Nachdem die US-Autorenvereinigung Authors Guild, die Verlegervereinigung Association of American Publishers (AAP) und Google gestern nach zweijährigen Verhandlungen ihre Fehde beendet haben (buchreport.de berichtete hier), schlägt die Einigung auch in Deutschland hohe Wellen. Die Vereinbarung, durch die Google grünes Licht für das Scannen urheberrechtlich geschützter Bücher in Bibliotheken erhalten hat, ist unter deutschen Verlegern und Autoren umstritten. buchreport.de hat Stimmen eingefangen.
Rolf Müller (Langenscheidt): Die Verlage müssen sich gut überlegen, welche Rolle sie in Zukunft spielen wollen … und können. Eine Igelpolitik Google gegenüber wäre genauso falsch wie sich leichtfertig in einseitige Abhängigkeiten zu begeben. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass unsere Inhalte in einer angemessenen Vielfalt auf verschiedenen Wegen und Medien angeboten werden. Exklusivitäten darf es nicht geben. Es kann auch nicht darum gehen, kurzfristig nach einem attraktiven Pauschalhonorar zu schielen. Vielmehr geht es um Konstellationen, in denen die Verlage ihre Gestaltungsposition zu behaupten haben, der Schutz der Urheberrechte gehört dazu. Der Gesetzgeber wird uns dabei wenig hilfreich sein.
Ernst Piper (Literarische Agentur Piper & Poppenhusen): Wir leben in einer Zeit rasanter Veränderungen. Die Bedeutung neuer, insbesondere digitaler Verwertungsmöglichkeiten wächst täglich. Das hat dazu geführt, dass im neuen Urheberrecht in völliger Umkehr der jahrzehntelang geübten Rechtspraxis ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen ist, Rechte an einem Werk auch ohne Zustimmung des Urhebers zu nutzen, so lange nur angemessen vergütet wird. Einen ähnlichen Vorgang beobachten wir nun in den USA.
Wenn man das etwa 150 Seiten lange Abkommen, das jetzt geschlossen worden ist, genau liest, stellt man allerdings fest, dass es dort eine Opt-Out-Klausel gibt, die jedem Urheber die Möglichkeit bietet, die Nutzung seiner Werke zu untersagen, wenn sie nicht mehr lieferbar sind. Sind sie noch lieferbar, ist ohnehin die ausdrückliche Zustimmung der Verlage erforderlich, wobei die amerikanischen Verlage hier aus gutem Grund eine attraktive Erweiterung ihrer geschäftlichen Möglichkeiten sehen.
Als Agent erlebe ich, dass es im Alltag immer schwieriger wird, eine angemessene Vergütung für alle Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke durchzusetzen. Insofern begrüße ich, dass Google nach langen und schwierigen – und auch in Deutschland sehr kontroversen – Verhandlungen nun bereit ist, einen im Prinzip vernünftigen Weg zu beschreiten. Das von Google finanzierte Book Rights Registry wird eine gute Basis dafür bieten, auch in den USA etwas den hiesigen Verwertungsgesellschaften Vergleichbares zu etablieren.
Die Marktmacht von Google kann man aus guten Gründen kritisieren. Aber die Alternative kann nur unternehmerische Initiative sein, nicht kurzsichtige Realitätsverweigerung.
Peter S. Fritz, Literaturagent aus Zürich: Erfreulich am Vergleich ist, dass Google akzeptiert, das urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht verbreitet werden dürfen, als wären sie gemeinfrei. Eine Entschädigung steht somit im Raum. Für Europa ist dies nicht eins zu eins übertragbar, andererseits sollten sich Autoren und Verlage davor hüten, sich auf den staatlichen sowie den EU-Gesetzgeber zu verlassen. Die Interessenkonflikte in Berlin wie in Brüssel sind unübersehbar, zum einen die haushalterischen Zwänge der Budgets, welche heute höher gewichtet werden als der Rechtsgüterschutz, insbesondere des Urheberrechts, was Berlin mit aller Deutlichkeit vormacht. In Europa haben lediglich die britischen Verlage ein ernsthafteres Problem, indem sich die mit den USA geteilte Sprache schwerlich kontinental aufteilen lässt.
