„Führung, wo hin gehst Du?“, die Frage stellt sich, wenn man die Diskussionen um die Führung in der Gegenwart und in der Zukunft beobachtet. Eigentlich ist die Frage selbst schon eine Frage der Führung.
Die Führungsdiskussion ist ambivalent, aus Mitarbeitersicht werden …
- … einerseits Eigenverantwortung, Augenhöhe, Entscheidungsfreiheit und Wertschätzung vermisst,
- … andererseits fehlen Entscheidungsstärke, professionelles und zuverlässiges Management, Führungsstärke.
Die Ambivalenz setzt sich aus der Perspektive der Führenden fort, …
- … einerseits wird die steigende Komplexität der anstehenden Aufgaben beklagt, die Kontrolle und damit direkte Steuerung ausschließt. Und darüber hinaus wird die Begrenzung von Ressourcen im Hinblick auf Quantität, Qualität und Zeit beklagt. Komplexität und Knappheit führen zu „alternativlosen Entscheidungen“, die keine Wahl lassen,
- … andererseits besteht weiterhin der Anspruch, richtungsweisende Entscheidungen zu treffen und damit die Zukunft eines Verlages erfolgsversprechend zu gestalten.
Hinzukommt, dass Führung nicht mehr nur als Funktion in einer organisatorischen Einheit betrachtet werden kann. Zwar ist der Unterschied zwischen Aufbau- und Ablauforganisation in der Organisationsentwicklung hinlänglich bekannt, dennoch hat die Komplexität auch hier zugenommen. Mitarbeiter in Verlagen lassen sich nicht mehr ausschließlich als Teil einer Abteilung verstehen, ihr Alltag wird durch abteilungsübergreifende Prozesse, durch unterschiedliche Rollen in unterschiedlichen Projekten sowie durch Zeitdruck und Ressourcenmangel stärker bestimmt, als durch die Steuerung der vorgesetzten Führungskraft. Die Rollen einzelner Personen sind vielfältig und mit unterschiedlichen Gestaltungs- und Handlungsspielräumen verbunden, die von Stunde zu Stunde, von Meeting zu Meeting innerhalb eines Arbeitstages mehrfach wechseln können. Aus der Projektleiterin für „Digitale Geschäftsentwicklung“, die in der Gesellschaftersitzung über die Fortschritte des Projekts berichtet, wird im nächsten Moment die Lektorin, die sich um den Rückseitentext einer Nachauflage kümmern muss.
Vor diesem Hintergrund muss die Rolle von Führung in Verlagsorganisationen reflektiert und überdacht werden. Dabei kommen neue Aufgaben und alte Aufgaben in neuem Gewand ins Bild. Zentrale Aufgabe von Führung bleibt es, Sicherheit zu schaffen, wo Unsicherheit herrscht. Insofern braucht gute Führung auch in Zukunft Gestaltungsspielraum. Darauf legen beispielsweise agile Vorgehensweisen wie Scrum besonderen Wert. Zunächst einmal erscheint Scrum als Projektmanagementmethode, durch die Führung überflüssig wird. Trotz oder wegen der geforderten Agilität strebt Scrum tatsächlich das Gegenteil an, nämlich die Definition von klaren Führungsrollen. In Scrum werden Führungsaufgaben auf das Team, den Scrum-Master und den Project-Owner verteilt, und darüber hinaus werden eindeutige Verfahrensweisen festgelegt. Damit gewinnt die Aufgabe von Führung, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, an Bedeutung. Rahmenbedingungen, die Mitarbeiter, Kollegen und Dienstleister dabei fördern und unterstützen, für (interne und externe) Kunden optimale Ergebnisse zu liefern.
Die vielfältigen, hier nur angerissenen Dimensionen von Führung in Gegenwart und Zukunft zeigen, dass Führung mehr ist und mehr sein wird, als die Aufgabe von Führungskräften im engeren Sinn. Zwei Hypothesen lassen sich festhalten:
1. Mehr als in der Vergangenheit gehört Selbstorganisation, wenn man so will Selbstführung, zu einem umfassenden Verständnis von Führung. Damit ist Führung die Aufgabe aller Mitarbeiter im Verlag, Coaching als zentrales, unterstützendes Instrument zur Begleitung von Veränderungen rückt in den Blickpunkt der Arbeit von Führungskräften und Beratern. Darüber hinaus wird die Fähigkeit zur Selbstreflexion zur wichtigsten Metakompetenz für Personen, Gruppen, Teams und ganze Organisationen. In naher Zukunft könnte sich diese Metakompetenz zum zentralen Einstellungskriterium für Verlage entwickeln, denn durch diese Fähigkeit können Voraussetzungen geschaffen werden, um anstehende Veränderungen zu antizipieren und besser zu verarbeiten.
