Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Hummel könne nicht fliegen – belegt durch eine wissenschaftliche Berechnung nach Gesetzen der Aerodynamik. Sie tut es aber doch. Sei es nun, weil sie sich nicht um physikalische Gesetze schert. Oder aber, wir müssen uns an die eigene Nase fassen, weil wir uns von tradierten Erzählungen und vermeintlich wissenschaftlich belegten Regeln gerne blenden lassen. Eine ähnliche Mär ist die von den Frauen, die zugunsten der eigenen Familie gerne auf Berufstätigkeit und Karriere verzichten.
Auch hier suggerieren tradierte Rollen- und Familienbilder, dass sich Familie und Beruf nicht unter einen Hut bringen lassen. Und dennoch hat es immer eine Berufstätigkeit von Frauen gegeben. Man erinnere sich nur an die Frauen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs häufig ganz alleine für ihre Familie sorgten oder schaue heute auf die vielen alleinerziehenden Mütter. Man hört viel zu selten von ihnen und wenn doch wird betont, welchen Preis diese Frauen dafür bezahlen.
In der Frankfurter Karrierestudie von 2012 haben in einer Onlinebefragung 42% der befragten Frauen erklärt, dass der Beruf für sie die gleiche Bedeutung wie die Familie hat. Und auch Jutta Allmendinger hat die Ergebnisse ihrer für die Brigitte durchgeführten Studien „Frauen auf dem Sprung“ (2008 und 2009) wie folgt zusammengefasst: „Frauen werden die Gesellschaft wachrütteln.“ Denn: „Die jungen Frauen machen keinen Rückzieher, im Gegenteil, sie bekräftigen noch selbstbewusster, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen.“ Insbesondere die Neuauflage der Befragung 2009 machte deutlich, dass Frauen immer seltener bereit sind, aufgrund der Partnerschaft auf beruflichen Erfolg zu verzichten: Der Anteil der Frauen, die bereit waren, für ihre Partnerschaft, Einkommensverluste hinzunehmen, den Beruf zu wechseln oder aufzuhören zu arbeiten, hatte sich innerhalb von zwei Jahren halbiert, gleichzeitig bekräftigten die befragten Frauen aber auch, dass sie für ihre Arbeit nicht auf Partnerschaft und Kind verzichten wollten.
Nun hat die BücherFrauen-Studie von 2010 gezeigt, dass diese beiden Wünsche, Partnerschaft und beruflicher Erfolg, als gleichberechtigte Lebensziele nur erschwert und vor allen Dingen nicht gleichermaßen für Frauen und Männer, unter einen Hut zu bringen sind. Dies gilt allerdings nicht nur in unserer Branche. Der von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gleichstellungsbericht von 2011 verdeutlicht eindringlich, dass die bestehenden Strukturen der aktuellen Arbeitswelt, Frauen in hohem Maße bei der aktiven Mitgestaltung ihrer eigenen Zukunft einschränken.
Aufschlussreiche Langzeitperspektive
Der Gleichstellungsbericht hat deutlich gezeigt, dass die geschlechtlichen Ungerechtigkeiten in den Lebensverläufen von Männern und Frauen schon frühzeitig festgeschrieben werden und später kaum noch korrigiert werden können. Untersucht wurde die Situation von Männern und Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen zur Identifizierung von sogenannten Knotenpunkten. Knotenpunkte sind Zeitpunkte eines Lebens, an denen biografische Entscheidungen getroffen werden, die sich auf die berufliche und familiäre Situation nachhaltig auswirken. Wenn man diese Knotenpunkte dann in der Perspektive eines gesamten Lebenslaufs betrachtet, kann man die kumulative Wirkung von Einzelentscheidungen auf ein Leben ermessen. Im Gleichstellungsbericht wurde nach den Übergänge im Lebenslauf und nach den sozialen, ökonomischen und rechtlichen Bedingungen gefragt, die die Wahlmöglichkeiten im Lebenslauf bestimmen.
