„Hat der Börsenverein den Knall nicht gehört?“ Das fragt Herbert Ullmann, Gesellschafter der Verlage Ullmann Medien, h.f. ullmann publishing, EditionNova und Vista Point, in einem Gastbeitrag fürs Feuilleton der „FAZ“ (2.12., S. 13). Angesichts des schrumpfenden Marktes und der nachwachsenden Generationen, die fürs Lesen verlorenzugehen scheine, gehe der Börsenverein „seit Jahren schon tief schlafend über Sachverhalte und Zahlen hinweg“.
Ullmann ärgert sich offenbar über das Naserümpfen in der Branche angesichts der aktuellen Verkaufsaktion von Taschenbuch-Bestsellern bei Aldi Süd, den seine Edition Nova lanciert hat (was die „FAZ“ nicht transparent macht) und fragt, ob es für den Verband reiche, „Amazon, das Internet, die digitale Welt allgemein und andere stationäre Nicht-Buchhändler zu verteufeln, die erfreulicherweise auch Bücher an anderen Orten verkaufen?“
Einmal in Fahrt, fragt Ullmann, was der Börsenverein „mit dem vielen Geld“ mache. Helfen die Mitgliederbeiträge nur, „geliebte Relikte und überholte Veranstaltungen am Leben zu erhalten?“ Ullmann plädiert für eine „sichtbare Image-Werbung für das Buch“ namentlich im Weihnachtsgeschäft.
„Statt Amazon zu verteufeln, sollte der stationäre Einzelhandel den Online-Handel als eine Transformation betrachten, die nicht nur vor Jahren schon begonnen hat, sondern der nur mit Service und alternativen Leistungen und kundenorientierten Maßnahmen begegnet werden kann.“ Es liege auch am stationären Buchhandel, mit gezielter und persönlicher Serviceinnovation nachzuziehen.
Und „andere Vertriebsformen“ könnten helfen, auch gerade der Discount. Deshalb betrachte er die Aldi-Aktion als „Beitrag zur Leseförderung“. Die Diskussion, wo Bücher verkauft werden, müsse beendet werden.
Herbert Ullmann hat mittlerweile seinen Originaltext zur Branchendiskussion übermittelt (s. Dokumentation im Kasten).
Bücher sind wichtige Mittel des Lebens („Lebensmittel“) – wie lange noch? Ein Appell
Von Herbert Ullmann
Der Markt für Bücher schrumpft, die nachwachsenden Generationen scheinen fürs Lesen verloren zu gehen und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels geht seit Jahren schon tief schlafend über Sachverhalte und Zahlen hinweg. Leider ist nämlich Fakt, dass derjenige, der nicht liest, heutzutage keineswegs in der Gesellschaft out ist. Wo sind die Antworten unseres Verbandes auf die Frage, wie das positive Image, ein Leser zu sein, zurückgewonnen werden kann?
Glaubt man in Frankfurt, es reicht, nur die Gegner und Probleme zu benennen? Amazon, das Internet, die digitale Welt allgemein und andere stationäre Nicht-Buchhändler zu verteufeln, die erfreulicherweise auch Bücher an anderen Orten verkaufen? Was macht eigentlich der Börsenverein mit dem vielen Geld, den Millionen Euro Mitgliederbeiträgen? Subventioniert er damit eine in die Jahre gekommene Verbands- und Werbezeitschrift? Oder helfen die Mitgliederbeiträge des Börsenvereins nur, geliebte Relikte und überholte Veranstaltungen am Leben zu erhalten? Was hat der einzelne Buchhändler vor Ort von alldem?
Hat der Börsenverein den Online-Knall noch nicht gehört, während bei anderen schon das Echo angekommen ist? Der Verband macht intern zwar manches, aber die wirklichen Probleme werden leider nicht angegangen: Der unaufhaltsame Leserschwund und die vergebenen Marketingchancen fürs Buch im Weihnachtsgeschäft zum Beispiel. Aktive Buch- und Leseförderung sieht anders aus. Denn dem Börsenverein stände es gut zu Gesicht, wenn er den größten Anteil seiner Mitgliederbeiträge in sichtbare Image- Werbung für das Buch einsetzte. Und das zumindest solange, bis der Leserrückgang gestoppt worden ist und sich die jetzige Entwicklung umgekehrt hat.