2. Zweitens: Führungskompetenz der Zukunft ist Kooperationskompetenz, also die Fähigkeit, Zusammenarbeit zu organisieren, voranzutreiben und zu leben. Kooperationskompetenz ist nicht beschränkt auf sogenannte Führungs- und Leitungskräfte, sondern wird von allen Verlagsmitarbeitern verlangt. Dieses auf Zusammenarbeit ausgelegte Verständnis von Führungsaufgaben umfasst Selbstführung, traditionelle Führung in Hierarchien, sogenannte laterale Führung (z.B. in Projektteams oder als Prozessverantwortliche), Führung in internationalen Umfeldern und in virtuellen Teams. Und es bezieht sich auf abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, auf die Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern und Auftraggebern, und letztlich auch auf die Kooperation zwischen Verlagen und ihren Kunden.
Wer sich für die These, dass Führungskompetenz in der Fähigkeit zur Zusammenarbeit mündet und in diesem Sinne jede Rolle im Verlag als Führungsrolle zu verstehen ist, weiterführender interessiert, dem sei das Buch „Zusammenarbeit – Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ von Richard Sennett empfohlen; kein Managementbuch, sondern eine grundlegende Ausarbeitung zum Thema.
Wie sieht die Führungssituation in Ihrem Umfeld aus? – Ein Schnell-Check für Sie
Wir haben elf Aussagen zusammengestellt, anhand derer Sie beurteilen können, wie es um Führung in Ihrem Umfeld bestellt ist. Eine Art Führungs-„Selfie“ der Führungsarbeit und der Führungskräfte („Kräfte“ im wörtlichen Sinn, nicht auf Personen bezogen), die in Ihrem Umfeld wirken. Die Aussagen sind vom Ergebnis her konzipiert und können sich auf jede Rolle im Verlag beziehen. Das Verfahren kennen Sie, es besteht aus zwei Schritten: Reflektieren Sie zunächst bitte über Ihre eigene Situation und entscheiden Sie, wie stark Sie den einzelnen Aussagen zustimmen können. In einem zweiten Schritt bewerten Sie das Gesamtergebnis im Hinblick darauf, welche Stärken, Grenzen und Schwächen sie sehen und welche Veränderungen Sie in der Zusammenarbeit mit anderen bewirken wollen. Wir wünschen in jedem Fall viel Erfolg:
1. Ich weiß, was an meinem Arbeitsplatz erwartet wird. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
2. Ich verfüge über die nötigen Materialien und Arbeitsbedingungen, um meine Arbeit gut und richtig zu machen und um Kundenanforderungen zu erfüllen. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
3. Ich habe bei der Arbeit jeden Tag die Gelegenheit, das zu tun, was ich am besten kann. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
4. Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob erhalten. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
5. Meine Vorgesetzte, mein Vorgesetzter oder meine Kollegen bei der Arbeit schätzen mich als Mensch. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
6. Ich werde in meinem Unternehmen ermutigt, meine Stärken zu entwickeln. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
7. In meinem Arbeitsumfeld hat meine Meinung Gewicht 1 – 2 – 3 – 4 – 5
8. Die Vision und die Unternehmensphilosophie unseres Unternehmens geben mir das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
9. Meine Kollegen fühlen sich verpflichtet und verantwortlich, qualitativ hochwertige Arbeit abzuliefern. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
10. Im letzten halben Jahr hat jemand im Unternehmen mit mir über meine Wirksamkeit und meine Weiterentwicklung gesprochen. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
11. Ich hatte im letzten Jahr in meinem Unternehmen die Gelegenheit, dazuzulernen und mich weiter zu entwickeln. 1 – 2 – 3 – 4 – 5
Die Veränderung von Zusammenarbeit und Führung erhalten in unserer Beratungsarbeit immer größeres Gewicht. Daher sind wir an einem Dialog zu den Themen Zusammenarbeit und Führung stark interessiert. Falls Sie also Fragen, Anmerkungen oder Kommentare haben, freuen wir uns über Ihre Rückmeldungen.
Thorsten Schlaak, thorsten.schlaak@hspartner.de.
Der Beitrag ist zuerst erschienen im monatlichen Newsletter der Heinold, Spiller & Partner Unternehmensberatung GmbH, E-Mail: newsletter@hspartner.de Internet: http://www.hspartner.de/ Blog: http://publishing-business.blogspot.com/
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