Ukraine: Augenzeugen und Experten berichten

Der Krieg in der Ukraine sorgt für Verunsicherung und viele Fragen. Sachbücher liefern Hintergrundwissen und helfen bei der Einordnung. Die Verlage haben zahlreiche Novitäten zum Thema.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bestimmt seit Ende Februar dieses Jahres die Nachrichten und hat in den politischen Talkshows die Corona-Pandemie als dominierendes Thema weitgehend abgelöst. Auch auf dem Buchmarkt spiegelt sich ein großes Informationsbedürfnis wider: Schon Ende März tauchten die ersten Titel zum Thema auf den SPIEGEL-Bestsellerlisten auf. Dabei handelte es sich nicht etwa um Schnellschüsse der Verlage, vielmehr waren es zunächst ältere Publika­tionen, die in aktualisierten Versionen oder als Neuauflagen auf der Taschenbuch-Bestsellerliste des SPIEGEL landeten, wie etwa das erstmals 2017 erschienene Sachbuch „Ungleiche Brüder“ über die Geschichte der beiden Brudervölker von Andreas Kappeler (Rowohlt) oder „Entscheidung in Kiew“, die ukrainischen Städtebilder des Historikers Karl Schlögel aus demselben Jahr (Fischer).

Bekanntermaßen hat der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine langwierige Vorgeschichte, die im Februar 2014 mit der russischen Annexion der unter ukrainischer Hoheit stehenden Halbinsel Krim begann. Unter den vielen Publikationen, die damals in den Jahren nach der Krim-Krise erschienen sind, stammte die mit Abstand meistgekaufte von Gabriele Krone-Schmalz: „Russland verstehen“ hielt sich nach Erscheinen im Februar 2015 bald 2 Jahre auf der Paperback-Bestsellerliste, davon viele Wochen in den Top 10. Mittlerweile gilt sie aufgrund ihrer Positionen aber in den Medien als „Putin-Versteherin“ und C.H. Beck druckt ihre Bestseller nicht mehr nach.

Was Neuerscheinungen betrifft, haben die Verlage in den vergangenen Monaten bereits erste Titel über den Krieg in der Ukraine vorgelegt, die es in die Verkaufsrankings geschafft haben, etwa Aufbau mit dem Paperback „Zeitenwende“ von Rüdiger von Fritsch, dem ehemaligen Botschafter in Moskau. Die große Welle an Novitäten rollt jedoch in der zweiten Jahreshälfte an. Für einen ersten Überblick lassen sich unterschiedliche Themengebiete ausmachen.

So unternehmen mehrere Titel eine Analyse des Krieges insbesondere mit Blick auf die Folgen für Deutschland und den Westen insgesamt:

• Sabine Adler beschäftigt sich in „Die Ukraine und wir“ (Ch. Links) mit der Rolle Deutschlands im aktuellen Krieg und konstatiert in ihrer Bilanz politische Versäumnisse und „verlogenen Pazifismus“.
• Constanze Stelzenmüller analysiert in „Die freie Welt und ihre Feinde“ (C.H. Beck), was Putins Krieg für Deutschland und Europa bedeutet, und wie sich die westlichen Demokratien gegen autokra­tische Mächte verteidigen können.
• Ebenfalls bei C.H. Beck in der Reihe „Wissen“ erklärt Gwendolyn Sasse mit „Der Krieg gegen die Ukraine“ die Hintergründe und Folgen des Konflikts.

Eine Reihe von Autoren setzt sich jeweils mit der Geschichte von Russland und der Ukraine auseinander, darunter zwei renommierte Historiker:

• „Das Tor Europas“ des Harvard-Professors Serhii Plokhy ist nach Meinung des „Wall Street Journal“ das Standardwerk zur Geschichte der Ukraine. Hoffmann und Campe will die deutsche Ausgabe bis zur Drucklegung im September im Austausch mit dem Autor aktuell halten.
• Der britische Historiker Orlando Figes liefert in „Eine Geschichte Russlands“ (Klett-Cotta) eine Gesamtschau des Landes von den Anfängen bis zum Ukraine-Krieg.

Gleich mehrere Biografien befassen sich mit den politischen Hauptprotagonisten:

• Hanser hat „Selenskyj“ im Programm, die erste Biografie über den ukrainischen Staatspräsidenten, eine Übersetzung des 2020 erstmals veröffentlichten Buches des ukrainischen Journalisten Sergii Rudenko.
• Der Europa Verlag bringt knapp 3 Wochen zuvor das Buch des polnischen Journalisten Wojciech Rogacin und bewirbt es als „erste umfassende Biografie von Wolodymyr Selenskyj auf Deutsch“ (wobei der Schweizer Kleinverlag Edition Gai Saber noch schneller war).
• Eine weitere Selenskyj-Biographie von den Journalisten Steven Derix und Marina Shelkunova erscheint bei Edel Books.
• Über den rücksichtlosen Aufstieg Wladimir Putins berichtet der Investigativ-Journalist John Sweeney in seinem Psychogramm „Der Killer im Kreml“ (Heyne) auf Grund­lage von Vor-Ort-Recherchen in Moskau und der Ukraine während des Krieges.
• Robert Misik zeichnet mit „Putin. Ein Verhängnis“ (Picus) das Charakterbild eines rücksichtslosen Despoten.

Nach Sergej Gerassimow („Feuerpanorama“, dtv) und Christoph Brumme („Im Schatten des Krieges“, Hirzel) schildern weitere Augenzeugen ihre Eindrücke:

• Der ukrainische Bestseller-Autor Andrej Kurkow veröffentlicht mit „Die Vermessung des Krieges“ (Haymon) seine Aufzeichnungen aus der Ukraine im Krieg.
• In ihrem „Charkow-Tagebuch“ (Jacoby & Stuart) beschreibt die in der Ukraine geborene Illustratorin Olga Grebennik ihre Kriegserlebnisse, ergänzt durch Skizzen.

Till Spielmann

Bücher zum Ukraine-Krieg