Die ganze Branche steht vor gewaltigen und unabsehbaren Veränderungen. Trotzdem sollten wir uns den neuen technischen Möglichkeiten nicht verschließen und uns unter anderen, auch mit Google auf das Experiment einlassen. Google hat eine übergroße Macht. Google hat aber auch eine Initiative gezeigt, welche man nirgendwo sonst ausmachen kann. Unter der Voraussetzung, dass Google keine exklusiven Rechte eingeräumt bekommt, sowie mit einer zeitlichen Begrenzung, welche die Vereinbarung zum Beispiel in 5 – 10 Jahren überprüfen und anpassen lässt, ist mehr gewonnen, als mit hausbackenen, verbandspolitischen Unternehmungen oder mit Hoffen auf den Staat. In einer Anfangsphase sollten nicht mehr als 80% des Textes eingescannt und aufgeschaltet werden dürfen.
Autoren und Verlage sollten jeweils getrennte Abkommen mit Google haben und die Verlage sollten viel wichtiger als Geld, zusätzlich Nutzungsdaten sowie gezielten Werbezugang zu Interessenten an deren Büchern als Mindestbedingung einfordern.
Selbstverständlich gäbe es eine Fülle von Details zu regeln, wie zum Beispiel die Migration eines Titels von einem Verlag zum anderen; aber auch Haftungsfragen aufgrund der verschiedenen Gesetze zum Persönlichkeitsrecht weltweit. Soweit denken unsere Freunde jenseits des Atlantiks natürlich nicht. Das sogenannte Opt-out muss für die Autoren einfach handhabbar sein.
Das Gespräch sollte mit Google hart, aber offen geführt werden.“
Marco Schneiders, Verlagsleiter Lübbe: Die mit Verve verkündete Einigung zwischen der amerikanischen Autoren- und Verlegervereinigung und Google ist aus meiner Sicht nicht zu begrüßen. „Millionen Bücher finden nun im Internet ein neues Zuhause“ – so eine der kernigen Aussagen. Sind Bücher nicht mehr bei Autoren und Verlagen zu Hause? Der global ausgerichtete Zugriff auf Inhalte – und auf die damit verbundenen Rechte – wird sich jeder Kontrolle entziehen. Autoren und Verlage würden sich auf diese Weise der letzten Hoheit über Inhalte entledigen. Dies bedeutet nichts anderes als den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Wozu das führt, belegt das Gesetz der Schwerkraft.
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins: Die Einigung ist ein Schritt in die falsche Richtung. Die Vereinbarung gleicht einem Trojanischen Pferd, mit dem Google antritt, die weltweite Wissens- und Kulturverwaltung zu übernehmen. Ein Inhaber von Rechten kann diese nur schützen, wenn er seine Werke in einem Buchrechte-Register eingetragen hat. Dieses Verfahren steht im Gegensatz zu sämtlichen Normen des europäischen Urheberrechts. Die amerikanische Vereinbarung läuft außerdem einer Wirtschaftsordnung nach europäischem Verständnis weitestgehend zuwider. Während die europäische Ordnungspolitik den Wettbewerb unter der Bedingung von Vielfalt schützt, zieht die Vereinbarung in den USA die Monopolisierung von Wissens- und Informationshandel faktisch nach sich. Die Gefahr besteht, dass Google künftig die Einkaufswahl der Verbraucher lenken und Einfluss auf die Vertriebshoheit der Verlage nehmen wird. Für Europa kann im Interesse einer kulturellen Vielfalt das amerikanische Modell nicht in Betracht kommen. Während es in den USA erst eine vorläufige Vereinbarung gibt, liegen in Deutschland und Europa bereits rechtliche Regelungen und unabhängige Modelle vor, um unter Wahrung des Urheberrechts einen breiten Zugang zu Inhalten in digitaler Form zu gewährleisten. Damit sichern wir wirksam die kulturelle Vielfalt in Deutschland und Europa.
Matthias Ulmer, Ulmer Verlag: Die Vereinbarung kann in dieser Art kein Modell für Deutschland sein. Man muss bedenken, dass die Vereinbarung nur zustande kam, weil Google durch eine Sammelklage von Verlegern und Autoren unter Druck gesetzt wurde. Freiwillig hätte das Google nie gemacht, trotz aller schönen Worte, die jetzt die Google-Führung als Pressemeldungen verbreitet. Hintergrund ist der entstehende Markt für die online-Nutzung der Inhalte. Dafür ist einerseits die Verfügbarkeit der eingescannten Bücher notwendig, andererseits die Verfügbarkeit der Metadaten, also der notwendigen Informationen über die Rechteinhaber. Beides gehört zum Kapitalstock eines jeden Verlages. Sowohl die Verfügung über die Inhalte als auch die Information über die Rechte. Wenn Google mit einem Vertrag jetzt beides von den Verlagen bekommt, die Genehmigung zum Einscannen und die Information über die Rechte, dann sind die Verlag aus dem Spiel. Sie werden in den nächsten Jahrzehnten über die Verwertungsgesellschaften ihre Almosen bekommen und können sich im Bereich der Online-Rechte ins Altersheim zurückziehen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Kollegen begreifen, dass eine solche Vereinbarung verhängnisvoll ist.
