Im Lesesaal sollte Ruhe herrschen. Für den Lesesaal (vormals „Reading Room“) der „FAZ“ gilt dieses Gebot jedoch nicht, im Gegenteil, handelt es sich doch um eine multimediale Plattform, die von der Zeitung vor einem Jahr im Zuge des Vorabdrucks von Jonathan Littells Bestseller „Die Wohlgesinnten“ im Internet eingerichtet wurde. Es folgten in kurzen Abständen weitere Foren zu Martin Walsers Roman „Ein liebender Mann“, Jutta Limbachs „Hat Deutsch eine Zukunft?“ und Ulrich Wehlers „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ sowie ein Lesesaal zum Deutschen Buchpreis 2008. Doch seit einem Jahr herrscht Funkstille, von einer „Web 2.0-Leiche“ spricht Literaturcafé.de-Herausgeber Wolfgang Tischer im Mikroblogging-Dienst Twitter: „Der mit viel Tamtam gestartete ‚Lesesaal‘ der FAZ (Grimme-Nominierung!) ist seit einem Jahr verlassen.“
Tatsächlich wurde seither kein neuer Lesesaal eröffnet, auch nicht zu Siegfried Lenz’ Buch „Landesbühne“, das seit 14. September in der Print-Ausgabe vorabgedruckt wird. Kurz nach dem Start des „Reading Rooms“ registrierte die FAZ hohe Klickzahlen, das Forum zu Littell hatte in vier Wochen 1 Mio Seitenabrufe generiert. Von einer guten Resonanz berichtete die verantwortliche Redakteurin Felicitas von Lovenberg im buchreport-Interview (Magazin 05/08).
Aus Kostengründen seien keine neuen Lesesäle mehr gestartet worden, erklärt sie auf Anfrage. „Es gibt aber durchaus neue Entwicklungen“, verweist sie auf die Online-Vorabveröffentlichungen der Bücher von Craig Venter und Ulrich Raulff (eine Idee, die nicht ganz neu ist). Auf eine Fortsetzung des Forums zum Deutschen Buchpreis habe man bewusst verzichtet: „Dort sind so viele Stimmen aus der Branche zu Wort gekommen, dass eine Neuauflage in diesem Jahr nichts gebracht hätte.“
aus: buchreport.express 39/2009
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