In den aktuellen Herbst-Programmen finden sich zahlreiche Romandebüts deutschsprachiger Autorinnen und Autoren. buchreport stellt 14 dieser Newcomer in Steckbriefen vor. Heute: Ulrike Almut Sandig.
Mein Roman in drei Sätzen
Ruth ist die Tochter eines Pfarrers, Viktors Vater ist bei der NVA, beide erleben zu Hause Gewalt und Missbrauch. Weder die zusammenbrechende DDR noch das längst vereinte Deutschland bieten ihnen Schutz vor ihrer Vergangenheit. Für mich ist „Monster wie wir“ eine Untersuchung mit den Mitteln der Fiktion: Kann Gewalt uns wirklich nicht retten? Wie kommt man da heil wieder raus? Und vor allem, wie rettet man einander?
Mein Weg zu Schöffling & Co.
„Monster wie wir“ ist mein siebenter Titel mit Schöffling & Co., eine glückliche Zahl! Vor gut einem Jahrzehnt bin ich dort mit meinem Prosadebüt „Flamingos“ angekommen. Seitdem habe ich Erzählbände, Gedichtbände und sogar musikalische Alben da herausgebracht. Hier mit verschiedenen Genres willkommen zu sein, schafft eine echte Bindung ans Haus.
Das Verdienst meiner Lektorin
Als ich 2012 den Nukleus für „Monster wie wir“ schrieb, musste ich gleich wieder abbrechen, weil ich dem Thema gar nicht gewachsen war. Das hat mich damals echt frustriert. Sabine Baumann hat mir einen Ausdruck dieser ersten 30 Seiten, mit Anmerkungen versehen, in einen Umschlag gepackt und draufgeschrieben: Zeitkapsel. Diesen Umschlag habe ich tatsächlich erst sechs Jahre später geöffnet, zwei Bücher und ein Musikalbum später. Dass sie sich so in meine Arbeitsweise hineindenkt, beeindruckt mich sehr.
Mein Eindruck von Literaturbetrieb und Buchbranche
Wie flexibel viele Buchhändler und Literaturveranstalter auf die Pandemie reagiert haben, finde ich toll. Da wurden Bücher an der frischen Luft übergeben, Ausstellungsprojekte für einzelne Gäste ins Leben gerufen, so viele gute, unbürokratische Ideen! Aber die Fixierung auf Podcast und Streamingdienste ist echt fantasielos. Es ist die Eigenbespaßung einer Branche, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und trotz der sehr guten Fördersituation viel zu wenig soziales Engagement zeigt. Projekte wie „Wir machen das“, in dem deutschsprachige und geflüchtete Autorinnen und Autoren zusammenarbeiten, oder POEDU, die digitale Gedichtewerkstatt für Kinder in Zeiten von Corona, sind da bewundernswerte Ausnahmen.
Meine Lieblingsbuchhandlung
Wenn ich in Leipzig bin, gehe ich immer in Peter Hinkes Connewitzer Verlagsbuchhandlung im Specks Hof. In seinem gleichnamigen Verlagshaus habe ich meine ersten beiden Bücher veröffentlicht. Geblieben ist eine Freundschaft und ein Stück Heimat, gleich gegenüber der Nikolaikirche.
Mein Lieblingsautor
Nur einer? Ich beschränke mich mal auf Ror Wolf, Olga Tokarczuk, Helga M. Novak, Arundhati Roy und Margaret Atwood.
So lese ich
Langsam. Vor und zurück. In Originalsprache, wenn’s geht. Sofa, Badewanne, Bett.
Schreiben ist für mich
Notation für Bühnenkunst. Erkenntnismittel. Waschprogramm fürs Hirn.
Wenn ich nicht gerade schreibe
Dann bin ich im Tonstudio, toure mit meiner Poetryband Landschaft, lese meiner Tochter Mogli vor, entdecke mit meinem Pudel Tui das Berliner Unterholz, reise hoffentlich bald wieder durch Indien, England und die Ukraine, und wenn gar nichts mehr geht, schaue ich Science-Fiction-Filme.
Warum haben Sie dieses Debüt ins Programm genommen?
„Monster wie wir“ – diesen ersten Roman der großartigen Dichterin Ulrike Almut Sandig wollten wir unbedingt verlegen! Ihre funkelnde Sprache hat uns ja immer schon begeistert, aber hier zeigt sie, dass sie auch einen großen erzählerischen Bogen spannen und eine berührende Geschichte ausbreiten kann, die unter die Haut geht und deren Figuren einem ungeheuer nahe kommen.
Sabine Baumann, Lektoratsleitung
Debütanten im Herbst 2020 – im buchreport.magazin 07-08/2020
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