe und Beschnüffelung von Bürgern auf rechtlich anrüchige Weise, sondern offen und ehrlich. Die Buchbranche hat 20 Jahre Zeit gehabt, sich appropriate Geschäftsmodelle auszudenken, wie alle anderen auch. Wenn es misslungen ist und die Bildung weiter so behindert und verhindert werden soll, müssen wir über eine Verstaatlichung der Lehrmittelproduktion nachdenken. Wie bei den Banken, wie bei anderen Marktversagen auch. Wenns nicht geht, gehts nicht. Ein Polizeistaat ist keine Lösung sondern ein abzuschaffendes Problem. Wie bei der Atomenergie. Werdet endlich wach!