Imre Török, Verband deutscher Schriftsteller in ver.di: Diese Vereinbarung gestattet Google, ohne Zustimmung der betroffenen Autoren und anderer Rechteinhaber in Bibliotheken gescannte Werke im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Dies ist eine Enteignung der Urheber auf kaltem Weg. Es kann nicht darum gehen, mit einem „goldenen Handschlag“ den Autorinnen und Autoren ihre unveräußerlichen Rechte abzukaufen. Der Schriftstellerverband will und muss, zusammen mit dem Börsenverein, eine Regelung erreichen, die dem urheberrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums in Europa und insbesondere in Deutschland gerecht wird.
Joerg Pfuhl, Random House Deutschland: Es ist erfreulich, daß Google sich bewegt hat und nunmehr ein klares Bekenntnis zur Geltung des Urheberrechts abgegeben hat. Eine Übertragung auf Europa ist allerdings nicht uneingeschränkt möglich, es gilt noch einige offene Fragen mit Google zu klären.
Mathias Schindler, Wikimedia: Der Börsenverein hat doch schonmal eine gewisse Geldsumme versenkt, um Google zu stoppen und hat sich in Hamburg eine blutige Nase geholt. Wie teuer war das damals, 100.000 Euro?
Die nächste Geldversenkung erfolgte dann durch zwei Jahre Lehrgeld beim Aufbau von VTO und mit Verhandlungen mit den Digitalisierungsprojekten u.a. von Microsoft. Eine Woche, bevor MS sein Projekt eingestampft hat, hat man noch Hoffnung verbreitet, das sagt mehr darüber aus, wie tief die Verhandlungen gingen.
So, und jetzt löst Google „im Vorbeigehen“ das Copyright Orphan-Problem, das in Europa vielleicht auch irgendwann einmal auf die oberen Ränge der Tagesordnung kommt, logisch, dass der Börsenverein hier aufschreit.
Welches Modell dürfte jetzt das wahrscheinlichere werden:
a) Google exportiert das Modell der Copyright registry und der nachgelagerten Vergütung der Autoren mit Opt-Out-Option nach Europa, im gemeinsamen Einvernehmen mit Verlagen und mit einem Börsenverein, der dadurch dem Irrelevanztestat entgeht.
b) Wir schaffen hier in Europa eine vernünftige Regelung für Orphans und damit fast zwangsläufig ein Modell, das fast genauso aussehen wird wie die Copyright registry bei Google. Wenn der aktuelle Rechteinhaber eines Werkes auch nach vertretbarer Suche nicht auffindbar ist, kann ein Werk als Orphan deklariert werden und steht dann der Allgemeinheit wieder zur Verfügung, bis sich jemand meldet.
c) BoeV und ein paar Verlage fahren ihre gegenwarts- und zukunftsfeindliche Rhetorik in Deutschland weiter und wundern sich, wenn ihr Konzept nicht abhebt.
Roy Blount Jr., Präsident der Authors Guild: Die Einigung, die noch vom Gericht abgesegnet werden muss, beinhalte mehr Geld sofort und die Aussicht auf Geld für später. Mindestens 45 Millionen Dollar fließen an Verleger und Autoren, deren urheberrechtlich geschützten Bücher und sonstigen Texte ohne Erlaubnis gescannt wurden. (…) Doch interessanter für die meisten von uns (…) ist die Aussicht auf künftige Einkommen. Rechteinhaber bekommen einen Anteil der Umsätze im Geschäft mit institutionellen Abos (…) sowie mit Kunden, die einen Online-Zugang zu den Büchern kaufen. (…) Auch Leser sind Gewinner der Vereinbarung. Sie haben von ihrem Computer aus Zugriff auf eine riesige Bücher-Sammlung.
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