Anders als der Börsenverein, der nicht viel in Marktforschung investiert, gibt Amazon jährlich siebzehn Milliarden Dollar dafür aus. Das kommt Amazon auch beim Verkauf von Büchern definitiv zu Gute. Die marktbeherrschende Stellung von Amazon ist nicht dadurch entstanden, weil die Firma auch Bücher online anbietet und verkauft, sondern weil sie es geschafft hat, mit ihrer hohen Service-Qualität und Kundenorientierung eine große Zahl von Buchkäufern für sich zu begeistern. Mehr denn je legen Kunden Wert darauf, das Buch bequem, schnell und unkompliziert zu bekommen, als es vor dem Kauf im Laden studieren zu können.
Statt Amazon zu verteufeln, sollte der stationäre Einzelhandel den Online-Handel als eine Transformation betrachten, die nicht nur vor Jahren schon begonnen hat, sondern der nur mit Service und alternativen Leistungen und kundenorientierten Maßnahmen begegnet werden kann. Das Buch bietet dazu viel Spielraum. Das wachsende Service-Bedürfnis und ehrlicherweise auch die bei uns allen festzustellende Bequemlichkeit sind nicht mehr wegzudenken. Es liegt auch am stationären Buchhandel, mit gezielter und persönlicher Service-Innovation nachzuziehen.
Denn aus der Gesamtsicht unserer Branche ist jedes stationär verkaufte Buch ein gutes Buch, jedes befördert im Idealfall den Kauf des nächsten – und der sollte beim Buchhändler stattfinden. Aber auch andere Vertriebsformen können helfen, uneingeschränkt auch der Discount. Denn der Kunde „begreift“ nur stationär das Buch, er fühlt es, bringt es selbst zur Kasse und er trägt es auch noch nach Hause. Ein haptisches und körperliches Erlebnis mit dem Buch, bleibender und wirkungsvoller als jeder Online-Kauf. Nicht zuletzt deshalb betrachten wir die von uns initiierte und seit Ende November laufende Verkaufsaktion bei Aldi Süd mit preisgebundenen Spiegel-Bestseller-Taschenbüchern als Beitrag zur Leseförderung.
Aufgrund der abgewanderten Buchkäufer und Leser seit 2013 – bis heute sind etwa sieben Millionen Kunden verloren gegangen – tickt die Uhr. Die Zeiten gegenseitiger Vorwürfe und unberechtigter, teils überhöhter Ansprüche – wer muss, wer ist legitimiert, von wem überhaupt, Bücher zu verkaufen – muss unverzüglich im Interesse der gesamten Branche beendet werden. Besonders besorgniserregend ist das Abwandern der jungen Generationen. Lediglich die ältere Käufergruppe schrumpft nicht beim Buch. Die Altersgruppen zwischen zwanzig und neunundvierzig Jahren haben das Buch leider in Teilen bereits aufgegeben.
Ein besonderes Versagen des Börsenvereins ist in dieser Jahreszeit leider wieder ganz aktuell zu besichtigen. Nachweislich sind November und Dezember die umsatzstärksten Monate der gesamten Buch-Branche, denn Bücher waren, sind und bleiben noch Geschenke. Das Wort „noch“ sagt im Grunde alles. Die renommierte und sich im Familienbesitz befindliche Buchhandelskette Hugendubel wirbt lobenswerter Weise zwar während einer beliebten morgendlichen ARD-/ZDF-Sendung auch wieder in diesen Tagen für Bücher, ist aber leider nicht flächendeckend im Bundesgebiet vertreten. Warum werden Millionen Euro Mitgliederbeiträge des Börsenvereins nicht dort komprimiert sinnvoll eingesetzt und investiert? Ist es nicht unsere gemeinsame Aufgabe, die wir mit Papier und geistigen Inhalten zu tun haben, dem Buch wieder seinen berechtigten Stellenwert zurückzugeben, bevor es ihn komplett verliert und sich verflüchtigt mangels Pflege? Im Privaten, im Freundeskreis, im Verein, auf dem Schulhof und vor allem in der Familie, denn die kauft eben im Alltag Lebensmittel – nicht zuletzt beim Discounter, also dort, wo jetzt die preisgebundenen Taschenbücher liegen und aktive Werbung für das Buch betreiben können.
Der Autor ist Gesellschafter der Verlage Ullmann Medien, h.f.ullmann publishing, EditionNova und Vista Point
Kommentar hinterlassen zu "Ullmann attackiert den Börsenverein"