Der Gleichstellungsbericht spricht von Verwirklichungschancen, die nicht von den formalen, sondern von den tatsächlichen Wahlmöglichkeiten ausgehen, wodurch automatisch Rollenmodelle und dadurch auch die entsprechenden vorhanden bzw. noch nicht vorhandenen Arbeitsmodelle in den Fokus der Diskussionen gerückt werden. Denn Rollenbilder – die nicht fliegen könnende Hummel, wenn Sie so wollen – prägen Handlungsoptionen und Wahlmöglichkeiten (objektive wie subjektive) auf unterschiedliche Weise, was im Gleichstellungsbericht eindrucksvoll für die geltenden Rechtssystem nachgewiesen wird. Scheidungsrecht, Steuerrecht und Sozialrecht in der Bundesrepublik sind eindeutig vom traditionellen Familien- und Erwerbsmodell geprägt. Diese Rollenmodelle bilden sich im gesamten Lebenslauf ab, werden aber vor allen Dingen in den frühen Phasen der Ausbildung und beim Berufseinstieg geprägt und sogar festgelegt. Hier werden die Grundlagen für Entscheidungen gelegt, die sich in ihren Auswirkungen schließlich bis ins Alter summieren. Nicht ohne Grund wird gerade aktuell vor der Gefahr der steigenden Altersarmut gewarnt. Frauen sind davon um ein vielfaches häufiger betroffen, als Männer, denn die größere Fragmentierung weiblicher Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit, Minijobs usw.) führt trotz gestiegener Erwerbstätigkeit von Frauen in der Regel doch nicht zur eigenständigen Existenzsicherung.
Änderungsprozesse in der Arbeitswelt
Nun steht die Buchbranche vor radikalen Veränderungen, die auch unsere Arbeitswelt auf vielfältige Weise beeinflussen werden. Die Lebenslaufperspektive und die Bedingungen, die unsere Wahlmöglichkeiten im Lebenslauf bestimmen sollten auch die konkrete Beschäftigung mit Fragen der Gestaltung von Arbeitsmodellen der Zukunft anleiten. Diskussionen über Arbeitsbedingungen, Karrierechancen und Veränderungsprozesse müssen gerade in einer von Frauen dominierten Branche durch den Genderaspekt komplettiert werden. Denn die Gestaltung von (Berufs-)Lebensläufen und der Übergänge im Lebenslauf sind niemals nur individuelle Weichenstellungen, sondern bestimmen auch, wie sich ein Unternehmen oder eine ganze Branche den zukünftigen Herausforderungen stellt.
Mit welchen gravierenden Veränderungen in unserer Arbeitswelt werden wir schon heute konfrontiert, die sich in einer Lebenslaufperspektive sowohl auf die individuellen wie die unternehmerische Planungen und Wünsche auswirken?
- Die Arbeitswelt ist kein Faktor mehr, der einen Lebenslauf klar strukturiert und in groben Zügen vorgibt. Ständig entwickeln sich neue Berufsfelder, dafür verlieren altbewährte Berufe an Bedeutung. Menschen entscheiden sich immer seltener für einen Beruf, den sie bis zu ihrer Rente ausüben. Stattdessen führen zunehmende Spezialisierungen und Fragmentierungen der Berufswelt zu mehr befristeter Beschäftigung in Projekt-, Zeit- oder Leiharbeit. ArbeitnehmerInnen werden immer häufiger zu AuftragnehmerInnen.
- Das befristete Arbeiten in Projekten findet meist in flachen Hierarchien statt und stellt hohe und neue Kommunikationsanforderungen, die sowohl von den Unternehmen bzw. AuftraggeberInnen und den Angestellten bzw. AuftragnehmerInnen neu erlernt werden müssen. Dies führt zu einer höheren Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen und in der Regel zu mehr Eigenverantwortung und zu höheren Qualifikationsanforderungen an die Ausführenden.
- Eine gute Ausbildung reicht häufig nicht mehr und es gibt selten Zeit, die eigenen praktischen Fähigkeiten auszuprobieren und zu entwickeln. Die Anforderungen wachsen und werden immer spezieller. In der Buchbranche führt heute in der Regel nur noch ein besonderes Spezialwissen zu einem Direkteinstieg in den Job. Vor dem Einstieg in die traditionellen Verlagsberufsfelder stehen meist Volontariate und Praktika, die nur im Glücksfall zur Festanstellung, immer häufiger aber zur Freiberuflichkeit führen (hier mehr). Technische Kenntnisse sind auch in den klassischen Buchberufen heute schon eine wichtige Voraussetzung bei der Stellenvergabe und werden in Zukunft unabdingbar (hier mehr).
- D.h. die Rolle von Wissen und Informationen und ihrer Verarbeitung wird immer wichtiger und führt zu neuen, kooperativen Arbeitsformen, bei denen es darum geht, unterschiedliche(s) Wissen(sträger) zusammenzuführen. Damit sind auch neuen Führungsstile gefordert sowie andere Formen von Mitarbeitermotivation und Wissensvermittlung auch in den Unternehmen. Die ständige Bereitschaft zum Weiterlernen wird immer wichtiger, für Angestellte und Selbstständige wie auch für Unternehmen und AuftraggeberInnen.
