Fast jede 5. Novität und die Hälfte der Kindle-Bestseller stammten 2012 von Selfpublishern – ein Segment, dessen Strukturen bislang eine Black Box waren. Der „Focus“-Journalist und Selfpublishing-Experte Matthias Matting und Hilke-Gesa Bußmann von der Goethe-Universität Frankfurt bringen mit einer Umfrage mit über 800 Teilnehmern (hier die Ergebnisse) Licht ins Dunkel des vermutlich am schnellsten wachsenden Bereichs der Branche. Im Interview beschreibt der Physiker, Journalist und E-Book-Autor Matting (Sein Blog: selfpublisherbibel.de) die Überraschungserfolge der Hobbyautoren und die Haltung der Buchverlage zum Selfpublishing.
Bei den Verlagsautoren gibt es einen großen Midlist-Bereich. Beim Selfpublishing scheint die Schere zwischen Hobby- und Bestsellerautoren auffällig groß zu sein. Was sind die Gründe?
Das ist zum einen ein Wahrnehmungsproblem. Die Midlist gibt es bei Selfpublishern nämlich auch schon längst. Ein Titel, der bei Amazon zwischen Platz 1000 und 1500 gelistet ist, verkauft immer noch zehn Exemplare pro Tag. Das macht 300 im Monat, also eine typische Midlist-Auflage pro Jahr. Es ist gar nicht nötig, in den Top 100 zu erscheinen. Es kommt aber ein neues Phänomen dazu: Der Hobbyautor, der den Überraschungserfolg schafft. Diese Autoren gehen dann entweder den Weg der Professionalisierung – leisten sich ein nachträgliches Lektorat, gehen Folgetitel systematisch an – oder man hört anschließend nicht wieder von ihnen.
In den USA verfolgen viele große Verlage eigene Selfpublishing-Aktivitäten. Erwarten Sie, dass Verlage hierzulande nachziehen?
Ja, das wird sehr bald passieren. Das weiß ich auch aus einigen vertraulichen Gesprächen, mit mindestens einem konkreten Beispiel. Verlage sehen, was da gerade passiert und fragen sich, wie sie daran teilhaben können. Natürlich ist nicht jedes Unternehmen gleich offen. Und nicht zu vergessen: Droemer Knaur und Holtzbrinck sind mit Neobooks bzw. Epubli bereits in diesem Bereich sehr aktiv.
In anderen Verlagen wird Selfpublishing dagegen unterschätzt?
Ich bin gar nicht sicher, ob das so ist. Mir werden jedenfalls von Verlagen durchaus bange Fragen dazu gestellt. Dass sich Verlage gegenüber Selfpublishern trotzdem überheblich zeigen (wie eine große Mehrheit der Antworten in unserer Selfpublishing-Umfrage meinte), hat vielleicht mit dieser Unsicherheit zu tun. Dazu kommt wohl die Hoffnung, das Problem würde sich von selbst erledigen, der Leser erkenne schon irgendwann, wer die wahre Qualitätsarbeit abliefert.
Selfpublishing wird stark durch Genreliteratur getrieben. Warum fehlen noch weitestgehend Erfolge in der allgemeinen Belletristik?
Autoren orientieren sich, ganz wie die Verlage auch, an dem, was gerade gut läuft. Ich glaube aber nicht, dass wir noch lange warten müssen, bis einer der erfolgreichen Indie-Autoren mit großer Fanbasis einen Versuch abseits des Genres startet.
Welchen Marktanteil erwarten Sie beim Selfpublishing bis 2015?
Für 2015 halte ich es für realistisch, dass zumindest jeder zweite professionelle Autor auch ohne Verlag veröffentlicht, je nachdem, welches Modell ihm oder ihr gerade passend erscheint. Da Selfpublishing im E-Book-Bereich jedoch deutlich stärker und einfacher ist, erwarte ich dafür insgesamt einen Anteil von vielleicht 10%, wenn man davon ausgeht, dass E-Books dann bei 15% Anteil liegen. Es wird aber zu einem üblichen Modell werden, dass Verlage erfolgreiche E-Books aufgreifen und als Buch in den Handel bringen.
Zitat: „Dazu kommt wohl die Hoffnung, das Problem würde sich von selbst
erledigen, der Leser erkenne schon irgendwann, wer die wahre
Qualitätsarbeit abliefert.“
Das tun aber letztlich die Autoren/innen und Lektoren/innen, und das können sie auch ohne Verlag.
Letzendlich wird sich Qualität durchsetzen. Wer als unabhängiger Autor seine Werke ernst nimmt (Lektorat, oder zumindest ein Korrektorat) wird mit der richtigen Idee und einem guten Schreibstil punkten können. Ich erlebe das im Moment bei meinem Testbuch. Ohne Verlag zu veröffentlichen wird die Zukunft sein, wir stehen da noch ganz am Anfang.
Ich bin Amazon sehr dankbar. Meine beiden Bücher haben sich in den letzten 12 Monaten (Juli 2012-Juli 2013) über 25.000x verkauft. Natürlich mit Lektorat usw. Ein Umdenken muss her. Es gibt durchaus auch verlagslose Autoren, die es mit viel Mühe und harter Arbeit schaffen können. Und etwas Glück 🙂
Die Anmerkung wäre womöglich überzeugender, wenn die Bücher genannt würden, damit ggf. deutlich wird, welche Art von Büchern auf diesem Wege erfolgreich sind. Red.
Allgemeine Belletristik? Hieß das nicht mal „Literatur“, und die Vampirgeschichten „Unterhaltung“?
Guter Artikel, ich glaube nur, dass die „Erfolge in der Allgemeinen Belletristik“ noch ausbleiben, weil gerade jene LeserInnen gerne eine Vorauswahl (durch ihren Lieblingsverlag, dessen Stil/Ton sie vertrauen) haben und sich danach richten.
Das ist für Selfpublisher schade, aber vielleicht ändert sich das ja auch noch. Eventuell sind Genre-LeserInnen eventuell risiko-/experimentierfreudiger, was Neues angeht.