Wo entstehen Bücher? Und welchen Routinen folgen Autoren eigentlich beim Schreiben? In der buchreport-Serie „Mein Schreibtisch” gewähren Autoren Einblick in ihre Arbeit.
Dieses Mal: Torsten Rohde, der seine Geschichten rund um die „Online-Omi“ Renate Bergmann im Freien schreibt und sich von allem und jedem um ihn herum inspirieren lässt.
„Die besten Geschichten schreibt das Leben“ – daran glaube ich fest. Deshalb muss ich raus und sie erleben, diese Geschichten. Ich muss sie hören und aufsaugen, um sie dann verdichtet und zugespitzt erzählen zu können. Sehr gern sitze ich, das Laptop auf dem Schoß, bei den Menschen und halte kurze Gesprächsfetzen fest.
Mein Arbeitszimmer ist der Ort für Organisatorisches, für Buchhaltung, Telefonate und Videokonferenzen. Kreativ bin ich draußen, da, wo das Leben pulst. Ich schreibe am liebsten in Cafés oder Parks – pandemiebedingt aktuell fast ausschließlich in Parks. Oft gehe ich mit dem festen Ziel raus, diese eine Geschichte heute aber wirklich endlich mal aufzuschreiben, und lande dann, inspiriert von Gesprächen auf der Nachbarbank, doch wieder woanders.
Ich bewundere Autoren, die den Mut haben, auf den richtigen Moment der Inspiration zu warten. Das funktioniert bei mir nicht. Ich muss mich selbst disziplinieren und konsequent jeden Tag schreiben. Oft ist das Resultat weder gut noch witzig und definitiv nicht druckreif, aber es ist ein Gerüst, auf das ich aufbauen kann. Ein paar Tage später habe ich zu dieser Stelle vielleicht die zündende Idee und es ist viel einfacher, den bereits bestehenden Text aufzupeppen, als ihn komplett neu aufzuschreiben.
Ich arbeite sehr kleinteilig. Meine Figur Renate Bergmann hat ihren Ursprung auf Twitter. Dort habe ich gelernt, mich in 140 Zeichen auszudrücken. In dieser Kürze eine Situation zu schildern, eine Geschichte zu erzählen und auch noch eine Pointe zu setzen, ist eine Herausforderung. Gern nehme ich einen Tweet als Ausgangspunkt. Im Buch habe ich die Chance, diese Ministory auszubauen. Mein Twitterarchiv ist im Grunde genommen meine Stoffsammlung. Ich verarbeite dort live, was ich im Leben beobachte. Es ist sozusagen mein öffentliches Gedächtnis, das sind meine Skizzen und Notizen. Twitter ist für mich das, was für andere ein Diktiergerät ist.
Im Laufe der Jahre habe ich um Renate Bergmann herum ein Figurenensemble entwickelt, das die unterschiedlichsten Charaktere abbildet. Am Anfang der Arbeit an einem Buch steht für mich die Konzeption der Grundstory, um die herum sich dann die Verwicklungen und Einschübe ranken. Je nach Thema rücke ich die Personen ins Rampenlicht, die die Hauptgeschichte am glaubwürdigsten erzählen können. Darum herum flechte ich dann meine kleinen „Binnengeschichten“ ein, die die Thematik ergänzen und illustrieren.
Für diese Arbeit ziehe ich mich in den letzten paar Wochen vor der Deadline komplett zurück. Da sitze ich dann auch nur noch im Arbeitszimmer. In einem Song von Stephen Sondheim heißt es: „The art of making art is putting it together“ – zum Schluss muss aus dem, was ich über Monate an Ideen gesammelt habe und an kleinen Geschichten aufgeschrieben habe, ein großes Ganzes werden. Ich kann deshalb auch nie vorher schon mal ein kleines Stück oder einen Teil zum Lektorieren oder Reinlesen rausgeben, weil bis zur letzten Stunde noch alles im Fluss ist.
Mein Schreibtisch – im buchreport.magazin 10/2020
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Torsten Rohde
Den ersten Tweet setzte der gebürtige Genthiner Torsten Rohde alias Renate Bergmann 2013 ab. Die von ihm erdachte Trümmerfrau und Reichsbahnerin erfreute sich wachsender Beliebtheit im Netz. Bei Rowohlt erschien 2014 das erste Buch der Online-Omi, die seitdem regelmäßiger Gast auf der Bestsellerliste ist. Die letzten beiden Bände sind bei Ullstein erschienen und konnten sich jeweils Rang 1 sichern.
Bestseller | |
Titel | bester Platz* |
Ans Vorzelt kommen Geranien dran (6/2020) | 1 |
Dann bleiben wir eben zu Hause! (5/2020) | 1 |
Die Reste frieren wir ein (10/2019) | 2 |
Das Dach muss vor dem Winter drauf (3/2019) | 3 |
Ich habe gar keine Enkel (10/2018) | 3 |
Ich seh den Baum noch fallen (10/2017) | 10 |
Besser als Bus fahren (7/2017) | 4 |
Das kann man doch noch essen (3/2017) | 16 |
Wir brauchen viel mehr Schafe (10/2016) | 11 |
Kennense noch Blümchenkaffee? (10/2016) | 13 |
Wer erbt, muss auch gießen. (7/2016) | 3 |
Über Topflappen freut sich ja jeder (10/2015) | 7 |
Das bisschen Hüfte, meine Güte (7/2015) | 7 |
Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker (7/2014) | 11 |
* auf der SPIEGEL-Bestsellerliste Taschenbuch BelletristikQuelle: buchreport |
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