- Wir werden zunehmend atypische Arbeitsverhältnisse erleben, die sowohl die sozialer Absicherung in die privater Vorsorge als auch die unternehmerischen Risiken zunehmend auf die ArbeitnehmerInnen verlagern.
Diese Veränderungen und Flexibilisierungen werden die die Gestaltung unserer Lebensläufe nachhaltig beeinflussen. Sie bieten aber auch die Chance die tradierten Rollenmodelle aufzubrechen und wirklich gleichberechtigte Verwirklichungschancen von Frauen und Männern zu gewährleisten.
Das bedeutet, Flexibilisierung darf nicht nur von den Arbeit- und AuftragnehmerInnen erwartet werden, sondern ist auch eine Forderung an diejenigen, die die Strukturen in der Branche entscheidend bestimmen. Die Voraussetzungen dafür, sich gegenseitig „zum Fliegen zu bringen“, sind vorhanden. Die in der Buchbranche arbeitenden Frauen und Männer sind sehr motiviert, sie entscheiden sich bewusst für die Arbeit mit dem Buch, weil es ihnen am Herzen liegt. Sie sind darüber hinaus äußerst gut ausgebildet, und zeigen ein großes Weiterbildungsinteresse. Große Teile der Branche sind neugierig auf neue Techniken und Unternehmensmodelle, die die Branche in die Zukunft geleiten werden und neue Wertschöpfungsquellen eröffnen können. Mit anderen Worten, die in der Buchbranche Arbeitenden sind Vermögenswerte für die Branche. Um diese Vermögenswerte effektiv einsetzen zu können, ist es zunächst wichtig, dass sie als solche anerkannt werden und nur nachrangig als Kostenfaktor betrachtet werden. Es ist wichtig zu erkennen, dass Hummeln fliegen können bzw. die tradierten Rollenmodelle die Entwicklung der Branche und der in ihnen arbeitenden Menschen hemmt. In anderen Branchen gibt es interessante Beispiele dafür, dass eine ethikorientierte Führung oder flexible Arbeitszeitmodelle, auch auf der Führungsebene, nicht nur funktionieren, sondern sich auch auszahlen.
Es ist Zeit für neue Arbeits- und Geschäftsmodelle, in denen Frauen und Männer gleichermaßen beteiligt werden und gleichberechtigt profitiert und gelitten wird, in denen die Möglichkeit für ein gesundes Gleichgewicht zwischen Familie und Beruf, Privat und Professionell besteht. Dafür ist es wichtig, dass soziale Absicherung bis ins Alter gewährleistet wird, dass die wertvollen Ressourcen der Arbeitskräfte nicht nur nach den Leitsätzen der Gewinnmaximierung abgeschöpft werden und Raum für Weiterentwicklung, Kreativität, Umorientierungen und die Erschließung neuer Wege bei Produktion und Vertrieb oder bei Inhalten und Formen gelassen wird.
Die BücherFrauen haben sich in diesem Jahr eingehend mit der Zukunft des Arbeitens in unserer Branche beschäftigt. Zum Abschluss des Jahresthemas „Arbeitsmodelle der Zukunft: Wie wollen wir arbeiten?“ werden sie die Aspekte des Themas noch einmal in zwei größeren Veranstaltungen diskutieren und bearbeiten:
- Beim Zukunftstag Südwest am 27. Oktober 2012 in Stuttgart
- Und bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion zum Auftakt der BücherFrauen-Jahrestagung am 9. November 2012 im Theater Aufbau Kreuzberg im Berliner Aufbau-Haus
Valeska Henze, 1. Vorsitzende der BücherFrauen
Eine so schöne Aufforderung an den Hummelflug zu glauben, daß man meint es ist in dem Artikel alles gesagt. „Denn Rollenbilder – die nicht fliegen könnende Hummel, wenn Sie so wollen – prägen Handlungsoptionen und Wahlmöglichkeiten (objektive wie subjektive) auf unterschiedliche Weise,“ – um so schöner ist es, wenn es immer wieder möglich ist positive Rollenvorbilder zu treffen. BücherFrauen Veranstaltungen ermöglichen dies immer wieder. Das war am 27.10. so beim Zukunftstag Südwest so und es wird so sein bei der oben genannten öffentlichen Podiumsdiskussion in Berlin. Ich möchte deshalb hier ausdrücklich in dieser Anmerkung nochmals herzlich alle BranchenMenschen einladen mit den BücherFrauen in die Diskussion einzusteigen und sie fortzführen, auch über das Jahr 2012 hinaus. Frauke Ehlers